Liebe Leser,
für diesen Monat können wir zumindest einige neue DVD-Veröffentlichungen
ankündigen: „Lady Snowblood“ (1973, Regie: Toshiya Fujita), „Keizoku“ (2000,
Regie: Yukihiko Tsutsumi) sowie die Anime „Armitage III“ (1994), „Last Exile
– Volumen 1“ (2003) und „RahXephon – Volume 1“ (2002). Des weiteren öffnet
am 10. Februar die Berlinale ihre Pforten und macht Berlin erneut zum
Mittelpunkt von Cineasten aus aller Welt. Zu den japanischen Beiträgen, die
in den einzelnen Kategorien starten, können Sie sich auf unserer aktuellen
Kulturseite informieren. Einschätzungen zu den japanischen Berlinale-Filmen gibt es dann erst im
nächsten Monat.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle zu Hayao Miyazaki zurückkehren und Ihnen
den Film vorstellen, der als erster Anime einen Goldenen Bären (2002)
erhielt und 2003 mit dem Oskar für den besten Trickfilm ausgezeichnet wurde:
„Chihiros Reise ins Zauberland“.
Spätestens nach diesem Film dürfte sich uns allen erschlossen haben, warum
Altmeister Miyazaki den Animationsfilm als einzig adäquates Medium zur
Darstellung seiner kreativen Visionen ansieht. Wo anders als im Trickfilm
kann man seiner Fantasie so freien Lauf lassen, eine solche Vielzahl von
Zauberwesen kreieren, eine solch mystische und geheimnisvolle Umgebung
schaffen, dass der Zuschauer vor Staunen gebannt in seinen Kinosessel
gefesselt wird?
War es in Prinzessin Mononoke der Zauber eines archaischen Waldes mit seinen
Bewohnern, so entführt uns Miyazaki in diesem Falle in die Welt eines
verlassenen, einsamen Freizeitparks, der gleichwohl die Pforte in die
surreale Welt des Badehauses der Hexe Yubaba darstellt, in welchem sich
unzählige Götter, Fabelwesen und Geister tummeln. Die kleine Chihiro gerät
zunächst unfreiwillig in diese beängstigende Welt, da sie ihre Eltern retten
möchte, die nach dem exzessiven Genuss verlockender Speisen in Schweine
verwandelt worden sind. Miyazaki wäre nicht Miyazaki, wenn er diese
Erlösungsgeschichte nicht komplex mit den Dingen verknüpfen würde, die ihm
am seit jeher am Herzen liegen: der Besinnung auf Japans Tradition als
Heimatland uralter Mythen, Legenden und Fabeln, seiner Weisheit und Harmonie
sowie des Miteinanders von Mensch und Natur. Wieder ist es ein Kind, das der
Meister in die alte Welt eintauchen lässt und das uns vielbeschäftigte
Gegenwartsmenschen in ein Märchenreich bunter Fabelwesen führt. Miyazakis überbordende Fantasie erschafft uns Wesen und Geister (von 8
Millionen ist an einer Stelle gar die Rede), die uns im Zusammenspiel mit
einem unverdorbenen Kind die Verzweiflung über die Industrialisierung und
Verwestlichung Japans und den damit einhergehenden Verfall von Werten und
Bräuchen spüren lassen. Miyazakis Kritik am modernen Japan, seiner
Atemlosigkeit und Rationalisierungsstreben ist unterschwellig, aber
unverkennbar. Doch auch hier gibt es immer Hoffnung, ermutigende und
berührende Momente, wie die aufkeimende Liebe des Mädchens zu dem Prinzen
Haku oder die Erlösung des Flussgottes, den Chihiro eines Dorns und mit ihm
eines ganzen Berges von Unrat und Abfällen entledigt. Hinreißend auch
diesmal kleine Gestalten am Rande, wie der vielarmige Maschinist Kamaji oder
der treue stumme schwarze Geist im Regen.
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