Botschaft von Japan
.Neues aus Japan Nr.11                             Oktober 2005

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Strategische Aufgaben für Japans Außenpolitik im 21. Jahrhundert

von Hitoshi Tanaka
 


 

 

 

 

 

 


Sechzig Jahre nach Kriegsende steht Japans Außenpolitik am Scheideweg. In Ostasien muss Japan u.a. wegen der zunehmend stärker werdenden Präsenz Chinas und der Aufgaben in Bezug auf Nordkorea auf der Grundlage seiner bisher erworbenen Erfahrungen und Kenntnisse die Initiative zur Realisierung einer wünschenswerten Ordnung in dieser Region ergreifen.

 


Seit dem Ende des Krieges sind sechzig Jahre vergangen. Japans Außenpolitik ist nun an einem Scheideweg angelangt. Ich selbst habe 36 Jahre lang im Außenministerium gearbeitet, aber wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, bin ich mir nicht sicher, ob sich unsere Außenpolitik ausreichend auf den umfassenden Wandel innerhalb der internationalen Beziehungen und des innenpolitischen Umfelds in Japan eingestellt hat. Angesichts der schrumpfenden Bevölkerung Japans infolge von Geburtenrückgang und Überalterung stehen wir vor einer Ära, in der das Potential unseres Landes relativ gesehen abnehmen wird. Japan bleibt daher nicht mehr viel Zeit. Es ist sehr gut möglich, dass sich in zehn bis fünfzehn Jahren China und Indien mit ihren riesigen Bevölkerungen so weit entwickelt haben, dass sie sowohl wirtschaftlich als auch militärisch mit Japan gleichgezogen haben. Diese Länder stehen vor einer Reihe von schwierigen Problemen und es bestehen durchaus Zweifel, ob ihre Entwicklung tatsächlich so reibungslos verlaufen wird. Zumindest in den nächsten Jahren aber dürfte dies so sein, und solange diese Länder eine angemessene Politik beibehalten, werden früher oder später mit Gewissheit mehrere asiatische Staaten als international agierende Großmächte auftreten.

Auf der anderen Seite hoffe ich, dass Japans Potential nicht einfach so abnehmen wird. Japan setzt derzeit mit großem Engagement Reformen um. Es muss nun seine Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen sowie eine größere Effizienz seiner Wirtschaft anstreben. Damit Japan diesen Weg der wirtschaftlichen Wiederbelebung beschreiten kann, braucht es auch ein entsprechendes Umfeld. Was für ein Ostasien ist für Japan wünschenswert und welche Ordnung muss es gestalten? Innerhalb der Region ist Japan die größte Wirtschaftsmacht und zugleich die fortschrittlichste Demokratie. Meiner Ansicht nach besteht die wichtigste Aufgabe unserer Außenpolitik nun darin, dass Japan die Initiative ergreift, bevor es zu spät ist, und eine Ordnung anstrebt, die dieser Region insgesamt zum Nutzen gereicht.

Welche Haltung gegenüber China einnehmen?
Vom Standpunkt der Gestaltung eines stabilen Umfelds aus betrachtet, das Sicherheit und Wohlstand ermöglicht, besteht die wichtigste Frage darin, welche Haltung gegenüber China eingenommen werden soll, dessen Präsenz zunehmend stärker wird. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass mit der weiteren Zunahme seines Potentials China, in dem unter der Ein-Parteienherrschaft der Kommunistischen Partei keine politische Freiheit besteht, Schritte unternehmen wird, um die Vorherrschaft in dieser Region anzustreben. Schaut man sich das derzeitige Agieren Chinas an, so geben seine Militärausgaben, die seit siebzehn Jahren zweistellige Zuwachsraten verzeichnen und deren tatsächlicher Umfang die veröffentlichen Zahlen bei weitem übersteigt, sowie seine wenig transparente Militärpolitik zusammen mit seiner grundsätzlichen Haltung, die Anwendung militärischer Gewalt gegen Taiwan nicht auszuschließen, den betroffenen Staaten durchaus Anlass zur Sorge. Einige Experten sind der Auffassung, dass die Stabilität der Region nur gewahrt werden kann, indem Japan sein militärisches Potential verstärkt und das Abschreckungspotential im Rahmen des japanisch-amerikanischen Bündnisses ausgebaut wird, um so die Überlegenheit gegenüber dem immer selbstbewusster auftretenden China durch Stärke zu bewahren.

Es muss jedoch ganz klar gesagt werden, dass die Voraussetzungen sich im Vergleich zur Politik gegenüber der Sowjetunion zur Zeit des Kalten Krieges grundlegend unterscheiden. China verfolgt einen Kurs der wirtschaftlichen Öffnung und wirbt um ausländische Investitionen. Auch die Staatengemeinschaft betrachtet China als Chance für den Handel, so dass heute die zwischen China und der internationalen Gemeinschaft bestehende gegenseitige Abhängigkeit im Bereich der Wirtschaft alles andere überragt. Das Handelsvolumen Chinas mit Japan, den Vereinigten Staaten und der EU beläuft sich auf jeweils ca. 170 Mrd. US-Dollar, und die chinesische Exportindustrie ist zu großen Teilen von ausländischem Kapital abhängig. Der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) war der wichtigste Faktor, der diese Tendenz noch verstärkte. Solange China diese Politik nicht umfassend ändert, gibt es keinen Grund, eine Politik der Eindämmung wie zur Zeit des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion zu verfolgen. Auch für die verschiedenen Aufgaben, die auf internationaler und regionaler Ebene bestehen, ist ein konstruktiver Beitrag Chinas gefordert. Diskussionen über Fragen wie Handel, Energie und Umwelt machen ohne Beteiligung Chinas nur wenig Sinn. Auch der G8-Gipfel von Gleneagles in diesem Jahr maß dem Dialog mit China hohen Stellenwert bei, und auch künftig dürfte die Staatengemeinschaft eine Politik der konstruktiven Einbindung als Grundlage ihrer Chinapolitik verfolgen.

Wie muss nun Japan seine Chinapolitik angesichts dieser internationalen Verknüpfungen Chinas gestalten? Während China noch ein Entwicklungsland war und sowohl regional als auch international keine aktive Präsenz zeigte - also bis etwa Mitte der neunziger Jahre - unterstützte Japan unter dem Schlagwort von „der japanisch-chinesischen Freundschaft“ die wirtschaftliche Öffnung des Landes und setzt diese Unterstützung noch immer fort. Sowohl in Japan als auch in China empfand man es als selbstverständlich, dass Japan wegen der großen Schäden, die es durch den Krieg angerichtet hatte, China, das auf Forderungen gegenüber Japan verzichtet hatte, beim Aufbau des Landes helfen sollte. Auf japanischer Seite herrschte gegenüber dem Entwicklungsland China eine gewisse Großzügigkeit vor, während man auf chinesischer Seite darüber erleichtert war, dass die engen Beziehungen zu zentralen Figuren der japanischen Politik dafür sorgten, dass auch gelegentliche bilaterale Friktionen die politischen Beziehungen nicht übermäßig beeinträchtigten.

Aufgrund des Wandels der politischen Strukturen in Japan und mit der zunehmenden Entwicklung Chinas zur Großmacht hat sich die Einstellung Japans gegenüber China jedoch erheblich gewandelt. Insbesondere in den ersten fünf Jahren des 21. Jahrhunderts ist dieser Wandel augenfällig gewesen. Es lassen sich eine ganze Reihe von Ereignissen aufzählen, die die japanische Sicht auf China negativ beeinflusst haben: der plötzliche Anstieg der Gemüseexporte aus China nach Japan, das Vordringen chinesischer Sicherheitskräfte auf das Gelände des japanischen Generalkonsulats in Shenyang, um Flüchtlinge aus Nordkorea festzunehmen, das Eindringen eines chinesischen U-Boots in japanische Hoheitsgewässer, das Kreuzen chinesischer Forschungsschiffe sowie die einseitige Erschließung von Ressourcen in umstrittenen Seegebieten sowie das Verhalten der chinesischen Behörden anlässlich der jüngsten antijapanischen Demonstrationen. Die Grundlage für diese Verschlechterung der Einschätzung Chinas durch Japan bildet nicht allein das Empfinden, dass das Verhalten Chinas nicht den Grundregeln der internationalen Beziehungen entspricht, sondern dass China zur Rechtfertigung seines eigenen Handelns das Geschichtsbewusstsein in Japan anführt und von Japan verlangt, sich wie ein Täter zu verhalten, der sich noch immer entschuldigen muss.

Selbstverständlich müssen die Gefühle der Menschen in China, die durch den Angriffskrieg viel Leid erfahren haben, stets im Auge behalten werden. Allerdings ist im Zeitraum von sechzig Jahren unter einem demokratischen System die Vertrauenswürdigkeit Japans als ein dem Frieden verpflichteter Staat von der internationalen Gemeinschaft ausreichend bestätigt worden, so dass die Haltung Chinas, das Geschichtsbewusstsein als Grund für die eigene Rechtfertigung anzuführen und dies bei jeder Zusammenkunft auf der Ebene der Regierungschefs vorzutragen, ungewöhnlich erscheint. Indem China auf die „Geschichtskarte“ setzt, erweckt es den Argwohn, dass es damit nur einen größeren Einfluss Japans im Bereich Politik und Sicherheit innerhalb dieser Region verhindern will. Zumindest erscheinen seine Argumentation und sein offensichtliches Vorgehen zur Verhinderung eines ständigen Sitzes Japans im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in diesem Licht. Da China seine Beziehungen u.a. zu Europa und Amerika, Russland und den Mitgliedern der Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (ASEAN) ausgebaut hat, glaubt es vielleicht, sich diese überzogene Japan-Kritik und eine Verschlechterung der Beziehungen zu Japan erlauben zu können. Angenommen, diese Sichtweise träfe zu, dann müsste sich auch Japan hinter den Kulissen der internationalen Bühne dagegen wehren, so dass die Aussichten für eine Verbesserung der japanisch-chinesischen Beziehungen nicht gut stünden. Diese Entwicklung wäre, ganz objektiv betrachtet, sowohl für Japan und China selbst als auch für diese Region insgesamt sehr unglücklich. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Japan und China würde sich zudem auch destabilisierend auf die internationale Lage insgesamt auswirken.

Die wichtigste Ursache für die Verschlechterung der japanisch-chinesischen Beziehungen ist das fehlende Vertrauen zwischen beiden Staaten. Es ist gewiss schwierig, zwischen Staaten mit unterschiedlichen Regierungssystemen vertrauensvolle Beziehungen zu gestalten, aber wenn die jetzige Situation weiter anhält, haben beide Seiten viel zu verlieren. Um künftig stabile Beziehungen zwischen Japan und China zu gestalten, müssen die folgenden Prinzipien, auf denen diese Beziehungen beruhen, erneut bestätigt werden. Zunächst einmal müssen die Regierungen bestätigen und den Menschen in beiden Ländern klar erläutern, dass die gedeihliche Entwicklung der bilateralen Beziehungen sowohl für Japan als auch für China von Nutzen ist, dass nichts dagegen einzuwenden ist, wenn beide Länder innerhalb der Staatengemeinschaft eine Rolle spielen, die ihren jeweiligen Potentialen angemessen ist, dass die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen einen sich gegenseitig ergänzenden Charakter haben sowie dass bei der Gestaltung einer regionalen Gemeinschaft in Ostasien sowie bei globalen Fragen wie Energie und Umwelt gemeinsame Interessen bestehen. Die Beziehungen werden sich nur dann verbessern, wenn das Verständnis für die große Bedeutung der japanisch-chinesischen Beziehungen in beiden Ländern zunimmt.

Darüber hinaus erscheint es mir auch notwendig dafür zu sorgen, dass die Probleme der Vergangenheit sich nicht zu politischen Problemen entwickeln. Von japanischer Seite aus betrachtet sieht es so aus, als ob China das Geschichtsproblem benutzt, um Japan in Schach zu halten. Von chinesischer Warte aus symbolisieren die Besuche des Ministerpräsidenten im Yasukuni-Schrein die Zunahme rechtsextremer Tendenzen in Japan. Die Besuche des Ministerpräsidenten in diesem Schrein, in dem auch die Kriegsverbrecher der Kategorie A verehrt werden, rufen Assoziationen an den Krieg hervor. Für die Menschen in China, die viel Leid erfahren haben, stellen sie eine Handlung dar, die ihre Gefühle reizen muss. Die Forderung der chinesischen Seite, diese Besuche einzustellen, darf daher nicht einfach als Einmischung in innerjapanische Angelegenheiten abgetan werden. Kann das Problem jedoch dadurch gelöst werden, dass der Ministerpräsident seine Besuche einstellt? Solange China den Sieg im von Japan angezettelten Angriffskrieg als Mittel zur Beherrschung der eigenen Bevölkerung nutzt, wird das Geschichtsproblem weiter bestehen. Ich denke, es ist nun an der Zeit, dass beide Regierungen aufrichtig einander gegenübertreten, um objektive Regeln dafür aufzustellen, dass das Problem der Geschichte sich nicht zu einem Problem der Politik entwickelt, damit beide Staaten mit ihren unterschiedlichen Regierungssystemen einträchtig nebeneinander bestehen und gedeihen können.

Umfassende Lösung für das nordkoreanische Atomproblem
Das Sicherheitsumfeld, in dem Japan sich befindet, ist nach wie vor instabil und keineswegs transparent. Ich war an der Erstellung der Gemeinsamen japanisch-amerikanischen Erklärung zur Sicherheit beteiligt, die 1996 von Ministerpräsident Hashimoto und US-Präsident Clinton unterzeichnet wurde, sowie danach auch an der Erstellung der Richtlinien für die verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten. Damals bestand das wichtigste Anliegen darin, das effiziente Funktionieren des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrags bei einem Ernstfall auf der koreanischen Halbinsel sicherzustellen und hierfür die bislang nicht eindeutig benannten Aufgaben Japans deutlich zu bestimmen. Diese deutliche Bestimmung der Aufgaben Japans bei einem Ernstfall in seinem Umfeld sowie die damit einhergehende Erstellung gemeinsamer japanisch-amerikanischer Planungen haben das Abschreckungspotential Japans gestärkt. In der Gemeinsamen Sicherheitserklärung wurde auch ausgeführt, dass die militärische Situation durch das sicherheitspolitische Umfeld beeinflusst werden kann sowie dass die Außenpolitik eine wichtige Rolle bei der Verbesserung dieses sicherheitspolitischen Umfelds spielt. Der Besuch von Ministerpräsident Koizumi in Nordkorea im September 2002 sowie die aus diesem Anlass veröffentlichte Japanisch-Nordkoreanische Erklärung von Pjöngjang kamen aufgrund dieser prinzipiellen Einstellung zustande. Bedenkt man die historische Tatsache, dass Japan auf der koreanischen Halbinsel eine Kolonialherrschaft ausübte und dass die Entwicklungen auf dieser Halbinsel unmittelbare Auswirkungen auf Japans Sicherheit haben, ist es nur selbstverständlich, dass Japan sich aktiv für die Gestaltung des Friedens in dieser Region engagiert. Dabei muss man sich jedoch darüber im Klaren sein, dass auch bei einem aktiven Engagement von Seiten Japans die jeweiligen Interessen der beteiligten Staaten in komplizierter Weise miteinander verflochten sind, so dass eine Lösung in Japans alleinigem Interesse nicht möglich ist. Für Südkorea besteht das Problem der nationalen Versöhnung. In China lebt im Grenzgebiet zu Korea eine koreanische Minderheit und das Land hat große sicherheitspolitische Interessen. Für die Vereinigten Staaten handelt es sich einerseits um die Erhaltung des Friedens in dieser Region, daneben aber besteht auch das Problem, die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen als weltweite Aufgabe zu sichern. Die Sechs-Parteiengespräche über die Frage des nordkoreanischen Atomprogramms bilden, da darin alle beteiligten Staaten mit ihren jeweiligen Interessen eingebunden sind, einen angemessenen Rahmen. Sollte dieser Rahmen aufgegeben werden, würden die Aussichten für eine friedliche Lösung des Problems in weite Ferne rücken. Darüber müssen sich alle Beteiligten einschließlich Nordkorea klar sein.

Eindeutiges Ziel der Sechs-Parteiengespräche ist die diplomatische Lösung des Problems des nordkoreanischen Nuklearprogramms. Die entsprechenden Lösungsvorschläge müssen jedoch auch die Forderungen Nordkoreas berücksichtigen. Das heißt, die Aufgabe des Nuklearprogramms muss wirtschaftliche Hilfe beinhalten und es Nordkorea ermöglichen, seine Beziehungen zur Staatengemeinschaft auf eine üblichere Grundlage zu stellen. Darüber hinaus muss - sollte Nordkorea dies wünschen - innerhalb der Beziehungen zu Japan auch das Problem der Entführungen gelöst werden. Damit sind für eine Lösung der Frage der Entführungen auch Fortschritte bei den Sechs-Parteiengesprächen zur Lösung des Nuklearproblems notwendig. Auch Nordkorea ist sich bestimmt bewusst, dass, wenn die Gespräche ins Einzelne gehen, ganz selbstverständlich parallel dazu auch bilaterale Konsultationen zwischen Japan und Nordkorea stattfinden werden.

Zunächst sind Lösungen für das Nuklearproblem, die Entführungen sowie dafür, dass Nordkorea zu den anderen beteiligten Staaten normale Beziehungen gestaltet, notwendig. Langfristig gesehen aber sollten die Sechs-Parteiengespräche auch als Rahmen für die Bildung von Vertrauen auf der koreanischen Halbinsel fortgesetzt werden. Wenn die künftigen Gespräche einen Beitrag zur Bildung von Vertrauen sowie zur Erhaltung des Friedens in dieser Region leisteten, würde dies die Spannungen in der Region erheblich reduzieren und hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf die militärische Situation. Die Mechanismen, um unmittelbar auf einen Ernstfall auf der koreanischen Halbinsel zu reagieren, verändern sich allmählich und beeinflussen auch die Strategie der Vereinigten Staaten, ihre Streitkräfte an vorderster Front zu stationieren, so dass diese Entwicklung schließlich auch Spielraum dafür schaffen kann, die Belastung durch die US-Stützpunkte auf Okinawa zu verringern.

Förderung der Konzeption von der Ostasiatischen Gemeinschaft
Zusammen mit den derzeitigen außenpolitischen Aufgaben innerhalb Ostasiens muss Japan sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren dafür einsetzen, eine langfristige Planung für eine stabile Ordnung der Region zu erstellen und diese zu verwirklichen. Die Idee einer regionalen Gemeinschaft in Ostasien muss unter verschiedenen Aspekten gründlich diskutiert werden.

Zunächst einmal muss eine Antwort darauf gefunden werden, welchen Zweck eine solche Gemeinschaft erfüllen soll. Ein Blick auf das aktuelle Ostasien lässt erkennen, dass in den einzelnen Staaten eine große Vielfalt an Regierungssystemen herrscht sowie dass die Werte, die die einzelnen Gesellschaften für schützenswert halten, nicht identisch sind. Deshalb wird es nicht möglich sein, sofort eine Wertegemeinschaft anzustreben; vielmehr sollte zunächst eine funktionale Gemeinschaft geschaffen werden. Dies bedeutet, dass eine Gemeinschaft gebildet werden sollte, bei der die notwendigen Funktionen für die Entwicklung der Region wie etwa Handel, Energie, Finanzen und wirtschaftliche Zusammenarbeit im Mittelpunkt stehen. Dies hat auch Ministerpräsident Koizumi in seiner Rede in Singapur über Zusammenarbeit in Ostasien zur Grundlage seiner Vorstellungen gemacht. Tatsächlich setzt sich Japan mit großem Nachdruck dafür ein, nach dem Vorbild des Abkommens mit Singapur auch mit den führenden Staaten der ASEAN und Südkorea Verhandlungen über wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen zu führen. Auch China und Australien führen in gleicher Weise Verhandlungen über den Abschluss von Freihandelsabkommen innerhalb der Region. Es sollte das Ziel sein, diese bilateralen Abkommen in Zukunft auszuweiten und eine ostasiatische Freihandelszone zu gründen.

Die funktionelle Kooperation ist keineswegs auf Handel, Investitionen und Finanzen beschränkt. Angesichts der hohen potentiellen Wachstumsraten in dieser Region sollte auch die konkrete Zusammenarbeit in Fragen wie Energieversorgung, Entwicklung und ihre effiziente Ausnutzung sowie auf der Gegenseite auch beim Umweltschutz gefördert werden. Daneben muss auch bei den sogenannten nichttraditionellen Aufgaben im Bereich Sicherheit wie die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Kampf gegen den Terrorismus und der Schutz vor Piraterie eine enge Zusammenarbeit angestrebt werden, die letztendlich auf eine Gemeinschaft abzielt. Wenn die Schaffung einer Gemeinschaft mit dieser funktionellen Zusammenarbeit im Mittelpunkt weiter vorangetrieben wird, dann rückt in Zukunft die nächste Phase in das Blickfeld, nämlich die gemeinsam zu schützenden Werte.

Gegenwärtig bestehen in Ostasien zahlreiche unterschiedliche Regierungssysteme. Von Demokratien mit Mehrparteiensystem bis hin zu Diktaturen mit Einparteienherrschaft und Militärdiktaturen existiert eine große Vielfalt. Es herrschen Unterschiede in Bezug auf die Vorstellungen über Herrschaft sowie über die zu schützenden Werte. Innerhalb des Prozesses der Bildung der Ostasiatischen Gemeinschaft muss eine Verbesserung der Regierungssysteme angestrebt werden, um grundlegende demokratische Werte wie die Achtung der Menschenrechte und Rechtsherrschaft zu gewährleisten; zugleich müssen die entsprechenden Systeme und die Ausbildung der Humanressourcen ausgebaut werden. Solange diese Stufe nicht erreicht ist, ist es noch zu früh, über eine Sicherheitsgemeinschaft zu sprechen, denn ohne gleiche Werte kann keine einheitliche Auffassung von Bedrohung erreicht werden. Selbstverständlich ist es in diesem Zusammenhang auch wichtig, die Kooperation im Bereich Sicherheit auf der sogenannten „weichen“ Ebene wie vertrauensbildende Maßnahmen und Austauschprogramme im Verteidigungssektor als funktionelle Zusammenarbeit weiter auszubauen.

Auch die Frage, wie weit Ostasien eigentlich reicht, ist sehr wichtig. Es muss entschieden werden, welche Staaten in die Kooperation für die regionale Integration miteinbezogen werden sollen. In der bisher geführten Diskussion besteht Einigkeit darüber, dass die zehn Mitgliedsstaaten der ASEAN in Südostasien sowie die drei Staaten in Nordostasien, nämlich Japan, China und Südkorea den Kern bilden sollten. Beim im Dezember 2005 in Malaysia stattfindenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ostasiens ist neben den ASEAN+3 auch an eine Teilnahme Indiens, Australiens und Neuseelands gedacht. Der Prozess zur Gestaltung einer regionalen Gemeinschaft in Ostasien ist ein Prozess der Vertiefung der funktionellen Kooperation. Solange die Idee von einer offenen regionalen Zusammenarbeit gewahrt bleibt, sollten alle Staaten, die eine Beteiligung an der Kooperation in Ostasien anstreben und dazu auch in der Lage sind, begrüßt werden. Allerdings sollten, wenn der Zweck darin besteht, für die Gemeinschaft eine enge Kooperation zu unterhalten, die teilnehmenden Staaten eine starke Verpflichtung für die Schaffung einer regionalen Ostasiatischen Gemeinschaft spüren. So ist z.B. die Präsenz der Vereinigten Staaten, was allein den Aspekt der Kooperation mit Ostasien anbelangt, in allen Bereichen der Politik, Sicherheit und Wirtschaft sehr groß. Allerdings ist es nur schwer vorstellbar, dass die Vereinigten Staaten als einzige globale Weltmacht eine Verpflichtung zur Schaffung einer Ostasiatischen Gemeinschaft verspüren. Auch Russland baut, angefangen mit Freundschafts- und Kooperationsabkommen in Südostasien, seine Beziehungen zur Region Ostasien aus. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass Russland, das sowohl an Europa als auch an Zentralasien und Ostasien grenzt, einer Ostasiatischen Gemeinschaft Priorität einräumen wird. Folglich erscheinen zunächst die ASEAN plus Japan, China und Südkorea sowie zusätzlich Indien, Australien und Neuseeland als logische Kandidaten für die Länder, aus denen sich die Ostasiatische Gemeinschaft zusammensetzen sollte. Selbstverständlich ist für die Beziehungen zu Ländern wie den Vereinigten Staaten, die für die Zukunft der Region Ostasien eine entscheidende Rolle spielen, ein irgendwie gearteter Mechanismus erforderlich, der ständige Konsultationen gewährleistet.

Schließlich muss bei der Förderung der Konzeption einer Ostasiatischen Gemeinschaft diskutiert werden, was dies für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten bedeutet, die als zentrale Achse der japanischen Außenpolitik wirken. In Teilen der Vereinigten Staaten glaubt man, dass die Idee von einer Ostasiatischen Gemeinschaft dazu diene, die Vereinigten Staaten aus der Region zu drängen und sie der Versuch einer regionalen Integration unter chinesischer Führung sei. Ich selbst denke, dass diese Befürchtungen auf mangelndem Verständnis für die Art und Weise der japanischen Außenpolitik beruhen bzw. ihre Ursache in mangelndem Vertrauen in Japan insgesamt haben. Japan ist ein ostasiatischer Staat und - wie eingangs bereits angeführt - es benötigt für die Sicherung seines künftigen Wohlstands ein stabiles Umfeld. Dies bedeutet keinen Widerspruch zum grundlegenden Koordinatensystem der japanischen Außenpolitik, nämlich dass mein Land die Werte der Demokratie und der freien Marktwirtschaft hochhält und, um diese zu bewahren und zu fördern, am Bündnis mit den Vereinigten Staaten festhält und sich zugleich als Mitglied der G8 weiterhin aktiv für die Lösung globaler Fragen engagiert. Wie bereits ausgeführt besteht für die kommenden Jahre innerhalb der Konzeption der Ostasiatischen Gemeinschaft kein Platz dafür, auch den Bereich Sicherheit zu integrieren. Selbstverständlich muss Japan auch weiterhin den Vereinigten Staaten seine Ansichten zur Zusammenarbeit mit Ostasien erläutern und um ausreichendes Verständnis dafür werben.

Geistige Führerschaft Japans
Bei meiner Teilnahme u.a. an Zusammenkünften mit hohen Beamten aus den ASEAN und den dort geführten Diskussionen habe ich stets empfunden, dass Japan eine gereifte Demokratie und führende Nation ist und daher vor allem gefordert ist, geistige Führerschaft zu übernehmen. Japan hat im Rahmen zahlreicher internationaler Organisationen wie der G8 sowie der Vereinten Nationen reiche Erfahrung gesammelt und es übernimmt Verantwortung bei seinem Wirken für die Staatengemeinschaft. Dies unterscheidet es von den anderen Staaten Ostasiens. Japan muss auf der Grundlage seiner Erfahrungen und Kenntnisse die Vision von der Gestaltung einer Ostasiatischen Gemeinschaft hochhalten und vorantreiben. Zugleich muss es sich aber auch der Kosten bewusst sein, die bei der Realisierung dieser Vision auf Japan zukommen werden. Ohne eine Neugestaltung der japanisch-chinesischen Beziehungen macht es wenig Sinn, über die Ostasiatische Gemeinschaft zu sprechen, und ohne Beseitigung der Bedrohung auf der koreanischen Halbinsel wird es keine Stabilität in Ostasien geben. Um die Ostasiatische Gemeinschaft zu realisieren, muss Japan seine Hilfe in Bereichen wie Verringerung des wirtschaftlichen Ungleichgewichts zwischen den einzelnen Staaten der ASEAN sowie Verstärkung der Ausbildung der Humanressourcen erheblich ausweiten und darüber hinaus bei den Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft seine Märkte großzügig öffnen.




Hitoshi Tanaka
Studienabschluss an der Juristischen Fakultät der Universität Kyoto; Eintritt ins Außen-ministerium. Studienabschluss an der Oxford University. Leiter des Zweiten Referats Nordamerika, Leiter des Ostasien-Referats, Gesandter an der Japanischen Botschaft in London, Leiter des Referats Koordination der Aussenpolitik, stellvertretender Leiter der Nordamerika-Abteilung, Generalkonsul in San Fransisco, Leiter der Wirtschaftsabteilung, Leiter der Abteilung Asien-Ozeanien, stellvertretender Außenminister. Seit August 2005 im Ruhestand.

                                                                              (Quelle: Gaiko Forum, Oktober 2005)

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