Sechzig Jahre nach Kriegsende steht Japans Außenpolitik am Scheideweg. In
Ostasien muss Japan u.a. wegen der zunehmend stärker werdenden Präsenz
Chinas und der Aufgaben in Bezug auf Nordkorea auf der Grundlage seiner
bisher erworbenen Erfahrungen und Kenntnisse die Initiative zur Realisierung
einer wünschenswerten Ordnung in dieser Region ergreifen.
Seit dem Ende des
Krieges sind sechzig Jahre vergangen. Japans Außenpolitik ist nun an einem
Scheideweg angelangt. Ich selbst habe 36 Jahre lang im Außenministerium
gearbeitet, aber wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, bin ich mir nicht
sicher, ob sich unsere Außenpolitik ausreichend auf den umfassenden Wandel
innerhalb der internationalen Beziehungen und des innenpolitischen Umfelds
in Japan eingestellt hat. Angesichts der schrumpfenden Bevölkerung Japans
infolge von Geburtenrückgang und Überalterung stehen wir vor einer Ära, in
der das Potential unseres Landes relativ gesehen abnehmen wird. Japan bleibt
daher nicht mehr viel Zeit. Es ist sehr gut möglich, dass sich in zehn bis
fünfzehn Jahren China und Indien mit ihren riesigen Bevölkerungen so weit
entwickelt haben, dass sie sowohl wirtschaftlich als auch militärisch mit
Japan gleichgezogen haben. Diese Länder stehen vor einer Reihe von
schwierigen Problemen und es bestehen durchaus Zweifel, ob ihre Entwicklung
tatsächlich so reibungslos verlaufen wird. Zumindest in den nächsten Jahren
aber dürfte dies so sein, und solange diese Länder eine angemessene Politik
beibehalten, werden früher oder später mit Gewissheit mehrere asiatische
Staaten als international agierende Großmächte auftreten.
Auf der anderen Seite hoffe ich, dass Japans Potential nicht einfach so
abnehmen wird. Japan setzt derzeit mit großem Engagement Reformen um. Es
muss nun seine Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen sowie eine größere
Effizienz seiner Wirtschaft anstreben. Damit Japan diesen Weg der
wirtschaftlichen Wiederbelebung beschreiten kann, braucht es auch ein
entsprechendes Umfeld. Was für ein Ostasien ist für Japan wünschenswert und
welche Ordnung muss es gestalten? Innerhalb der Region ist Japan die größte
Wirtschaftsmacht und zugleich die fortschrittlichste Demokratie. Meiner
Ansicht nach besteht die wichtigste Aufgabe unserer Außenpolitik nun darin,
dass Japan die Initiative ergreift, bevor es zu spät ist, und eine Ordnung
anstrebt, die dieser Region insgesamt zum Nutzen gereicht.
Welche Haltung gegenüber China einnehmen?
Vom Standpunkt der Gestaltung eines stabilen Umfelds aus betrachtet, das
Sicherheit und Wohlstand ermöglicht, besteht die wichtigste Frage darin,
welche Haltung gegenüber China eingenommen werden soll, dessen Präsenz
zunehmend stärker wird. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass mit der
weiteren Zunahme seines Potentials China, in dem unter der
Ein-Parteienherrschaft der Kommunistischen Partei keine politische Freiheit
besteht, Schritte unternehmen wird, um die Vorherrschaft in dieser Region
anzustreben. Schaut man sich das derzeitige Agieren Chinas an, so geben
seine Militärausgaben, die seit siebzehn Jahren zweistellige Zuwachsraten
verzeichnen und deren tatsächlicher Umfang die veröffentlichen Zahlen bei
weitem übersteigt, sowie seine wenig transparente Militärpolitik zusammen
mit seiner grundsätzlichen Haltung, die Anwendung militärischer Gewalt gegen
Taiwan nicht auszuschließen, den betroffenen Staaten durchaus Anlass zur
Sorge. Einige Experten sind der Auffassung, dass die Stabilität der Region
nur gewahrt werden kann, indem Japan sein militärisches Potential verstärkt
und das Abschreckungspotential im Rahmen des japanisch-amerikanischen
Bündnisses ausgebaut wird, um so die Überlegenheit gegenüber dem immer
selbstbewusster auftretenden China durch Stärke zu bewahren.
Es muss jedoch ganz klar gesagt werden, dass die Voraussetzungen sich im
Vergleich zur Politik gegenüber der Sowjetunion zur Zeit des Kalten Krieges
grundlegend unterscheiden. China verfolgt einen Kurs der wirtschaftlichen
Öffnung und wirbt um ausländische Investitionen. Auch die
Staatengemeinschaft betrachtet China als Chance für den Handel, so dass
heute die zwischen China und der internationalen Gemeinschaft bestehende
gegenseitige Abhängigkeit im Bereich der Wirtschaft alles andere überragt.
Das Handelsvolumen Chinas mit Japan, den Vereinigten Staaten und der EU
beläuft sich auf jeweils ca. 170 Mrd. US-Dollar, und die chinesische
Exportindustrie ist zu großen Teilen von ausländischem Kapital abhängig. Der
Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) war der wichtigste Faktor,
der diese Tendenz noch verstärkte. Solange China diese Politik nicht
umfassend ändert, gibt es keinen Grund, eine Politik der Eindämmung wie zur
Zeit des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion zu verfolgen. Auch für die
verschiedenen Aufgaben, die auf internationaler und regionaler Ebene
bestehen, ist ein konstruktiver Beitrag Chinas gefordert. Diskussionen über
Fragen wie Handel, Energie und Umwelt machen ohne Beteiligung Chinas nur
wenig Sinn. Auch der G8-Gipfel von Gleneagles in diesem Jahr maß dem Dialog
mit China hohen Stellenwert bei, und auch künftig dürfte die
Staatengemeinschaft eine Politik der konstruktiven Einbindung als Grundlage
ihrer Chinapolitik verfolgen.
Wie muss nun Japan seine Chinapolitik angesichts dieser internationalen
Verknüpfungen Chinas gestalten? Während China noch ein Entwicklungsland war
und sowohl regional als auch international keine aktive Präsenz zeigte -
also bis etwa Mitte der neunziger Jahre - unterstützte Japan unter dem
Schlagwort von „der japanisch-chinesischen Freundschaft“ die wirtschaftliche
Öffnung des Landes und setzt diese Unterstützung noch immer fort. Sowohl in
Japan als auch in China empfand man es als selbstverständlich, dass Japan
wegen der großen Schäden, die es durch den Krieg angerichtet hatte, China,
das auf Forderungen gegenüber Japan verzichtet hatte, beim Aufbau des Landes
helfen sollte. Auf japanischer Seite herrschte gegenüber dem
Entwicklungsland China eine gewisse Großzügigkeit vor, während man auf
chinesischer Seite darüber erleichtert war, dass die engen Beziehungen zu
zentralen Figuren der japanischen Politik dafür sorgten, dass auch
gelegentliche bilaterale Friktionen die politischen Beziehungen nicht
übermäßig beeinträchtigten.
Aufgrund des Wandels der politischen Strukturen in Japan und mit der
zunehmenden Entwicklung Chinas zur Großmacht hat sich die Einstellung Japans
gegenüber China jedoch erheblich gewandelt. Insbesondere in den ersten fünf
Jahren des 21. Jahrhunderts ist dieser Wandel augenfällig gewesen. Es lassen
sich eine ganze Reihe von Ereignissen aufzählen, die die japanische Sicht
auf China negativ beeinflusst haben: der plötzliche Anstieg der
Gemüseexporte aus China nach Japan, das Vordringen chinesischer
Sicherheitskräfte auf das Gelände des japanischen Generalkonsulats in
Shenyang, um Flüchtlinge aus Nordkorea festzunehmen, das Eindringen eines
chinesischen U-Boots in japanische Hoheitsgewässer, das Kreuzen chinesischer
Forschungsschiffe sowie die einseitige Erschließung von Ressourcen in
umstrittenen Seegebieten sowie das Verhalten der chinesischen Behörden
anlässlich der jüngsten antijapanischen Demonstrationen. Die Grundlage für
diese Verschlechterung der Einschätzung Chinas durch Japan bildet nicht
allein das Empfinden, dass das Verhalten Chinas nicht den Grundregeln der
internationalen Beziehungen entspricht, sondern dass China zur
Rechtfertigung seines eigenen Handelns das Geschichtsbewusstsein in Japan
anführt und von Japan verlangt, sich wie ein Täter zu verhalten, der sich
noch immer entschuldigen muss.
Selbstverständlich müssen die Gefühle der Menschen in China, die durch den
Angriffskrieg viel Leid erfahren haben, stets im Auge behalten werden.
Allerdings ist im Zeitraum von sechzig Jahren unter einem demokratischen
System die Vertrauenswürdigkeit Japans als ein dem Frieden verpflichteter
Staat von der internationalen Gemeinschaft ausreichend bestätigt worden, so
dass die Haltung Chinas, das Geschichtsbewusstsein als Grund für die eigene
Rechtfertigung anzuführen und dies bei jeder Zusammenkunft auf der Ebene der
Regierungschefs vorzutragen, ungewöhnlich erscheint. Indem China auf die „Geschichtskarte“
setzt, erweckt es den Argwohn, dass es damit nur einen größeren Einfluss
Japans im Bereich Politik und Sicherheit innerhalb dieser Region verhindern
will. Zumindest erscheinen seine Argumentation und sein offensichtliches
Vorgehen zur Verhinderung eines ständigen Sitzes Japans im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen in diesem Licht. Da China seine Beziehungen u.a. zu
Europa und Amerika, Russland und den Mitgliedern der Gemeinschaft
südostasiatischer Staaten (ASEAN) ausgebaut hat, glaubt es vielleicht, sich
diese überzogene Japan-Kritik und eine Verschlechterung der Beziehungen zu
Japan erlauben zu können. Angenommen, diese Sichtweise träfe zu, dann müsste
sich auch Japan hinter den Kulissen der internationalen Bühne dagegen wehren,
so dass die Aussichten für eine Verbesserung der japanisch-chinesischen
Beziehungen nicht gut stünden. Diese Entwicklung wäre, ganz objektiv
betrachtet, sowohl für Japan und China selbst als auch für diese Region
insgesamt sehr unglücklich. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen
Japan und China würde sich zudem auch destabilisierend auf die
internationale Lage insgesamt auswirken.
Die wichtigste Ursache für die Verschlechterung der japanisch-chinesischen
Beziehungen ist das fehlende Vertrauen zwischen beiden Staaten. Es ist
gewiss schwierig, zwischen Staaten mit unterschiedlichen Regierungssystemen
vertrauensvolle Beziehungen zu gestalten, aber wenn die jetzige Situation
weiter anhält, haben beide Seiten viel zu verlieren. Um künftig stabile
Beziehungen zwischen Japan und China zu gestalten, müssen die folgenden
Prinzipien, auf denen diese Beziehungen beruhen, erneut bestätigt werden.
Zunächst einmal müssen die Regierungen bestätigen und den Menschen in beiden
Ländern klar erläutern, dass die gedeihliche Entwicklung der bilateralen
Beziehungen sowohl für Japan als auch für China von Nutzen ist, dass nichts
dagegen einzuwenden ist, wenn beide Länder innerhalb der Staatengemeinschaft
eine Rolle spielen, die ihren jeweiligen Potentialen angemessen ist, dass
die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen einen sich gegenseitig ergänzenden
Charakter haben sowie dass bei der Gestaltung einer regionalen Gemeinschaft
in Ostasien sowie bei globalen Fragen wie Energie und Umwelt gemeinsame
Interessen bestehen. Die Beziehungen werden sich nur dann verbessern, wenn
das Verständnis für die große Bedeutung der japanisch-chinesischen
Beziehungen in beiden Ländern zunimmt.
Darüber hinaus erscheint es mir auch notwendig dafür zu sorgen, dass die
Probleme der Vergangenheit sich nicht zu politischen Problemen entwickeln.
Von japanischer Seite aus betrachtet sieht es so aus, als ob China das
Geschichtsproblem benutzt, um Japan in Schach zu halten. Von chinesischer
Warte aus symbolisieren die Besuche des Ministerpräsidenten im
Yasukuni-Schrein die Zunahme rechtsextremer Tendenzen in Japan. Die Besuche
des Ministerpräsidenten in diesem Schrein, in dem auch die Kriegsverbrecher
der Kategorie A verehrt werden, rufen Assoziationen an den Krieg hervor. Für
die Menschen in China, die viel Leid erfahren haben, stellen sie eine
Handlung dar, die ihre Gefühle reizen muss. Die Forderung der chinesischen
Seite, diese Besuche einzustellen, darf daher nicht einfach als Einmischung
in innerjapanische Angelegenheiten abgetan werden. Kann das Problem jedoch
dadurch gelöst werden, dass der Ministerpräsident seine Besuche einstellt?
Solange China den Sieg im von Japan angezettelten Angriffskrieg als Mittel
zur Beherrschung der eigenen Bevölkerung nutzt, wird das Geschichtsproblem
weiter bestehen. Ich denke, es ist nun an der Zeit, dass beide Regierungen
aufrichtig einander gegenübertreten, um objektive Regeln dafür aufzustellen,
dass das Problem der Geschichte sich nicht zu einem Problem der Politik
entwickelt, damit beide Staaten mit ihren unterschiedlichen
Regierungssystemen einträchtig nebeneinander bestehen und gedeihen können.
Umfassende Lösung für das nordkoreanische Atomproblem
Das Sicherheitsumfeld, in dem Japan sich befindet, ist nach wie vor instabil
und keineswegs transparent. Ich war an der Erstellung der Gemeinsamen
japanisch-amerikanischen Erklärung zur Sicherheit beteiligt, die 1996 von
Ministerpräsident Hashimoto und US-Präsident Clinton unterzeichnet wurde,
sowie danach auch an der Erstellung der Richtlinien für die
verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten. Damals
bestand das wichtigste Anliegen darin, das effiziente Funktionieren des
japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrags bei einem Ernstfall auf der
koreanischen Halbinsel sicherzustellen und hierfür die bislang nicht
eindeutig benannten Aufgaben Japans deutlich zu bestimmen. Diese deutliche
Bestimmung der Aufgaben Japans bei einem Ernstfall in seinem Umfeld sowie
die damit einhergehende Erstellung gemeinsamer japanisch-amerikanischer
Planungen haben das Abschreckungspotential Japans gestärkt. In der
Gemeinsamen Sicherheitserklärung wurde auch ausgeführt, dass die
militärische Situation durch das sicherheitspolitische Umfeld beeinflusst
werden kann sowie dass die Außenpolitik eine wichtige Rolle bei der
Verbesserung dieses sicherheitspolitischen Umfelds spielt. Der Besuch von
Ministerpräsident Koizumi in Nordkorea im September 2002 sowie die aus
diesem Anlass veröffentlichte Japanisch-Nordkoreanische Erklärung von
Pjöngjang kamen aufgrund dieser prinzipiellen Einstellung zustande. Bedenkt
man die historische Tatsache, dass Japan auf der koreanischen Halbinsel eine
Kolonialherrschaft ausübte und dass die Entwicklungen auf dieser Halbinsel
unmittelbare Auswirkungen auf Japans Sicherheit haben, ist es nur
selbstverständlich, dass Japan sich aktiv für die Gestaltung des Friedens in
dieser Region engagiert. Dabei muss man sich jedoch darüber im Klaren sein,
dass auch bei einem aktiven Engagement von Seiten Japans die jeweiligen
Interessen der beteiligten Staaten in komplizierter Weise miteinander
verflochten sind, so dass eine Lösung in Japans alleinigem Interesse nicht
möglich ist. Für Südkorea besteht das Problem der nationalen Versöhnung. In
China lebt im Grenzgebiet zu Korea eine koreanische Minderheit und das Land
hat große sicherheitspolitische Interessen. Für die Vereinigten Staaten
handelt es sich einerseits um die Erhaltung des Friedens in dieser Region,
daneben aber besteht auch das Problem, die Nichtverbreitung von
Nuklearwaffen als weltweite Aufgabe zu sichern. Die Sechs-Parteiengespräche
über die Frage des nordkoreanischen Atomprogramms bilden, da darin alle
beteiligten Staaten mit ihren jeweiligen Interessen eingebunden sind, einen
angemessenen Rahmen. Sollte dieser Rahmen aufgegeben werden, würden die
Aussichten für eine friedliche Lösung des Problems in weite Ferne rücken.
Darüber müssen sich alle Beteiligten einschließlich Nordkorea klar sein.
Eindeutiges Ziel der Sechs-Parteiengespräche ist die diplomatische Lösung
des Problems des nordkoreanischen Nuklearprogramms. Die entsprechenden
Lösungsvorschläge müssen jedoch auch die Forderungen Nordkoreas
berücksichtigen. Das heißt, die Aufgabe des Nuklearprogramms muss
wirtschaftliche Hilfe beinhalten und es Nordkorea ermöglichen, seine
Beziehungen zur Staatengemeinschaft auf eine üblichere Grundlage zu stellen.
Darüber hinaus muss - sollte Nordkorea dies wünschen - innerhalb der
Beziehungen zu Japan auch das Problem der Entführungen gelöst werden. Damit
sind für eine Lösung der Frage der Entführungen auch Fortschritte bei den
Sechs-Parteiengesprächen zur Lösung des Nuklearproblems notwendig. Auch
Nordkorea ist sich bestimmt bewusst, dass, wenn die Gespräche ins Einzelne
gehen, ganz selbstverständlich parallel dazu auch bilaterale Konsultationen
zwischen Japan und Nordkorea stattfinden werden.
Zunächst sind Lösungen für das Nuklearproblem, die Entführungen sowie dafür,
dass Nordkorea zu den anderen beteiligten Staaten normale Beziehungen
gestaltet, notwendig. Langfristig gesehen aber sollten die
Sechs-Parteiengespräche auch als Rahmen für die Bildung von Vertrauen auf
der koreanischen Halbinsel fortgesetzt werden. Wenn die künftigen Gespräche
einen Beitrag zur Bildung von Vertrauen sowie zur Erhaltung des Friedens in
dieser Region leisteten, würde dies die Spannungen in der Region erheblich
reduzieren und hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf die militärische
Situation. Die Mechanismen, um unmittelbar auf einen Ernstfall auf der
koreanischen Halbinsel zu reagieren, verändern sich allmählich und
beeinflussen auch die Strategie der Vereinigten Staaten, ihre Streitkräfte
an vorderster Front zu stationieren, so dass diese Entwicklung schließlich
auch Spielraum dafür schaffen kann, die Belastung durch die US-Stützpunkte
auf Okinawa zu verringern.
Förderung der Konzeption von der Ostasiatischen Gemeinschaft
Zusammen mit den derzeitigen außenpolitischen Aufgaben innerhalb Ostasiens
muss Japan sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren dafür einsetzen,
eine langfristige Planung für eine stabile Ordnung der Region zu erstellen
und diese zu verwirklichen. Die Idee einer regionalen Gemeinschaft in
Ostasien muss unter verschiedenen Aspekten gründlich diskutiert werden.
Zunächst einmal muss eine Antwort darauf gefunden werden, welchen Zweck eine
solche Gemeinschaft erfüllen soll. Ein Blick auf das aktuelle Ostasien lässt
erkennen, dass in den einzelnen Staaten eine große Vielfalt an
Regierungssystemen herrscht sowie dass die Werte, die die einzelnen
Gesellschaften für schützenswert halten, nicht identisch sind. Deshalb wird
es nicht möglich sein, sofort eine Wertegemeinschaft anzustreben; vielmehr
sollte zunächst eine funktionale Gemeinschaft geschaffen werden. Dies
bedeutet, dass eine Gemeinschaft gebildet werden sollte, bei der die
notwendigen Funktionen für die Entwicklung der Region wie etwa Handel,
Energie, Finanzen und wirtschaftliche Zusammenarbeit im Mittelpunkt stehen.
Dies hat auch Ministerpräsident Koizumi in seiner Rede in Singapur über
Zusammenarbeit in Ostasien zur Grundlage seiner Vorstellungen gemacht.
Tatsächlich setzt sich Japan mit großem Nachdruck dafür ein, nach dem
Vorbild des Abkommens mit Singapur auch mit den führenden Staaten der ASEAN
und Südkorea Verhandlungen über wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen zu
führen. Auch China und Australien führen in gleicher Weise Verhandlungen
über den Abschluss von Freihandelsabkommen innerhalb der Region. Es sollte
das Ziel sein, diese bilateralen Abkommen in Zukunft auszuweiten und eine
ostasiatische Freihandelszone zu gründen.
Die funktionelle Kooperation ist keineswegs auf Handel, Investitionen und
Finanzen beschränkt. Angesichts der hohen potentiellen Wachstumsraten in
dieser Region sollte auch die konkrete Zusammenarbeit in Fragen wie
Energieversorgung, Entwicklung und ihre effiziente Ausnutzung sowie auf der
Gegenseite auch beim Umweltschutz gefördert werden. Daneben muss auch bei
den sogenannten nichttraditionellen Aufgaben im Bereich Sicherheit wie die
Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Kampf gegen den
Terrorismus und der Schutz vor Piraterie eine enge Zusammenarbeit angestrebt
werden, die letztendlich auf eine Gemeinschaft abzielt. Wenn die Schaffung
einer Gemeinschaft mit dieser funktionellen Zusammenarbeit im Mittelpunkt
weiter vorangetrieben wird, dann rückt in Zukunft die nächste Phase in das
Blickfeld, nämlich die gemeinsam zu schützenden Werte.
Gegenwärtig bestehen in Ostasien zahlreiche unterschiedliche
Regierungssysteme. Von Demokratien mit Mehrparteiensystem bis hin zu
Diktaturen mit Einparteienherrschaft und Militärdiktaturen existiert eine
große Vielfalt. Es herrschen Unterschiede in Bezug auf die Vorstellungen
über Herrschaft sowie über die zu schützenden Werte. Innerhalb des Prozesses
der Bildung der Ostasiatischen Gemeinschaft muss eine Verbesserung der
Regierungssysteme angestrebt werden, um grundlegende demokratische Werte wie
die Achtung der Menschenrechte und Rechtsherrschaft zu gewährleisten;
zugleich müssen die entsprechenden Systeme und die Ausbildung der
Humanressourcen ausgebaut werden. Solange diese Stufe nicht erreicht ist,
ist es noch zu früh, über eine Sicherheitsgemeinschaft zu sprechen, denn
ohne gleiche Werte kann keine einheitliche Auffassung von Bedrohung erreicht
werden. Selbstverständlich ist es in diesem Zusammenhang auch wichtig, die
Kooperation im Bereich Sicherheit auf der sogenannten „weichen“ Ebene wie
vertrauensbildende Maßnahmen und Austauschprogramme im Verteidigungssektor
als funktionelle Zusammenarbeit weiter auszubauen.
Auch die Frage, wie weit Ostasien eigentlich reicht, ist sehr wichtig. Es
muss entschieden werden, welche Staaten in die Kooperation für die regionale
Integration miteinbezogen werden sollen. In der bisher geführten Diskussion
besteht Einigkeit darüber, dass die zehn Mitgliedsstaaten der ASEAN in
Südostasien sowie die drei Staaten in Nordostasien, nämlich Japan, China und
Südkorea den Kern bilden sollten. Beim im Dezember 2005 in Malaysia
stattfindenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ostasiens ist neben
den ASEAN+3 auch an eine Teilnahme Indiens, Australiens und Neuseelands
gedacht. Der Prozess zur Gestaltung einer regionalen Gemeinschaft in
Ostasien ist ein Prozess der Vertiefung der funktionellen Kooperation.
Solange die Idee von einer offenen regionalen Zusammenarbeit gewahrt bleibt,
sollten alle Staaten, die eine Beteiligung an der Kooperation in Ostasien
anstreben und dazu auch in der Lage sind, begrüßt werden. Allerdings sollten,
wenn der Zweck darin besteht, für die Gemeinschaft eine enge Kooperation zu
unterhalten, die teilnehmenden Staaten eine starke Verpflichtung für die
Schaffung einer regionalen Ostasiatischen Gemeinschaft spüren. So ist z.B.
die Präsenz der Vereinigten Staaten, was allein den Aspekt der Kooperation
mit Ostasien anbelangt, in allen Bereichen der Politik, Sicherheit und
Wirtschaft sehr groß. Allerdings ist es nur schwer vorstellbar, dass die
Vereinigten Staaten als einzige globale Weltmacht eine Verpflichtung zur
Schaffung einer Ostasiatischen Gemeinschaft verspüren. Auch Russland baut,
angefangen mit Freundschafts- und Kooperationsabkommen in Südostasien, seine
Beziehungen zur Region Ostasien aus. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich,
dass Russland, das sowohl an Europa als auch an Zentralasien und Ostasien
grenzt, einer Ostasiatischen Gemeinschaft Priorität einräumen wird. Folglich
erscheinen zunächst die ASEAN plus Japan, China und Südkorea sowie
zusätzlich Indien, Australien und Neuseeland als logische Kandidaten für die
Länder, aus denen sich die Ostasiatische Gemeinschaft zusammensetzen sollte.
Selbstverständlich ist für die Beziehungen zu Ländern wie den Vereinigten
Staaten, die für die Zukunft der Region Ostasien eine entscheidende Rolle
spielen, ein irgendwie gearteter Mechanismus erforderlich, der ständige
Konsultationen gewährleistet.
Schließlich muss bei der Förderung der Konzeption einer Ostasiatischen
Gemeinschaft diskutiert werden, was dies für die Beziehungen zu den
Vereinigten Staaten bedeutet, die als zentrale Achse der japanischen
Außenpolitik wirken. In Teilen der Vereinigten Staaten glaubt man, dass die
Idee von einer Ostasiatischen Gemeinschaft dazu diene, die Vereinigten
Staaten aus der Region zu drängen und sie der Versuch einer regionalen
Integration unter chinesischer Führung sei. Ich selbst denke, dass diese
Befürchtungen auf mangelndem Verständnis für die Art und Weise der
japanischen Außenpolitik beruhen bzw. ihre Ursache in mangelndem Vertrauen
in Japan insgesamt haben. Japan ist ein ostasiatischer Staat und - wie
eingangs bereits angeführt - es benötigt für die Sicherung seines künftigen
Wohlstands ein stabiles Umfeld. Dies bedeutet keinen Widerspruch zum
grundlegenden Koordinatensystem der japanischen Außenpolitik, nämlich dass
mein Land die Werte der Demokratie und der freien Marktwirtschaft hochhält
und, um diese zu bewahren und zu fördern, am Bündnis mit den Vereinigten
Staaten festhält und sich zugleich als Mitglied der G8 weiterhin aktiv für
die Lösung globaler Fragen engagiert. Wie bereits ausgeführt besteht für die
kommenden Jahre innerhalb der Konzeption der Ostasiatischen Gemeinschaft
kein Platz dafür, auch den Bereich Sicherheit zu integrieren.
Selbstverständlich muss Japan auch weiterhin den Vereinigten Staaten seine
Ansichten zur Zusammenarbeit mit Ostasien erläutern und um ausreichendes
Verständnis dafür werben.
Geistige Führerschaft Japans
Bei meiner Teilnahme u.a. an Zusammenkünften mit hohen Beamten aus den ASEAN
und den dort geführten Diskussionen habe ich stets empfunden, dass Japan
eine gereifte Demokratie und führende Nation ist und daher vor allem
gefordert ist, geistige Führerschaft zu übernehmen. Japan hat im Rahmen
zahlreicher internationaler Organisationen wie der G8 sowie der Vereinten
Nationen reiche Erfahrung gesammelt und es übernimmt Verantwortung bei
seinem Wirken für die Staatengemeinschaft. Dies unterscheidet es von den
anderen Staaten Ostasiens. Japan muss auf der Grundlage seiner Erfahrungen
und Kenntnisse die Vision von der Gestaltung einer Ostasiatischen
Gemeinschaft hochhalten und vorantreiben. Zugleich muss es sich aber auch
der Kosten bewusst sein, die bei der Realisierung dieser Vision auf Japan
zukommen werden. Ohne eine Neugestaltung der japanisch-chinesischen
Beziehungen macht es wenig Sinn, über die Ostasiatische Gemeinschaft zu
sprechen, und ohne Beseitigung der Bedrohung auf der koreanischen Halbinsel
wird es keine Stabilität in Ostasien geben. Um die Ostasiatische
Gemeinschaft zu realisieren, muss Japan seine Hilfe in Bereichen wie
Verringerung des wirtschaftlichen Ungleichgewichts zwischen den einzelnen
Staaten der ASEAN sowie Verstärkung der Ausbildung der Humanressourcen
erheblich ausweiten und darüber hinaus bei den Abkommen über wirtschaftliche
Partnerschaft seine Märkte großzügig öffnen.
Hitoshi Tanaka
Studienabschluss an der Juristischen Fakultät der Universität Kyoto;
Eintritt ins Außen-ministerium.
Studienabschluss an der Oxford University. Leiter des Zweiten Referats
Nordamerika, Leiter des Ostasien-Referats, Gesandter an der Japanischen
Botschaft in London, Leiter des Referats Koordination der Aussenpolitik,
stellvertretender Leiter der Nordamerika-Abteilung, Generalkonsul in San
Fransisco, Leiter der Wirtschaftsabteilung, Leiter der Abteilung
Asien-Ozeanien, stellvertretender Außenminister. Seit August 2005 im
Ruhestand.
(Quelle: Gaiko Forum, Oktober 2005)
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