„Seht, dies ist der Ort, wo einst die gewaltige Burg stand -
genannt, das Schloss im Spinnwebwald.
Dies ist die Stätte, wo einst ein großer Krieger lebte,
ehrenreich im Kampf gegen den Feind,
aber betört von einer Frau, das Blut der Freunde zu vergießen.
Der Pfad des Bösen ist der Weg der Verdammnis.
Unaufhaltsam ist ihr Lauf.“
Ein Klassiker in zweierlei Hinsicht ist dieser Film aus dem Jahre 1957.
Klassisch zum einen, da er ein Werk von Akira Kurosawa, dem wohl größten
japanischen Regisseur aller Zeiten, ist und zum anderen, da sich dieser (wie
auch in „Ran“) auf niemand Geringeren als William Shakespeare, den wohl
größten Poeten und Menschenkenner Europas, beruft.
Es ist die Geschichte um „Macbeth“, eine blutige Parabel um Ehrgeiz,
Loyalität und Gewissen, die Kurosawa ins mittelalterliche Japan verlegt und
mit den Mitteln japanischer Jidaigeki nahe bringt.
Taketoki
(Toshiro Mifune), Samurai der Kumonosu, kehrt von einem siegreichen Feldzug
zurück, als er sich mit seinem Freund im Spinnwebwald verirrt und dort auf
einen Geist trifft. Dieser spinnt, den Parzen (oder Nornen), den
Schicksalsgöttinnen der römischen (germanischen) Mythologie, gleich, die
Schicksalsfäden der Menschen und damit auch den Taketokis.
Die Weissagung, er werde eines Tages Herr des Schlosses sein und an Königs
statt herrschen, lässt Taketoki nicht mehr los. Von seiner Frau angestachelt,
verfängt sich der redliche Krieger im Dickicht seines eigenen Ehrgeizes und
seines Misstrauens, aus dem er nicht wieder herausfindet, bevor er seine
Freunde getötet, die Macht an sich gerissen und alles verloren hat.
Die
zeitlose Parabel auf die Natur des Menschen, die zum einen ehrenhaft und
geradlinig, aber gleichzeitig verschlagen und skrupellos sein kann, je
nachdem, von welchen Motiven sie getrieben wird, bleibt nah an Shakespeares
Plot. Beindruckend die japanische Lady Macbeth, die in undurchschaubarer No-Maske
und mit völlig emotionsloser Stimme ihren Mann in Mord und Wahnsinn treibt.
Harte Schwarz-Weiß-Kontraste statten den Film mit einer ungeheuren visuellen
Wucht aus und lassen den Zuschauer verstört und nachdenklich zurück. Ist
Schicksal das, was einem vorbestimmt ist? Ist es etwas, was sich erfüllt,
ohne dass man es ändern kann? Oder ist Schicksal eine selbsterfüllende
Prophezeiung, der man erst durch Taten ihren Weg bahnt?
Fazit: Der Wald von Birman besteht aus dichtem japanischen Unterholz.
Kurosawa adaptiert Shakespeare nah an der Vorlage und verleiht ihr durch die
ritualisierte japanische Erzählweise neue Kraft. Die universelle Frage um
Moral, Loyalität und Ehrgeiz ist aktueller denn je.
* J.G. (Diese Rezension
stellt eine individuelle Meinung dar und vertritt nicht
die offizielle Haltung der Botschaft von
Japan)
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