Vom 25. bis 30. Mai fand im Berliner Kino Babylon-Mitte das
Kunstfestival „Rencontres
Internationales“ statt, bei dem Nachwuchsregisseure und Gegenwartskünstler
vorgestellt wurden. Dieses Festival lief außer in Berlin auch in Paris und
Madrid, wo jeweils die selben Filme gezeigt wurden. Insgesamt waren rund
zweihundert Filme aus sechzig Ländern zu sehen, darunter auch aus Japan. Im Bereich „Berichte in der Geschichte“ wurde
beispielsweise ein Experimentalvideo von Ichiro SUEOKA aufgeführt.
Der
Regisseur Ichiro SUEOKA (Jahrgang 1965) hat bislang über achtzig
Experimentalfilme gedreht, die auf zahlreichen Experimentalfilm-Festivals
weltweit gezeigt wurden. „Ein Sommer in Deutschland“ ist ein Bestandteil der Serie „Re-interpretations
for the private films“, die sich mit dem Thema befasst, den Experimentalfilm
unter historischen Blickwinkel zu erneuern. SUEOKA stieß zufällig auf einen
Amateurfilm, den 1931 ein in Berlin lebender japanischer Diplomaten drehte.
Für seinen Film „Ein Sommer in Deutschland“ hat er daraus Ausschnitte
genommen, die Bilder multipiziert und mit einem monotonen Ton
unterlegt. Der Film dokumentiert in Schwarz-Weiß die Reise eines Japaners
durch das Deutschland der Vorkriegszeit. Man sieht Menschen, die auf dem
Havelsee am Rande Berlins rudern, auf der Pfaueninsel stolzierende Pfauen
und Spaziergänger, eine riesige Menschenmenge, die gespannt auf die Ankunft
eines Luftschiffes wartet, ein Fest in der Lausitz, bei dem Frauen in
Trachten einen Volkstanz aufführen, eine Familie in einem Ruderboot oder
auch das ewige Eis der Gletscher und des Gipfels der Zugspitze. Schließlich
fehlt auch die Felswand der Loreley nicht, die über dem rasch
dahinströmenden Rhein aufragt.
Vielleicht sind diese Aufnahmen eines Japaners, der Deutschland vor über
siebzig Jahren besuchte, die gleichen Aufnahmen, die auch heute japanische
Touristen in Deutschland auf Foto oder Video bannen. SUEOKA aber, der diesen
vielleicht nur banalen „Amateurfilm“ aufmerksam betrachtete, erkannte darin
doch eine Sensibilität, wie sie den Regisseuren der zwanziger Jahre eigen
war, sowie Japanern eigene Ästhetik. Der Veranstalter des
Berliner Festivals schilderte seinen Eindruck von diesem Film so: „Hier ist
Deutschland ein exotisches Objekt. Es mag dem so genannten ‚Klischee’ von
Deutschland entsprechen, aber die Landschaften, Menschen und Bräuche, die in
diese Bilder aus dem Jahr 1931 aufgenommen wurden, gingen
durch den Krieg verloren, so dass man vielleicht sagen kann, dass diese
‚Klischees’ verschwunden sind.“ Dieser kurze Beitrag von sieben Minuten Dauer
regt den Zuschauer dazu an, sich Gedanken über die Geschichte zu machen
sowie auch einmal darüber zu sinnieren, was ein „Klischee“ ist.
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