Botschaft von Japan
Neues aus Japan Nr.32                                    Juli 2007

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Interview mit dem Schriftsteller Hitonari Tsuji

 

Im Mai fand in der Mori-Ogai-Gedenkstätte der Humboldt-Universität Berlin eine Lesung des Autors Hitonari Tsuji statt. Hitonari Tsuji (Jahrgang 1959) ist als Rock-Musiker, Schriftsteller und unter dem Namen Jinsei Tsuji (die Schriftzeichen seines Vornamens in sino-japanischer Lesung) auch als Filmregisseur bekannt. 2001 war er mit seinem Film „Hotoke“ bei den Internationalen Berliner Filmfestspielen vertreten. 1997 wurde Tsuji mit einem der wichtigsten japanischen Literaturpreise, dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet. 1999 erhielt er zudem den französischen Prix Fémina Etranger. Seit fünf Jahren lebt und arbeitet Tsuji in Paris. In Frankreich liegen bereits sieben seiner Werke in Übersetzungen vor. In Deutschland erschien im Herbst 2006 sein Roman „Warten auf die Sonne“.

 

 

 

Neues aus Japan: Bei der Lesung lasen deutsche Schauspieler Auszüge aus „Warten auf die Sonne“, die sie dann anschließend auf Japanisch wiederholten. Was für ein Gefühl ist das, wenn einem das eigene Werk auf Deutsch vorgelesen wird? Und wie war die Reaktion des Publikums?

Tsuji: Ich habe die Schönheit gespürt, die der deutschen Sprache innewohnt und zum ersten Mal gemerkt, was für eine rhythmische Sprache Deutsch ist. Sicher waren auch die Schauspieler ganz hervorragend, aber selbst ohne die Sprache zu verstehen, konnte ich das erkennen. Ich denke, die Übersetzung ist ganz ausgezeichnet.  Auch die Lesung im Literaturhaus München war sehr gut besucht, allerdings richteten sich die Fragen des Publikums hauptsächlich auf meine Betrachtungsweise des Krieges, eines der Themen von „Warten auf die Sonne“.
Der Roman spielt im Tokyo der Gegenwart, schildert aber auch den Japanisch-Chinesischen Krieg und den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Er besitzt also eine sehr komplexe
Handlungsstränge. Der Krieg ist aber nur eines der Themen, denn „Warten auf die Sonne“ ist eigentlich ein Roman über die Liebe. Ich habe versucht, die Geschichte der Vergangenheit für die Zukunft weiter zu vermitteln und dabei die Liebe von heute zu schildern. Ich habe den Roman 1999 geschrieben, als ich der Auffassung war, dass man die Ereignisse des 20. Jahrhunderts dem neuen Jahrhundert vermitteln muss. Ich machte mir Sorgen darüber, was das neue Jahrhundert bringen würde. Indem ich die Vergangenheit genau betrachtete und sie dem 21. Jahrhundert vermittelte, wollte ich eine Hoffnung für die Zukunft aufzeigen. So wie der Held des Romans, der Regisseur Sakata, in China einen Propagandafilm für die japanische Regierung dreht und durch diesen Film den Krieg anklagen will, so wollte auch ich mein Anliegen den Lesern durch einen Liebesroman mitteilen.

NaJ: Ist es für einen Schriftsteller, der auf Japanisch schreibt, nicht schwer, im Ausland zu leben und literarisch dort tätig zu sein, wo die Reize, die man durch die eigene Sprache empfängt, eher gering sind?

Tsuji: Das Gegenteil ist der Fall. Ich denke, mein Umzug ins Ausland war der Anlass, dass ich mich nicht mehr von der Sprache eingeengt fühlte, sondern sie viel freier erlebte. Früher habe ich mich auf den Stil konzentriert und in einem klassischen Stil geschrieben. Heute bin ich nicht länger von der Sprache gefangen, sondern kann viel freier mit ihr umgehen. Ich habe mir überlegt, wie die Möglichkeiten, die das Japanische besitzt, durch die Übersetzung in eine andere Sprache ausgeweitet werden können und achte deshalb stets auf das Tempo und den Rhythmus. Weil ich auch Filme gedreht habe, habe ich die Filmtechnik des Cut-Back benutzt. Ich überlegte mir, ob ich nicht ein Werk verfassen könnte, das von meiner eigenen Sicht der Welt erfüllt ist, und habe dann „Warten auf die Sonne“ geschrieben. Allerdings besteht - unabhängig vom Stil - ein wesentlicher Aspekt darin, das eigene Ich zum Ausdruck zu bringen. Also über das Jetzt zu schreiben. Als Zeuge der zunehmend komplexer werdenden Welt von heute nutze ich Sprache und Film als Ausdrucksmöglichkeit. Allerdings kann ich das, was ich sagen will, nur in sehr beschränktem Umfang ausdrücken.
Seit ich in Frankreich lebe, beschäftige ich mich viel mehr mit Japan und seiner Geschichte. Ich habe Japan vor fünf Jahren verlassen und kann es jetzt aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachten, als ich noch selbst dort lebte. Wenn ich jetzt nach Japan zurückkehre, merke ich, dass ich Japan mit den Augen eines Fremden sehe. Gleichzeitig hbae Ich begonnen, über den Verlauf der Geschichte nachzudenken und verstanden, was ich schreibe und was ich schreiben muss.

NaJ: Was bedeutet das genau?

Tsuji: Seit sich die Welt durch den 11. September verändert hat, ist mein durchgängiges Thema die Vermittlung der Gegenwart. Mein nächster Roman spielt in Tokyo und handelt von Schülern. Ich denke, die Ängste der jungen Menschen in Tokyo unterscheiden sich irgendwie von den Ängsten der jungen Leute in Frankreich. Nach der Präsidentschaftswahl neulich gingen in Paris Autos in Flammen auf. Eine derart unmittelbare Gewalt gibt es in Toyko zwar nicht, aber dafür existieren andere Formen von Gewalt in unserer Gesellschaft, die nicht so sichtbar sind. In Japan tritt vermehrt das Phänomen auf, dass junge Menschen über das Internet Gleichgesinnte suchen und dann gemeinsam mittels Kohlenmonoxyd Selbstmord begehen. Diese jungen Menschen kämpfen tagtäglich mit einer nicht sichtbaren Angst. Seit ich im Ausland lebe, habe ich das Gefühl, über das Tokyo der Gegenwart schreiben zu müssen. Das eigene Leben wie mit einer Schwere abschneiden und beenden ... sich über das Internet zusammenzufinden und zu sterben ... ich finde das sehr beängstigend. Ich frage mich, was ich als Autor für diese Menschen tun kann, die inmitten großer Verzweiflung leben. Ich möchte ihnen jetzt Hoffnung geben. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt, aber ich setze meine Arbeit jedenfalls fort.

(c) Botschaft von Japan

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