NaJ: Frau Nagel, was war denn in Japan für Sie
neu, besonders im Alltagsleben oder in den zwischenmenschlichen
Beziehungen etc. - abgesehen von der Sprache?
Frau Nagel:
Bei der Arbeit war für mich zuerst einmal neu, dass wir in einem
Großraumbüro mit 15 Leuten gearbeitet haben. Der Lärmpegel war natürlich sehr
hoch, aber ich habe dann auch schnell die Vorteile erkannt. Die
Kommunikation geht viel schneller, man kann direkt seinen Gegenüber fragen,
„Wie geht denn das?“ oder „Hast du da irgendwelche Tipps?“ Die Leute waren
einfach sehr nah und greifbar. Ich habe z.B. am Anfang immer sehr genau
zugehört, mit was für Höflichkeitsfloskeln die japanischen Kolleginnen
Telefonate annehmen, so dass ich später selber - zumindest den Anfang und
das Ende - immer ganz gut hinbekommen habe.
Japaner drücken sich manchmal nicht so direkt aus. Bei vielen Gesprächen
musste ich hinterher noch mal nachfragen, „Heißt das jetzt das und das?“,
oder „Soll ich jetzt konkret das und das tun?“ Manchmal ging mir da auch die
Geduld aus, wenn mir nach einem langem Gespräch letztlich nicht klar war,
was es nun konkret bedeutet. Ich habe dann wie meine Kollegen auch die
Aussagen noch mal wiederholt und einfach gefragt, ob es das und das
bedeutet.
Interessant fand ich den Umgang mit Besuchern und Gästen. Zurück in
Deutschland war ich schon etwas erstaunt über die Art und Weise, wie
Besucher behandelt werden. In Japan steht man selbstverständlich auf und
geht hin, um zu fragen, ob man helfen kann. Man wird in Japan auch nie laut
... egal wie unverschämt der Kunde ist. Das fand ich schon spannend!
NaJ: Konnten Sie neue Ideen oder eigene
Projekte einbringen bei der Arbeit?
Frau Nagel:
In einem gewissen Rahmen ging das, ja. Wenn z.B. klar war,
dass
ich einen Vortrag halten muss, dann
hatte ich da schon relative Freiheiten – z.B. bei den Inhalten – der Rahmen
war aber vorbestimmt, den zu ändern war dann schon schwierig. Im ersten Jahr
wäre ich aber auch gar nicht auf die Idee gekommen, eigene Projekte
einzubringen. Ich war so beschäftigt, mich an alles zu gewöhnen und die
Dinge auf die Reihe zu kriegen, die von mir verlangt wurden. Im 2. Jahr war
das dann schon viel besser, und im 3. Jahr hatte ich dann schon Lust, das
eine oder andere auf eine andere Art zu machen oder etwas ganz Neues. Das
war nicht ganz leicht, und es war wegen der Hierarchie vor allem wichtig,
wen man da als Erstes fragt, weil es ja dann alles
seinen korrekten Weg nach oben geht.
NaJ: Sie haben sich anscheinend sehr gut
angepasst und eingefügt. Wie konnten Sie z.B. diese Hierarchie in Japan
akzeptieren?
Frau Nagel:
Ich kann ja Japanern nicht vorwerfen, dass sie japanisch sind! Es gibt
Grenzen, aber jeder hat sein Ding und seine Welt, und das ist dann in
Ordnung. Ich habe es mir abgewöhnt, so gut wie möglich jedenfalls, Urteile
auszusprechen.
NaJ: Wie haben Sie Kontakte zur Japanern
gefunden?
Frau Nagel:
Einmal über die Arbeit, man sitzt ja von 9.30 bis 17.30
Uhr mit den Kollegen
zusammen. Aber abends alleine zu sein, tat mir nicht gut, und so habe ich
mir Sport gesucht – wie ja in Deutschland auch. Zuerst waren das dann nur
Bekanntschaften, aber nach und nach sind einige Freundschaften daraus
geworden, es dauert eben in Japan doch lange.
NaJ: Konnten Sie Ihre Kontakte nach Deutschland
über die drei Jahre gut pflegen?
Frau Nagel:
Ja! Ach, gute Freunde, die behält man einfach. Nach dem Studium gab es ja
für alle einen Umbruch, Telefonieren war wegen
der
Zeitverschiebung schon
schwierig, aber beim E-mailen
ist es letztlich egal, wo man lebt. Ich habe neben meinen Eltern auch alle
Freunde zu mir nach Japan eingeladen – das war mir schon wichtig. Meine
Freunde und Bekannten haben auch vielfach durch Studium, Judo oder so
Interesse an Japan, nur meine Eltern konnten nicht
einmal Englisch, da musste
ich dann ständig dolmetschen.
NaJ: Wie war das für Sie mit dem Dialekt in
Kagawa?
Frau Nagel:
Im Büro haben alle Leute Hochjapanisch gesprochen, aber beim Sport war es
manchmal schon schwieriger. Ältere Leute außerhalb der Stadt, wo es dann
rasch sehr ländlich wurde, habe ich wegen ihres starken Dialekts z.T. bis
zum Schluss nicht verstanden.
NaJ: Ist es auf dem Land nicht um einiges
konservativer?
Frau Nagel:
Viele sagen, Takamatsu sei so ländlich, aber es ist eigentlich eine große
Stadt. Sie ist gut zum Wohnen, es ist alles da. Tokyo oder so ist
interessant, aber nach ein paar Tagen wird es schnell zu viel. Es gibt
weniger Ausländer in Takamatsu, man wird schon mehr angeschaut auf der
Straße ... Ich denke, für Japanerinnen ist es sicher um einiges strenger als
in einer Metropole. Aber als Ausländerin falle ich da eh schon ein Stück
weit raus. Wenn ich etwas gemacht habe, das nicht so ganz konservativen
Vorstellungen entspricht, dann bin ich ja immer noch Ausländerin! Da habe
ich mir dann gesagt, das ist jetzt im positiven Sinne mein „Ausländerbonus“.
Für JETler, die in ganz kleinen Dörfern gewohnt haben, war das sicher noch
etwas schwieriger als für mich in Takamatsu.

Heiraten ist in Japan z.B. immer ein Thema und ich habe dann erklärt, dass
man in Deutschland nicht so früh heiratet, und mir auch von meiner Mutter
empfohlen wurde, erst mit einem Mann vorher zusammen zu leben und sich
wirklich gut kennen zu lernen bevor man heiratet.
NaJ: Das ist dann Internationalisierung, wenn
die Leute andere Werte kennen lernen!
Wie war das mit Urlaub nehmen? Bekamen Sie z.B. Überstunden vergütet?
Frau Nagel:
Überstundengeld habe ich nicht bekommen, aber ich konnte sie mit Freizeit
ausgleichen.
Einmal wollte ich nach New York fliegen, weil ein Freund von mir da
geheiratet hat, das war dann schwierig. Urlaub für
eine Reise
nach Hause nach
Deutschland zu bekommen war nie ein Problem, aber ansonsten so weit weg zu
fliegen und an so einen gefährlichen Ort ... war schwierig ... es ging allerdings dann schon, wenn man
genau hinterließ, wann und unter welcher Telefonnummer erreichbar
war.
Manche JETler fühlten sich kontrolliert, oder fanden es lästig, dass man
sich immer abmelden muss, aber ich dachte, so weit kann ich ihnen entgegen
kommen, dafür dass ich dann meinen Urlaub nehmen kann wie ich will.
NaJ: Was hat Sie in den drei JET-Jahren
besonders geprägt?
Frau Nagel:
Das Prägendste im zweiten und dritten Jahr war der PA-Job, also der
Prefectoral-Advisor-Job, (Anm. der Redaktion: der PA ist ein interner
Ansprechpartner für alle JETler der Präfektur und damit Teil eines
Unterstützungssystems innerhalb des JET-Programms in Japan).
Es kam nur drei oder vier Mal vor, dass wirklich schlimme Probleme an mich
herangetragen wurden, die mir dann aber auch fast den Schlaf geraubt haben.
Z.B. war eine Frau zu Weihnachten in
Thailand gewesen und kam dann zu mir
und sagte, sie
befürchte, sie habe sich Aids geholt. Man muss ja dann drei Monate warten,
bevor ein Test etwas nützt. Ich habe beim Gesundheitsamt und Krankenhaus für
sie angerufen. In der Wartezeit war sie durch die Angst wirklich stark
psychisch angegriffen. Ich habe sie damals gefragt, ob ich sie nicht an
jemanden Professionellen weiterleiten soll, aber das wollte sie auch nicht.
Zum Glück war dann nichts!
NaJ: Wie sind Sie zu dem
Prefectoral-Advisor-Job gekommen?
Frau Nagel:
Ich wurde gefragt, ob ich das nicht machen möchte. Es gab mehrere dreitägige
Fortbildungen in Tokyo durch professionelle Psychologen. Man blieb aber
natürlich nur erste Anlaufstelle und sollte auch klar sagen, wenn man
überfordert ist, und dass man dann die- oder denjenigen an andere Stellen
bzw. Profis weitervermitteln möchte.
NaJ: Gab es durch die drei Jahre auch einen
Einfluss auf Ihre innere Entwicklung ?
Frau Nagel:
Ja, auf jeden Fall. Ich habe festgestellt,
dass
alles immer irgendwie klappt.
Man wird vor eine Aufgabe gestellt, man hat das noch nie gemacht und dann
macht man sich Gedanken, fragt andere um sich herum und fängt einfach an.
Und meistens klappt es dann auch irgendwie. Und auch wenn etwas nicht
hundertprozentig klappt, geht trotzdem die Sonne am nächsten Tag wieder auf!
NaJ: Sie haben Gelassenheit entwickelt?
Frau Nagel:
Ja, und mein Selbstvertrauen hat sich entwickelt. Dann denke ich, dass ich
ein Stück geduldiger geworden bin - auch mit mir selbst. Man kann in Japan
plötzlich lauter Dinge nicht mehr alleine, die man in Deutschland selber
machen
kann, wie
Ämtergänge
zum
Beispiel. Alles dauert länger. Man muss dann einfach mit sich geduldiger
sein und auch mit seiner Umgebung. Inwieweit ich mich dort entwickelt habe,
werde ich aber wahrscheinlich erst nach einem größeren Zeitabstand richtig
verstehen. Man merkt auch, was man an Deutschland hat. Man muss wohl einmal
richtig rauskommen um zu verstehen, was man an seinem Zuhause und an seiner
Familie hat.
NaJ: Hätten Sie nicht noch länger in Japan
bleiben wollen?
Frau Nagel:
Eigentlich wollte ich nur ein Jahr bleiben. Dann dachte ich, jetzt läuft es
gerade mal gut, jetzt bleibst du noch. Vom 2. zum 3. Jahr habe ich schon
gezögert, weil mir war klar, für immer will ich nicht in Japan bleiben, das
heißt, irgendwann musste ich den Absprung schaffen.
Je länger man weg ist, und je älter man wird, desto schwieriger wird ja auch
der Wiedereinstieg in Deutschland. Deswegen habe ich dann auch gleich
entschieden, danach nicht noch einmal zu verlängern.
NaJ: Haben Sie abschließend noch ein kurzes Fazit für
uns?
Frau Nagel:
Die drei Jahre als JET in Japan waren eine nicht immer einfache aber auf
jeden Fall schöne Erfahrung!
NaJ: Vielen Dank für dieses Gespräch!
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