Botschaft von Japan |
Neues aus Japan Nr.52 März 2009 |
Home | |
Rede PM ASÔ in Davos | |
JET in Saitama | |
Preis für MURAKAMI | |
Kôichi KISHI | |
Japanisch lernen | |
Filme aus Japan | |
Kalender des Monats |
Bericht eines Teilnehmers am JET-Programm: Das Warten hat sich gelohnt! |
||
Jedes Jahr Anfang August machen sich junge deutsche Hochschulabsolventen auf
den Weg nach Japan, um sich für die Internationalisierung Japans zu
engagieren. Dies geschieht im Rahmen des
Japan Exchange and Teaching (JET) Programms, mit dem jährlich fast 5000
junge Menschen aus fast 40 Ländern hauptsächlich als Assistenz-Sprachlehrer
oder Sporttrainer in Schulen arbeiten bzw. in Rathäusern oder
Präfekturverwaltungen außerhalb der großen Zentren wie Tokyo oder Osaka im
Bereich Internationale Beziehungen assistieren. |
||
Hier sitze ich nun im Lehrerzimmer und denke darüber nach, was ich schreiben könnte. Ich bin fast allein im Lehrerzimmer. Nur vereinzelt brüten die Kollegen über Korrekturen oder neuen Testfragen. Die Klassenräume sind vollkommen leer. Kein Schüler ist weit und breit zu sehen. Nur ganz dumpf höre ich von irgendwoher aus dem Schulgarten ein ganz besonders fleißiges Mitglied des Blasorchesterclubs für den nächsten Auftritt üben. Morgen beginnen die Aufnahmeprüfungen für rund 1600 Schüler. Zwei ganze Tage lang werden alle 15-jährigen Mittelschülerinnen und Mittelschüler geprüft, getestet und interviewt, die ab dem kommenden April hier an der Inagakuen lernen möchten. Sie kommen aus der gesamten Präfektur Saitama und teilweise auch aus den Nachbarpräfekturen. Hier sitze ich nun mit kalten Fingern und meinem Fließdeckchen um die Beine gewickelt – obwohl es auch auf der Hauptinsel Japans im Winter recht kalt wird (heute Nacht waren es etwa null Grad) ist Zentralheizung ein Fremdwort – und zerbreche mir den Kopf über diesen Bericht. Als man mich fragte, ob ich nicht etwas über meine Erfahrungen als AGT (Assistant German Teacher) für „Neues aus Japan“ schreiben wolle, sagte ich spontan zu und bekam dann aber einen kleinen Schreck: „Ich bin doch erst ein halbes Jahr hier!! Was soll ich da groß schreiben?!“ Und jetzt, nachdem ich etwas überlegt habe, fällt es mir schwer, mich auf einen kurzen Text zu beschränken... Der Zug war rappel voll. Die Sonne stand schon tief, aber wärmte noch angenehm – ein schöner spätsommerlicher Tag. Etwas regte sich in dem Menschenpulk neben mir. Aika kämpfte sich zu mir vor, baute sich vor mir auf, holte tief Luft und wurde endlich ihre Frage los: „Wo wohnen Sie?“ Die Anspannung verschwand aus ihrem Gesicht und machte einem Lächeln Platz, dem man die ganze Freude, Erleichterung und vor allem den Stolz ansah, den sie jetzt empfand. Aika schaute mich erwartungsvoll an. Als ich meinen Blick etwas hob, entdeckte ich hinter ihr ihre Freundinnen, die mich jetzt ebenso gespannt anschauten. „Ich wohne in Ina-machi.“ Aikas Gesicht zeigte einige Sekunden lang einen sehr konzentrierten Ausdruck und erstrahlte dann aufs Neue. Sie drehte sich rasch zu ihren Freundinnen um und beriet sich kurz. Darauf folgte ein lautes und begeistertes „Ahhhhhh....“. Als nächstes bekam Keiko einen Knuff in die Seite. Nun war sie an der Reihe mich zu fragen. So oder so ähnlich sah einer der ersten Annäherungsversuche meiner Ninensei (Schüler im zweiten Jahrgang) auf einem Schulausflug nach Kamakura anlässlich des Besuchs unserer Partnerschule aus Düsseldorf im Oktober aus. Und das sind auch die Momente, die mir am meisten Spaß machen. Natürlich freue ich mich auch, wenn meine Schüler im Unterricht einen grammatisch einwandfreien Satz inklusive Nebensätzen und richtig benutzter Konjunktionen vortragen. Aber da weiß ich, dass der Satz zuvor ins Heft geschrieben und womöglich zwischendurch noch eine Grammatik zur Hilfe genommen wurde. Ntürlich war auch Aikas Frage lange geplant und wahrscheinlich mit den Freundinnen zusammen konstruiert worden, aber sie hat sie von sich aus, ohne den Druck einer Hausaufgabe oder einer Konversationsübung im Unterricht, aus purer Neugier gestellt. Sie wollte ihr Deutsch in freier Wildbahn testen und war erfolgreich. Seit August bin ich nun in der Inagakuen Oberschule als Assistenzlehrerin für Deutsch im Rahmen des JET-Programms. Jeden Tag schwinge ich mich auf mein Fahrrad, nachdem ich die Tasche mit Büchern und mein selbstgemachtes Bento (Lunchbox), in das Körbchen vorne am Lenker platziert habe. Ich radele vorbei an vielen Wohnhäusern, Obstbaumplantagen und vereinzelt auch an Reisfeldern. Zwischendurch donnert ein Shinkansen an mir vorbei. Wenn ich das große Einkaufszentrum erreicht habe, bin ich fast schon da. Zusammen mit den Schülern warte ich brav an der Ampel bis sie auf grün springt und einer meiner Kollegen uns mit einem gelben Fähnchen über die Straße winkt. Die Schule ist riesig. Über 2500 Schüler besuchen sie täglich und das ist hier wörtlich zu nehmen, da die Schüler und natürlich auch die Lehrer, wie in Japan üblich, auch oft am Wochenende und in den Ferien in der Schule sind. Da finden dann die verschiedenen Clubaktivitäten, wie Baseball, Fußball, Synchronschwimmen, Bogenschießen, Teezeremonie, Manga-Zeichnen (die Liste kann beliebig fortgesetzt werden) statt. In der Schule angekommen parke ich mein Fahrrad, betrete das Schulgebäude, tausche meine Straßenschuhe gegen meine Schulhausschuhe und laufe die Treppe hoch ins Lehrerzimmer. Kurz darauf klingelt es schon das erste Mal und das allmorgendliche Meeting beginnt. Danach habe ich noch etwas Zeit, meine Sachen für den Unterricht zurechtzulegen und mir noch mal den geplanten Unterrichtsverlauf ins Gedächtnis zu rufen. Ich unterrichte im Durchschnitt vier Stunden Deutsch am Tag in den drei verschiedenen Jahrgangsstufen. Ich lehre aber nicht allein, sondern stets in Zusammenarbeit mit einem meiner beiden japanischen Kollegen. Manchmal teilen wir den Unterricht untereinander auf, so dass mein Kollege den theoretischen Teil übernimmt und ich dann für die Konversation oder die Landeskunde zuständig bin, meistens unterrichten wir aber wirklich zusammen. Nicht nur die Größe meiner Schule ist etwas Besonderes, sondern auch die Tatsache, dass sich die Schüler, ähnlich wie in der gymnasialen Oberstufe in Deutschland, spezialisieren können – zum Beispiel etwa auf Deutsch. Während meine Schüler des ersten Jahrganges nur vier Stunden Deutsch pro Woche haben, was in Japan für eine zweite Fremdsprache schon außergewöhnlich viel ist, haben die des zweiten Jahrganges schon sechs und die des dritten Jahrganges sogar acht Stunden Deutsch. Die Inagakuen ist eine der wenigen Schulen in Japan, die es ihren Schülern ermöglicht, im Fach Deutsch auch die Aufnahmeprüfung für die Universität zu machen. Dadurch entsteht natürlich ein gewisser Druck für die Schüler und somit auch für uns Deutschlehrer. Aber anders als etwa Englisch, ist Deutsch ein Wahlfach, so dass das Unterrichten sehr angenehm ist. Die Schüler sind motiviert und interessiert, die Klassen sind überschaubar und es herrscht eine gute Arbeitsatmosphäre. Als ich meine Schüler fragte, weshalb sie Deutsch gewählt haben, kamen recht verschiedene Antworten. Die einen interessieren sich für klassische Musik, die anderen spielen gern Fußball, anderen gefallen die deutschen Landschaften, einige wollten eine möglichst exotische Sprache lernen, weil sie sich für Sprachen interessieren oder aber weil Deutsch etwas ist, was nur wenige können. Sie möchten eben anders sein als die anderen.
Endstation Omiya. Zusammen mit den Anzug tragenden Salarymen und den jungen Officeladies in dunklen Röcken und beigefarbenen Trenchcoats lasse ich mich auf den Bahnsteig schwemmen. Ich lasse mich weiter durch die Sensorschleuse spülen und marschiere weiter mit der stummen Masse zum JR-Eingang. Dort trennen sich aber unsere Wege – meiner und der meiner stummen Mitfahrer. Während die meisten zu den Gleisen streben, die Richtung Tokyo führen, wähle ich eines, das in die entgegengesetzte Richtung führt – nach Kuki. Von Kuki bringt mich dann ein Zug weiter nach Kazo, wo ich einmal in der Woche an einer anderen Schule unterrichte. Auch an der Fudooka Oberschule gebe ich in Zusammenarbeit mit einem japanischen Kollegen Deutschstunden. Davon haben die Schüler hier nur zwei pro Woche und werden nicht auf die Aufnahmeprüfung in Deutsch vorbereitet. Einerseits hat man dadurch mehr Freiheit in der Wahl der Themen und der Bestimmung des Progressionstempos, andererseits erreichen die Schüler hier nicht das hohe Niveau der Schüler meiner anderen Schule. Deshalb bemühe ich mich, den Unterricht so zu gestalten, dass die Schüler vor allem Spaß beim Deutschlernen haben und dann an der Universität ihr Deutsch vertiefen. Mein Leben in Japan besteht aber nicht nur aus der Vermittlung der deutschen Sprache, sondern auch daraus, meinen Schülern und den Menschen in Ina-machi und Umgebung deutsche Alltagskultur, wie etwa das Schulsystem oder das Lieblingsessen der Deutschen näher zu bringen und allgemeine Vorurteile auszuräumen („Nein, in Deutschland trinkt man nicht zu jeder Mahlzeit Bier“). Ab und zu kommen ehemalige Schüler der Inagakuen zu mir und möchten wissen, wie das Leben an einer deutschen Universität aussieht, weil sie bald für ein Semester nach Deutschland gehen. Erwachsene möchten Reisetipps haben, wie etwa, was man sich in Deutschland unbedingt ansehen sollte, ob man besondere Kleidung benötige und ob es ein sicheres Reiseland sei. Außerdem sehe ich eine ganz wichtige Aufgabe darin, die Schüler aber auch die Menschen, denen ich im Alltag begegne, dafür zu sensibilisieren, dass nicht alle Ausländer automatisch Amerikaner sind. Denn obwohl ich nicht allzu weit von Tokyo, dem geographischen und (inter)kulturellen Zentrum Japans, entfernt wohne, sind die Menschen hier oftmals etwas unbeholfen im Umgang mit Nicht-Japanern. Meist wird man einfach auf Englisch angesprochen – wenn man denn angesprochen wird – in der Annahme, dass man als Ausländer ohnehin kein Japanisch verstehe und höchstwahrscheinlich aus den USA komme. Ich versuche dem, so oft es geht, freundlich aber bestimmt entgegen zu wirken, nicht nur bei der Arbeit, sondern auch nach Feierabend oder am Wochenende. Apropos Wochenende: auch in Japan gibt es ein Wochenende und noch dazu erfreulich viele Feiertage. Diese verbringe ich, wie viele Japaner auch, gerne mit kleinen Reisen und Ausflügen in die nähere Umgebung, zu sehenswerten Städten, Tempeln und Schreinen oder einfach in die Berge, oder etwa nach Kyoto oder Hokkaido. Da mein Städtchen neben der riesigen Schule und dem großen Einkaufszentrum direkt daneben recht wenig zu bieten hat, treffe ich mich an „normalen“ Wochenenden oft mit Freunden in Tokyo, besuche Konzerte oder lasse mich von den Konsumparadiesen in Shinjuku oder Shibuya zum Geldausgeben verführen. Genau das mag ich gern an Ina-machi: einerseits kann ich hier das eher ländliche Leben genießen. Ich kann Obst und Gemüse frisch vom Feld kaufen, mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und bei klarem Wetter die Berge am Horizont bewundern. Andererseits erfahre ich auch den Alltag eines Pendlers im Großraum Tokyo, wenn ich nach Kazo fahre, und wenn ich Lust auf Lichtermeer und Großstadtgetümmel habe, dann bin ich in einer Stunde und fünfzehn Minuten mitten in der Hauptstadt. Ich bin zwar erst sechs Monate hier, habe aber auch schon viel gelernt und erlebt. Als ich mich das erste Mal beim JET-Programm beworben habe, ist leider keine Stelle für mich frei geworden, da meinen Vorgängern ihr Leben in Japan anscheinend zu gut gefallen hat. Ich musste warten, aber das Warten hat sich gelohnt! Ich freue mich auf weitere spannende Monate in Japan .... vielleicht auch Jahre.
|
|
Rede PM ASÔ in Davos | JET in Saitama | Preis für MURAKAMI Kôichi KISHI | Japanisch lernen | Filme aus Japan
|