
Bericht einer Teilnehmerin am JET-Programm:
Feuerwehr-Einsätze mit Poesie und Kochlöffel...
Jedes Jahr Anfang August machen sich junge deutsche Hochschulabsolventen auf den Weg nach Japan, um sich für die Internationalisierung Japans zu engagieren. Dies geschieht im Rahmen des Japan Exchange and Teaching (JET) Programms, mit dem jährlich ca. 4500 junge Menschen aus fast 40 Ländern hauptsächlich als Assistenz-Sprachlehrer in Schulen arbeiten bzw. in Rathäusern oder Präfekturverwaltungen außerhalb der großen Zentren wie Tokyo oder Osaka im Bereich Internationale Beziehungen assistieren.
Zurzeit arbeiten zwei Assistenz-Deutschlehrer und 11 deutsche Koordinatoren für Internationale Beziehungen (CIR) in Japan. Inzwischen gibt es aber auch schon über 240 ehemalige deutsche Teilnehmer am JET-Programm, von denen auch in den nächsten Monaten noch einige zu Wort kommen sollen.
Und um zu zeigen, wie unterschiedlich sowohl die Aufenthalte während des/der JET-Jahr(e) sind, aber auch das, was die Teilnehmer im Nachhinein damit machen, stellen wir Ihnen heute einen weiteren Bericht von einer ehemaligen CIR in Sapporo vor: Anke Berning:
Im letzten Beitrag an dieser Stelle schrieb Birgit Bianca Fürst über Ihre Zeit als JET-Teilnehmerin in Sapporo. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich enttäusche hier alle diejenigen, die sich einen geografischen Perspektivenwechsel erhofft haben, denn auch ich war CIR in Sapporo, und zwar genau vor Birgit, von 1994-1996. Ich arbeitete zusammen mit einem amerikanischen Kollegen und später mit einer russischen Kollegin im Sapporo International Communication Plaza (SICPF), der städtischen Stiftung zur Förderung von Auslandskontakten auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Birgit und ich lernten uns bei der informellen „Übergabe“ von Job und Wohnung Ende Juli 1996 kennen. Die Tatsache, dass der Fokus von Birgits und meiner Tätigkeit doch recht unterschiedlich lag, zeigt die Flexibilität, die das SICPF den CIRs in gewissem Umfang einräumte.
Bei meinem Arbeitsantritt im Jahre 1994 wurde mir zur Wahl gestellt, in welcher Gruppe ich arbeiten wollte – nach einer Einführung und Vorstellung der einzelnen Repräsentanten entschied ich mich für die Planungs- und Entwicklungsabteilung. Im Rahmen dieser Abteilung übernahm ich natürlich typisch CIR-relevante Aufgaben, die ich in jeder anderen Gruppe auch ausgeführt hätte: Vorträge und Präsentationen über Deutschland, Begleitung von Besuchergruppen wie EU-Delegationen, Homestay-Teilnehmern oder ägyptische Regierungsdelegationen, Teilnahme an Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden zu gesellschaftlichen Themen, Koordinationsaufgaben im Rahmen der Partnerstadtaktivitäten mit München, Gasteinsätze bei verschiedenen Gruppierungen und Vereinen der Stadt Sapporo. Bei letzterem bleibt mir heute unvergessen der Auftritt bei der Feuerwehr von Sapporo, wo mein amerikanischer Kollege Chris und ich in Feuerwehruniform(!) dem Paradeumzug vorweg liefen, an zweiter Stelle hinter dem Maskottchen (einer Kreuzung aus Eichhörnchen und Micky Mouse!), und wo wir anschließend als Ehrengäste das „Privileg“ genossen, die letzte Neuerwerbung der Feuerwehr einzuweihen: den Pritschenwagen neuester Bauart mit ausfahrbarer Feuerwehrleiter. Das gute Stück hatte eine vertikale Reichweite von zwanzig Metern, und Chris und ich litten beide an Höhenangst ... Als Dankeschön gab’s übrigens je einen Feuerlöscher. Wahrscheinlich ist meiner heute noch in der CIR-Dienstwohnung in Sapporo!
Als Bonbon meiner CIR-Zeit bekam ich die Mitteilung, dass ich ein eigenes Projekt betreuen konnte: „Panorama Deutschland“, eine Veranstaltungsreihe mit Schwerpunkt Europa – darunter Gastvorträge z.B. von CIR Kollegen zum Thema Deutsche Wiedervereinigung (die 1995 ja noch gar nicht solange zurücklag), eine Wanderausstellung des Goethe-Instituts mit Büchern zum Thema „50 Jahre Kriegsende in Europa“ mit angegliedertem Poesie-Workshop, einen kombinierten Vortrags- und Konzertabend zu Heinrich Heine mit ausgewählten Vertonungen und dergleichen mehr. Meine bevorzugten Projekte hatten eindeutig literarischen Charakter - Ich habe Germanistik und Modernes Japan studiert und konnte so beim SICPF in unverhoffter Weise meine beiden Fächer verbinden - dies außerhalb der Panorama-Reihe auch mit eigenen Vorträgen z.B. zu Thomas Mann und Tanizaki Jun’ichiro, oder mit einem Workshop zum Thema „japanische und deutsche Lyrik“ im Rahmen einer CIR-Konferenz. In privatem Rahmen, aber inhaltlich der Arbeit beim SICPF zugewandt, fungierte ich als Übersetzerin für ein deutsch-japanisches Chorprojekt, welches Beethovens 9te erarbeitete – und verbrachte einen guten Teil der Zeit damit, mit den japanischen Sängern das korrekte deutsche „F“ zu üben (Freude schöner Götterfunken....“)!
Am meisten Heiterkeit erregte ich bei meinen Lieben in der deutschen Heimat übrigens mit einer Einladung als Gastköchin in einem Kochkurs für die Bürger Sapporos, zum Thema 'Gutbürgerliche Küche'. Diese (nicht delegierbare) Aufgabe bestand darin, einer Gruppe von ca. 10 kochbegeisterten Damen das Geheimnis von Königsberger Klopsen weiterzugeben, einem Gericht, das ich zuvor noch nie im Leben zubereitet und vielleicht einmal gegessen hatte. Damals gerade fähig Rührei und Dosenwürstchen zu kredenzen, war ich nicht zum ersten Mal froh, dass Sapporo als eine moderne und innovative Stadtverwaltung ihre CIRs bereits mit Internetzugang versorgt hatte! Dies war neben der mütterlichen Telefonhotline in solchen Notfällen einfach Gold wert! Jede der Damen hatte mehr Erfahrung als ich, wenn es darum ging, den Kochlöffel zu schwingen, trotzdem erschien am nächsten Tag ein lobender Artikel mit Foto in der Stadtzeitung.
Ich verließ Sapporo mit überwiegend guten Erfahrungen und einer Koto, denn im Zuge meiner Anstrengungen, zumindest eine traditionelle japanische Kunst zu erlernen, blieben einige der populären Optionen schnell auf der Strecke (Teezeremonie – meine Knie!, Ikebana - wie nennt man das Gegenteil von grünen Daumen?, Tuschezeichnen - ich habe schon in der Grundschule mit der Tinte gekleckert). Die Harfe mit ihren 13 Saiten und der japanischen Notation war eine Herausforderung und öffnete die Tür in eine neue Welt.
Die Tür in die alte Welt aber blieb auch verlockend, und ich reiste ein wenig Europa-sehnsüchtig nach Deutschland zurück, um auf dem Frankfurter Flughafen im Transit-Cafe von einem Kellner im Kohlenpott-Slang gleich wieder auf den Teppich zurückgeholt zu werden „Sie hammet wohl eilich odda wat?“ Irasshaimase*.
Das Leben nach JET
Einen Monat nach der 'Ent-grüßung' durch den griesgrämigen Frankfurter Kellner saß ich im Intercity nach Brüssel, um in der Exportförderungskampagne „EU Gateway to Japan“ der Europäischen Kommission eine koordinierende Rolle zu spielen. Ungeachtet des etwas holprigen belgischen Anreiseerlebnisses, komplett mit Lokmaschinenschaden und Selbstmord auf den Schienen, entwickelte sich die Stelle im Herzen der Japan-Kampagne interessant: konkret handelte es sich darum, KMUs aus den damals 15 EU-Mitgliedstaaten den Markteintritt in Japan zu erleichtern. Für die meisten musste die Kampagne das Interesse für den japanischen Markt erst einmal geweckt werden und wir zeigten die Möglichkeiten auf, trotz abschreckender non-tarifärer Handelshemmnisse (die Sprache! Die Mentalität! Die nötige Geduld!) den Schritt zu wagen. Drei Jahre lang koordinierte ich ein Netzwerk von Organisatoren in den Industrie- und Handelskammern der Mitgliedsstaaten, Service Providern in Japan, Sektorexperten und Auftraggebern bei der EU-Kommission. Ich evaluierte Anwärter und begleitete ausgewählte Firmen mehrmals jährlich auf Handelsmissionen nach Tokyo, nicht ohne wann immer möglich einen Abstecher nach Hokkaido mit einzuplanen.
Mit meinem Umzug nach London im Jahr 2000 vollzog ich den Bruch nicht nur mit der von mir ungeliebten, immer fremd gebliebenen Bürokratenstadt, sondern auch mit dem Japan-Fokus in meiner Berufslaufbahn. Für eine Weile beschränkten sich die Kontakte auf den privaten Bereich und auf Sapporo. London war für mich der Einstieg in die Finanzwelt, und über weitere Stationen landete ich dort, wo ich mich jetzt heimisch fühle: in der Schweiz. Über den ersten Blick und die Geografie hinaus, weist das Land erstaunlich viele Parallelen zu Japan auf: das insuläre Denken, der Versuch der Abgrenzung gegen alles vermeintlich Fremde, die Notwendigkeit des Gesicht-Wahrens, die vordergründige Höflichkeit im Umgang miteinander, die indirekte Art, sich auszudrücken, die hohe Bedeutung von Regeln und Normen in der Gesellschaft, die Betonung und Verherrlichung der nationalen Besonderheiten. Sogar Erdbeben sind in der Schweiz vergleichsweise häufig, auch wenn diese meist harmlos verlaufen.
Was bleibt vom JET-Programm? Die Sehnsucht nach Japan, wobei Sapporo und der Norden immer eine besondere Rolle spielen werden. Freunde und Kontakte in aller Welt. Ein Nebenjob als freiberufliche Trainerin für Interkulturelle Seminare, u.a. mit Fokus Japan, mit unregelmäßigen Aufträgen in der Schweiz und anderen europäischen Ländern. Die „Krise“ schlägt sich hier nieder – die Aufträge sind weniger geworden, die Firmen müssen sparen. Auf meinem persönlichen Weg des interkulturellen Lernens schreite ich fort - die hauptsächlich auf Osteuropa und Russland fokussierte kleine Zürcher Vermögensverwaltung, in der ich seit vier Jahren arbeite und die mir den Doppeleinsatz als Japan-Trainer gestattet, hat wieder faszinierende neue Türen und Sprachwelten geöffnet.
* Irasshaimase = „Herzlich willkommen“ – eine übliche japanische Begrüßungsformel in Restaurants und Läden, die auch sinnbildlich für die japanische Service-Kultur (der Kunde ist König) steht