
Filme aus Japan
Tokyo Monogatari - Reise nach Tokyo
(Japan, 1953, 136 Minuten)
Es gibt dankenswerter Weise kleine Kinos, die sich abseits des Mainstreams cineastischem Kulturgut verpflichtet sehen und uns immer wieder mit Kleinodien überraschen. So hat das Kreuzberger Fsk-Kino den ultimativen Klassiker des japanischen Films, Yasuhiro OZUs „Tokyo Monogatari“, wieder auf die große Leinwand gebracht. Es sei jedem empfohlen, sich diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen.
„Der international bekannteste Film des japanischen Meisterregisseurs OZU: eine behutsame, in meditativem Bildrhythmus entfaltete Studie über den Zerfall einer Familie, über die Begegnung von Tradition und Moderne, über den alltäglichen Mut zum Neubeginn. Jenseits spektakulärer Effekte liefert OZU eine Beschreibung der Normalität, deren Widersprüche weder dramatisiert noch verschwiegen, sondern der aufmerksamen Beobachtung und der kritischen Anteilnahme erschlossen werden.“ (Lexikon des Internationalen Films)
OZUs sensible Geschichte über ein älteres Ehepaar, das sich aus der Provinz aufmacht, um in Tokyo seine Kinder und Enkel zu besuchen, gilt als OZUs bedeutendster Film und als ein Meilenstein der Filmgeschichte. Im Jahre 2005 führte er sogar die Liste der 1000 besten Filme in dem renommierten Filmführer Halliwell´s Film an. Dabei galt OZUs Melodram lange Zeit als „zu japanisch“, um im Ausland Wertschätzung zu erfahren. „Zu japanisch“, da er eine fast kontemplative Erzählweise mit einem einzigartigen visuellen Stil pflegt, die uns die Allerweltsgeschichte um den Konflikt mehrerer Generationen fast wie in Trance erleben lässt. Man sagt OZUs langjährigem Kameramann Yushun ATSUTA nach, dass er den Meister vergeblich bat, einmal ein anderes Objektiv nutzen zu können. OZU beharrte unwiderruflich auf seinem 50-mm-Objektiv, das relativ genau dem menschlichen Blickwinkel entspricht und durch die niedrige Kameraperspektive das Geschehen in einem Raum mit Argusaugen beobachtet: „You know, Atsuta, it´s a real pain trying to make a good composition of a Japanese room – especially the corners. The best way to deal with this is to use a low camera position. This makes everything easier.” (Donald Richie “Ozu”)
Der ganze Film verwendet lediglich zwei Kamerafahrten und zeigt uns das Leben somit als eine unerbittliche, fast statische Abfolge von Begebenheiten, unwiderruflich wie das Kommen und Gehen der Jahreszeiten. Shukichi und Tomi HIRAYAMA besuchen ihren Sohn und ihre Tochter in der Großstadt Tokyo. Diese sind beide erfolgreich in Leben und Beruf; sie haben relativ wenig Zeit, die sie mit ihren Eltern verbringen und noch weniger, was sie ihnen zu sagen hätten. Die betroffenen Eltern realisieren, dass außer der verwitweten Schwiegertochter Noriko, deren Mann im Krieg gefallen ist, niemand Anteil an ihnen nimmt. Das ist an sich nicht ungewöhnlich – weder damals noch heute, weder in Japan noch anderswo. Ungewöhnlich an dieser Geschichte ist die Art des Erzählens, die sich bewusst dem Sensationellen verschließt. Es gibt keine Szenen, Ausbrüche oder Einschnitte – nein, der Film ist wie das Leben – ein langsamer Fluss von alltäglichen Gegebenheiten, Verletzungen, Empfindungen. Nichts davon ist außergewöhnlich, weil man über zwei Stunden lang Menschen beim Sitzen, Essen und Reden zusieht. Beeindruckend ist dabei die Subtilität mit der OZUs Protagonisten unter der Maske der Höflichkeit ihre tiefe Enttäuschung verbergen. Nicht gut genug, als dass ATSUTAS Kamera sie nicht für uns sicht- und damit schmerzlich spürbar machen würde. Am Ende stirbt die Mutter und ihr Verlust materialisiert sich in fast dergleichen Einstellung des Vaters, wie er nun allein sitzt und wir Zuschauer alle die Leerstelle fast körperlich spüren.
Fazit:
Zeitloses Stillleben vom Verfall einer japanischen Familie als Metapher für die wachsende menschliche Kälte unserer modernen Gesellschaft. Zeitlos sehenswert.
*J.G. (Diese Rezension stellt eine individuelle Meinung dar und vertritt nicht die offizielle Haltung der Botschaft von Japan)