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Neues aus Japan Nr.64 März 2010

Ein Abkommen für das Leben auf der Erde

- Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und Japans Engagement


Das „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ wird auch als „Abkommen für das Leben auf der Erde“ bezeichnet. Die Vereinten Nationen haben 2010 zum „Jahr der biologischen Vielfalt“ bestimmt. Im Januar fand in Deutschland, das derzeit den Vorsitz der Vertragsstaatenkonferenz innehat, die Auftaktveranstaltung zu diesem Jahr statt, bei der Bundeskanzlerin Merkel und der japanische Vizeumweltminister Tajima die Welt dazu aufriefen, die notwendigen Schritte für den Schutz der Vielfalt des Lebens auf unserer Erde zu ergreifen. Im Oktober dieses Jahres wird die 10. Vertragsstaatenkonferenz (COP10) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt in Japan stattfinden, das Deutschland beim Vorsitz der Vertragsstaatenkonferenz ablöst. In diesem Beitrag stellen wir das internationale Rahmenwerk für den Schutz des gesamten Lebens auf unserer Erde sowie das Engagement Japans in diesem Bereich vor.

 

Biologische Vielfalt – die reiche Fülle des Lebens auf der Erde

Vor rund 4 Mrd. Jahren begann das Leben auf unserer Erde. Seitdem hat sich in Meeren, Flüssen, Wäldern und überall auf dem Globus Leben in einer unglaublichen Fülle entwickelt, wobei stets einige Arten verschwanden und neue entstanden. Wissenschaftlich bekannt sind ca. 1,75 Mio. Arten von Lebewesen, allerdings geht man davon aus, dass es auch heute noch zahlreiche unentdeckte Arten gibt; insgesamt wird die Zahl aller Arten auf der Erde auf rund 3 Mio. geschätzt. Diese außerordentlich große Vielfalt und die unterschiedlichen Ökosysteme, die mit diesen Arten eng verbunden sind und ein Gleichgewicht ausgebildet haben, sowie die reiche Fülle des Lebens einschließlich der individuellen genetischen Informationen, die jedes Lebewesen aus der Vergangenheit weiter in die Zukunft trägt, wird als biologische Vielfalt (Biodiversität) bezeichnet.

 

Biologische Vielfalt

 

Die Segnungen der biologischen Vielfalt.

Wir Menschen sind ein Bestandteil der Vielfalt des Lebens auf unserer Erde, und wir profitieren von den reichhaltigen Segnungen der Natur. Unabhängig von dem Land oder der Region, in der wir leben, beruht das gesamte menschliche Leben in einer großen Zahl von Bereichen, die von Kleidung und Nahrung, Wohnen, Gesundheit, Kultur und Kunst, Bildung, Lebensumfeld bis hin zur Katastrophenprävention sowie zur Wirtschaft reichen, auf den „Segnungen der biologischen Vielfalt“. Die Natur stellt uns Menschen auf diese Weise ihre „Dienstleistungen“ zur Verfügung, die man als „Ökosystemdienstleistungen“ bezeichnet.

 

Segnungen der Natur

 

Millennium-Bewertung der Ökosysteme

 

Die Ökosystemdienstleistungen, die wir Menschen in Form der „Segnungen der Natur“ genießen, lassen sich im internationalen Rahmen entsprechend ihren jeweiligen Funktionen in vier Kategorien einteilen. Dies beruht auf einer als „Millennium-Bewertung der Ökosysteme“ (engl. Millennium Assessment, MA) bezeichneten weltweiten Untersuchung, die nach einem Aufruf der Vereinten

Nationen im Jahr 2001 durchgeführt wurde.

  1. Grundlegende Dienstleistungen: Funktion der Ausformung der Lebensumwelt

    mittels Wasser und Böden
  2. Regulierende Dienstleistungen: Funktion der Milderung von Veränderungen und Verschmutzung der Umwelt, etwa durch Reinigung der Luft oder Verhinderung von Überschwemmungen
  3. Versorgende Dienstleistungen: Funktion der Versorgung z.B. mit Nahrung, Holz, Brennstoffen und Medikamenten
  4. Kulturelle Dienstleistungen: Funktion der Erholung sowie der kulturellen und geistigen Vervollkommnung

 

Schleichende Gefährdung der biologischen Vielfalt

Allerdings ist die biologische Vielfalt heute in hohem Maße gefährdet. Dies rührt vor allem von uns Menschen her, etwa in Form einer übermäßigen Nutzung der Ressourcen und einer Veränderung der Böden, durch das Einführen fremder Lebensformen in neue Lebensräume, durch den Klimawandel oder die Umweltverschmutzung. Diese Faktoren beginnen sich auch in Japan unmittelbar auszuwirken. Beispielsweise wurden, um die tropische Giftnatter in der Präfektur Okinawa zu vertreiben, aus dem Ausland Mungos eingeführt. Dies hatte jedoch auch den Rückgang einheimischer Vogelarten zur Folge; und in der Präfektur Shiga zerstört der aus dem Ausland stammende Schwarzbarsch das Ökosystem des Biwa-Sees. Die Klimaerwärmung führt zu einer Verkleinerung der Lebensräume seltener Arten wie etwa Pflanzen im Hochgebirge oder Korallenriffe, so dass auch die Gefahr eines Aussterbens dieser Arten zunimmt. In der Natur sind alle Lebewesen auf unterschiedlichste Weise miteinander verbunden und sie leben in einer Art großen Kreislauf. Schon geringfügige Veränderungen im Ökosystem stören das Gesamtgleichgewicht und zeitigen ganz unterschiedliche Auswirkungen.

 

Gefährdung der biologischen Vielfalt

 

Notwendigkeit für ein umfassendes internationales Abkommen

Zwar heißt es, dass die Veränderung der Ökosysteme bereits zu Beginn des 20. Jh. verstärkt auftrat, aber deutlich wurden die Auswirkungen vor allem seit den 1970er Jahren. Damals verfolgten alle Länder auf der Welt eine rasche Industrialisierung, so dass Probleme wie Saurer Regen, die Zerstörung der Natur, eine globale Erwärmung sowie das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten in der freien Natur immer mehr zunahmen. Um diesen Problemen entgegenzutreten, verabschiedete die internationale Gemeinschaft eine Reihe von Abkommen wie z.B. das Washingtoner Artenschutzabkommen oder die Ramsar-Konvention über Feuchtgebiete. Allerdings erkannte man bald, dass der Schutz bestimmter Gebiete oder Arten für die Erhaltung der auf komplizierte Weise miteinander verbundenen Lebensräume von Tieren und Pflanzen sowie der Ökosysteme nicht ausreicht. Daher wurde, um ein umfassendes Rahmenwerk für alle Lebewesen zu schaffen, bei dem 1992 in Rio de Janeiro, Brasilien, stattfindenden Gipfel der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (Erdgipfel) das Übereinkommen über die biologische Vielfalt verabschiedet.

 

Entwicklung des Schutzes der biologischen Vielfalt

 

Drei Ziele des Übereinkommens über die biologische Vielfalt

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt verfolgt drei Ziele. Erstens der Schutz der vielfältigen Lebensformen auf unserer Erde zusammen mit ihren Lebensräumen, zweitens die Nutzung der Lebewesen als Ressourcen in einer nachhaltigen Art und Weise sowie drittens eine gerechte und ausgewogene Verteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergeben. Wenn beispielsweise ein Pharmazieunternehmen aus einem Industrieland die genetischen Ressourcen eines Lebewesens nutzt, das im Regenwald eines Entwicklungslandes lebt, und daraus ein neues Medikament entwickelt, so zieht dieses Unternehmen daraus einen konkreten Nutzen, z.B. in Form von Patenten, während das Entwicklungsland, in dem die genetischen Ressourcen vorkommen, leer ausgeht. Aus diesem Grund soll auf der COP10 ein internationaler Rahmen vereinbart werden, der den Nutzen in gerechter und ausgewogener Weise verteilt.

 

Die Vertragsstaatenkonferenzen (COP) und das Cartagena-Protokoll

Ende September 2009 zählte das Übereinkommen über die biologische Vielfalt insgesamt 191 Vertragsstaaten. Die Vertragsstaatenkonferenzen (Conference of Parties, COP), auf denen konkrete Aktionspläne u.a. diskutiert werden, finden seit 1994 statt und bislang gab es 9 solcher Konferenzen. Um den grenzüberschreitenden Transport sogenannter gentechnisch veränderter Organismen (LMO) zu kontrollieren, von denen befürchtet wird, dass sich sie negativ auf Ökosysteme auswirken können, wurde auf den Vertragsstaatenkonferenzen u.a. das sogenannte Cartagena-Protokoll verabschiedet. Auch wurde das Zieljahr 2010 festgelegt, bis zu dem „das Tempo des Rückgangs der biologischen Vielfalt erheblich verringert werden soll“. Da die Themen, mit denen sich die Konferenzen befassen, ein breites Spektrum umfassen, besteht auch eine Vielzahl entsprechender Organe. Heute nehmen neben den Vertragsstaaten auch zahlreiche weitere Akteure und Beobachter teil, z.B. internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen aus dem Umweltbereich, Unternehmen des Privatsektors sowie auch Eingeborenenvertretungen, die die Kultur der Koexistenz mit der Natur weitergeben.

 

COP10 in diesem Jahr in Nagoya

Die 10. Vertragsstaatenkonferenz (COP10) findet im Oktober dieses Jahres in der japanischen Stadt Nagoya, Präfektur Aichi, statt. Seit der COP9 im Mai 2008 wurde beim G8-Gipfel von Toyako-Hokkaido in der Erklärung der Staats- und Regierungschefs die große Bedeutung der biologischen Vielfalt bestätigt, und beim G8-Gipfel im italienischen L’Aquila im Juli 2009 wurde der Bericht der Zusammenkunft der G8-Umweltminister zur „Erklärung von Syrakus zur biologischen Vielfalt“ vorgelegt. Die COP10, bei der Japan den Vorsitz innehaben wird, findet somit inmitten eines Prozesses statt, der von einer positiven Dynamik geprägt ist.

 

Wälder und Bäche sind Lebensräume für zahlreiche Arten.

 

Diskussionspunkte der COP10:
(1) Festlegen von Zielen für die Zeit nach 2010

Die Diskussion im Rahmen der COP10 wird sich vor allem um drei Punkte drehen. Erstens die Bewertung des Stands der Umsetzung des 2002 von der COP6 im niederländischen Den Haag festgelegten „Zieljahres 2010“ sowie das Festlegen der Ziele für den Zeitraum danach. Das Tempo des Rückgangs der biologischen Vielfalt sollte eigentlich bis zum Zieljahr 2010 erheblich verringert werden, aber bereits jetzt überwiegt die Einschätzung, dass dieses Ziel größtenteils nicht erreicht werden kann. Zugleich weisen einige Stimmen darauf hin, dass dieses Ziel zu abstrakt sei und keine konkreten Handlungsvorgaben aufzeige, so dass der Stand der Umsetzung nicht objektiv bewertet werden könne. Aus diesem Grund sollten die Ziele für die Zeit nach 2010 so formuliert werden, dass die einzelnen Staaten zu eindeutigem und positiven Handeln angespornt werden. Es müssen daher mittelfristige Ziele (bis 2050) sowie kurzfristige Ziele (bis 2020) diskutiert werden, die alle Menschen gemeinsam anstreben. Zugleich sollten je nach Bereich und Thema Einzelziele sowie die entsprechenden Umsetzungsverfahren unter Einschluss konkreter Zahlenvorgaben diskutiert werden.

 

Diskussionspunkte der COP10:
(2) Internationale Vereinbarung zur Aufteilung des Nutzens der genetischen Ressourcen

Zweitens muss ein internationaler Rahmen in Bezug auf die „Nutzung“ und die „Aufteilung des Nutzens“ der genetischen Ressourcen gestaltet werden, der es sowohl den Entwicklungsländern als auch den Industriestaaten ermöglicht, von den  Segnungen der biologischen Vielfalt zu profitieren. Wie das oben angeführte Beispiel der Entwicklung eines Medikaments zeigt, geht derzeit ein Entwicklungsland leer aus, wenn ein Industriestaat die genetischen Ressourcen von Lebewesen nutzt, die in diesem Entwicklungsland  vorkommen und daraus Nutzen zieht. Es sollten aber sowohl Industrieländer als auch Entwicklungsländer gemeinsam einen Nutzen davon haben, wenn auf der Basis genetischer Ressourcen von Arten, die in der reichen Natur der Entwicklungsländer - etwa in den Regenwäldern - leben, ein Profit erzielt wird. Hierfür muss ein entsprechender internationaler Rahmen gestaltet werden. Die Entwicklungsländer fordern von den Industriestaaten eine Änderung des Patentrechts in den Industrieländern, damit kein Patent ohne Zustimmung des entsprechenden Entwicklungslandes verliehen werden kann. Die Industrieländer sind dazu aber nur eingeschränkt bereit. Es wird daher ein großer Streitpunkt der COP10 sein, wie weit die Auffassungen beider Seiten zusammengefasst werden können und bis zu welchem Grad der Nutzen der genetischen Ressourcen in den Entwicklungsländern geschützt werden kann.

 

Diskussionspunkte der COP10:
(3) Regeln zu Verantwortung und Hilfe für das Cartagena-Protokoll

Der dritte Punkt befasst sich mit eindeutigen internationalen Regeln für das Cartagena-Protokoll. Konkret geht es um die Frage, wer die „Verantwortung“ übernimmt und in welcher Form „Hilfe“ geleistet wird, wenn eingeführte gentechnisch veränderte Organismen (LMO) in der Natur freigesetzt werden und dies negative Auswirkungen (Schäden) hat. Gentechnisch veränderte Organsimen können der Menschheit großen Nutzen bringen; allerdings wird darauf hingewiesen, dass sie sich auch schädlich auf die Ökosysteme auswirken können. Es ist außerordentlich schwierig, die Ursachen für Veränderungen in einem Ökosystem deutlich zu erfassen, auch kann ein einmal verloren gegangenes Ökosystem nicht ohne Weiteres wiederhergestellt werden. Daher ist in diesem Bereich neben globalen Zielen auch ein realistischer Ansatz von großer Bedeutung.

 

Von den Bergen Japans in die ganze Welt – die SATOYAMA-Initiative

In Japan gibt es den Begriff „Satoji Satoyama“, mit dem die Menschen in Japan seit alters her die Wälder in der Nähe ihrer Dörfer bezeichnen, aus denen sie Holz als Brenn- oder Baumaterial sowie Kräuter oder Wildtiere zur Nutzung im Rahmen ihres Alltags gewonnen haben. Mit einem Gefühl der Dankbarkeit für die Segnungen der Natur in den einzelnen Jahreszeiten wurde darauf geachtet, diese Wälder nicht übermäßig zu nutzen. Vielmehr gelang es den Menschen, einen Kreislauf zu gestalten, in dem sich die Ressourcen immer wieder erholen konnten. Auf der Grundlage dieser Weisheit in Bezug auf die Koexistenz mit der Natur, die die Menschen in Japan im Lauf der Jahrhunderte ausbildeten, wird zusammen mit dem Know-how und den Traditionen in Bezug auf ein Zusammenleben mit der Natur aus anderen Regionen der Welt ein gemeinsames Konzept für eine nachhaltige Pflege und Nutzung der natürlichen Ressourcen erstellt. Bei diesem Ansatz, der in allen Ländern auf der Welt eine Gesellschaft der Koexistenz mit der Natur realisieren soll, kommt dem japanischen Umweltministerium eine zentrale Rolle zu, das u.a. in Zusammenarbeit mit dem Institute of Advanced Studies der United Nations University (UNU-IAS) die „SATOYAMA-Initiative“ vorantreibt. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt ist ein „Abkommen für das Leben auf der Erde“. In diesem Jahr 2010, das zugleich auch das internationale Jahr der biologischen Vielfalt ist, und auch danach wird Japan weiterhin einen aktiven Beitrag dafür leisten, damit alles „Leben“ auf unserem Planeten in die Zukunft hinübergeführt wird.

 

Japans Berge und Felder leisten einen wichtigen Beitrag für den Schutz der biologischen Vielfalt.

 

Anmerkung:
Der vorliegende Beitrag erschien am 09. 10. 2009 als 46. Folge der Informationsserie „Die internationale Situation verstehen!“ auf der Webseite des Außenministeriums von Japan.


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