
Männer in der Teezeremonie
- Die Teezeremonie als Mittel für den Abbau von Stress
Die Teezeremonie, die in Japan als sado oder chanoyu bekannt ist, galt bislang als eine traditionelle Kunst, die vor allem von Frauen gepflegt wurde. In den letzten Jahren jedoch machen immer mehr Männer auf ihrem Heimweg von der Arbeit einen Abstecher in eine Schule für Teezeremonie. Aber auch für den Unterricht in anderen japanischen Künsten, wie z.B. ikebana (Blumenarrangement), und für traditionelle Musikinstrumente wie shamisen, begeistern sich verstärkt Vertreter des „starken“ Geschlechts. Dadurch bietet sich das allgemeine Bild, dass Männer die künstlerischen Traditionen Japans wiederentdecken, die seit langem als spirituelle Stützen des Landes gelten.
Die Philosophie des Sado
Die Grundlagen des sado („Weg des Tees“) liegen einfach ausgedrückt darin, Wasser zu erhitzen, grünen Pulvertee zuzubereiten, diesen Tee Gästen zu servieren und ihn auch selbst zu trinken. Während seiner über 500 Jahre alten Geschichte nahm der Weg des Tees die Philosophie des Zen-Buddhismus auf, so dass er von einer ausgeklügelten Spiritualität erfüllt ist. Sado hat dank seines Strebens nach Schönheit zudem einen hochgradig künstlerischen Charakter angenommen, und altehrwürdige Tee-Utensilien werden hochgeschätzt und mit großer Sorgfalt behandelt, damit sie im Lauf der Zeit nichts von ihrem Glanz verlieren. Die Etikette des sado zeichnet sich durch eine ausgesprochene Liebe zum Detail und zur Exaktheit aus, ist dabei aber zugleich tiefgehend und verweigert sich einem raschen Zugang.
Die Philosophie des sado wird durch den Begriff wakei-seijaku beschrieben. Wa steht für das Öffnen des Herzens gegenüber dem anderen und für Freundlichkeit, während kei den gegenseitigen Respekt repräsentiert. Sei bringt die Sauberkeit und Reinheit zum Ausdruck, und zwar nicht nur die, die mit den Augen wahrnehmbar ist, sondern auch die des Geistes. Jaku schließlich zielt darauf ab, in jeder Situation Ruhe zu bewahren. Auch wabi und sabi sind zwei bekannte Begriffe, die mit dem Weg des Tees assoziiert werden. Wabi steht für die Idee der Wertschätzung der Reinheit des Geistes, der nicht von materiellen Wünschen beherrscht werden sollte, während sabi sich auf einen tugendhaften Zustand bezieht, der von allem Weltlichen losgelöst ist und bei dem man eine einfachere, reinere und erhabenere Lebensweise anstrebt. Ein weiterer sehr bekannter Begriff, dessen Ursprung im sado liegt, ist ichigo-ichie. Er bringt zum Ausdruck, dass sich Gastgeber und Gast der Zeremonie mit ganzem Herzen widmen und sich dabei bewusst werden sollten, dass das Leben stets launisch und unsicher ist, so dass die Zeremonie jedes einzelnen Tages ein einzigartiges Ereignis ist, das niemals wiederkehren wird.
Diese Grundsätze, die von den Anhängern der verschiedenen Teeschulen in Japan über Generationen hinweg weiter vermittelt wurden, dienten lange als wichtiger Pfeiler des japanischen Geistes. Das Interesse, das der Teezeremonie nun von Angestellten im 21. Jh. entgegengebracht wird, zeigt in aller Deutlichkeit die zeitlose Bedeutung dieser Grundsätze.
Ein zeitgemäßer Salon
Koomon, eine Schule für traditionelle Künste in Nihonbashi im Zentrum von Tokyo, bietet Unterricht in sado für Männer an. Sie ist bequem für Männer unterschiedlichster Berufe zu erreichen, die dort nach der Arbeit etwas lernen möchten. Unter den vielen Schulen des sado unterrichtet Koomon die Männer nach den Regeln der Enshu-Schule, die viele Anhänger unter den Samurai hatte. Das Streben nach einem „Leben in Schönheit“, das diese Schule betont, ist eine Reflexion des Samurai-Kodex bushido („Weg des Kriegers“).
Die Schüler von Koomon genießen die Tiefe und große Vielfalt einer Kunst, die in einer ruhigen Atmosphäre auch erwachsenen Männern Vergnügen bereitet. Die Teilnehmer schätzen den Unterricht vor allem deshalb, weil er ihnen erlaubt, alle Gedanken an den Beruf hinter sich zu lassen und den Moment zu genießen, während sie gleichzeitig etwas über japanische Ästhetik und Gastfreundschaft lernen. Der Teeraum ist ein heiliger Ort, aber gleichzeitig ist er auch ein Ort der Freude. Daher ist der Teeraum von Koomon stets erfüllt von Gesprächen über alles Mögliche mit Ausnahme beruflicher Themen. Koomon bietet auch ausländischen Besuchern die Gelegenheit, sich einmal in der Teezeremonie zu versuchen.
Manga und Literatur zum Thema Tee
Zwei Manga, die sich mit der Teezeremonie befassen, haben sich in den letzten Jahren zu Bestsellern entwickelt. Ocha Nigosu (A Bad Boy Drinks Tea!) ist eine Komödie in Mangaform über einen schwierigen Jungen, der dem Sado-Klub seiner Oberschule beitritt und der auf diese Weise sein Leben allmählich wieder in Ordnung bringt. Hyogemono (Tea for Universe, Tea for Life) spielt dagegen zur Zeit der Bürgerkriegswirren (1493-1573) und handelt von einem der führenden Schüler Sen no Rikyus (1522-1591), eines Teemeisters, der eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von sado zu ihrer heutigen Gestalt spielte. Auch Ausgaben von Kulturmagazinen zum Thema sado verkaufen sich gut, und der Roman Rikyu ni Tazuneyo (Ask Rikyu) von Ken’ichi Yamamoto wurde mit dem Naoki-Preis ausgezeichnet, dem wichtigsten Pries für Unterhaltungsliteratur in Japan.
Das Kennenlernen des historischen und kulturellen Hintergrundes von sado erschließt dem Interessierten die Wunder dieser traditionellen Kunst. Da sado vor allem von den Samurai gefördert wurde, die so nach geistiger Heilung und Übung trachteten, wenn sie kriegsmüde oder unschlüssig waren, überrascht es nicht, dass die japanischen Männer heute die Teezeremonie für sich wiederentdecken.
Sado ist nicht die einzige traditionelle Kunst, die Männer in Japan heutzutage anzieht. Immer mehr beschäftigen sich auch mit ikebana(Blumenarrangement) oder traditionellen Musikinstrumenten wie taiko (Trommeln), shamisen (ein Saiteninstrument mit drei Saiten), shakuhachi (Bambusflöte) oder koto (13-saitige Zither). Jede dieser Künste hat ihre eigene reiche Geschichte, und es sieht so aus, als halte der Trend, die geistigen Wurzeln Japans mittels der traditionellen Künste neu zu entdecken, noch für eine Weile an.

© Web Japan, März 2010