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Neues aus Japan Nr.79 Juni 2011

Erklärung von Premierminister Naoto Kan zu Beginn des G8-Gipfeltreffens in Deauville

- Frankreich, am 26. Mai 2011 (Künftige Energiepolitik Japans)

Für die Unterstützung und die Solidarität, die Japan, seit es am 11. März von dem bisher in meinem Land registrierten schwersten Erdbeben und dem folgenden Tsunami heimgesucht wurde, aus allen Teilen der Welt zuteil wurden, möchte ich mich von ganzem Herzen bedanken. Insbesondere die hier versammelten Staats- und Regierungschefs haben mir in Telefongesprächen und Briefen ihre Anteilnahme sowie ihren Zuspruch zum Ausdruck gebracht. Präsident Sarkozy hat mir bei seinem Besuch in Japan seine Worte der Ermutigung persönlich übermittelt.
Für die vielfältige Unterstützung aus zahlreichen Ländern, die dazu bestimmt ist, den Unfall im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi so rasch wie möglich unter Kontrolle zu bringen, möchte ich mich an dieser Stelle erneut bedanken. Dank dieser aus der ganzen Welt zusammengeführten Kenntnisse und Technologien stabilisiert sich die Situation nun schrittweise. Wir werden uns auch weiterhin mit ganzer Kraft dafür einsetzen, den Unfall schnellstmöglich zu beheben. Bis Januar nächsten Jahres werden wir die Reaktoren in den Zustand der Kaltabschaltung überführen.

Wirtschaft und Tourismus in Japan gestalten sich derweil normal. Mit Ausnahme der Umgebung des betroffenen AKW gehen die Messwerte für radioaktive Strahlung – auch im Raum Tokyo – weiter zurück, und für Menschen besteht keinerlei Gefahr. Die wirtschaftlichen Aktivitäten haben eine rasche Erholung erfahren. Auch die Shinkansen-Züge haben ihren Betrieb wieder vollständig aufgenommen, ebenso wie die Flug- und Seehäfen. Zudem sind mittlerweile mehr als 60 Prozent der Produktionsstandorte in der betroffenen Region wiederhergestellt und die restlichen rund 30 Prozent werden bis zum Sommer folgen.
Beim G8-Gipfel in Huntsville im letzten Jahr habe ich die „Strategie für das finanzpolitische Management“ sowie die „Strategie für neues Wachstum“ erläutert. Im Anschluss daran wurden die „Richtlinien für eine umfassende Wirtschaftspartnerschaft“ erstellt, und Japan setzt sich mit Nachdruck dafür ein, neues Wachstum zu verwirklichen. In der letzten Woche nun hat das japanische Kabinett mit den „Richtlinien zur Umsetzung der Politik“ den Beschluss gefasst, auch nach dem schweren Erdbeben an dem oben genannten Kurs festzuhalten. Wir sehen in der jetzigen Situation eine große Chance für die „Wiedergeburt Japans“ und werden uns mit unserer ganzen Kraft für den Wiederaufbau und die Beseitigung der Schäden des Erdbebens einsetzen.

 

Atomkraft: Fukushima unter Kontrolle bringen

Ich bin mir in hohem Maße bewusst, dass die Staatengemeinschaft infolge des Atomunfalls von tiefer Besorgnis erfüllt ist und möchte hierüber mein tiefes Bedauern zum Ausdruck bringen.
Die jetzige Aufgabe besteht darin, die Reaktoren weiter zu kühlen und einen stabilen Zustand herzustellen. Bis Januar nächsten Jahres soll das Freisetzen radioaktiver Substanzen unterbunden und vollständig unter Kontrolle gebracht worden sein. Derzeit werden auf der Grundlage der aufgestellten Pläne Schritte unternommen, um dieses Ziel zu erreichen. Zudem werden wir der internationalen Gemeinschaft sämtliche Informationen in maximaler Transparenz zur Verfügung stellen. Darüber hinaus wurde bereits eine Kommission zur Untersuchung und Prüfung des Unfalls eingesetzt. Dieses Gremium wird auf der Grundlage der drei Prinzipien „Unabhängigkeit von der Verwaltung“, „Offenheit gegenüber der Welt“ und „Umfassender Charakter“ agieren. Dabei werden wir auch die Ansichten von Experten aus dem Ausland hören. Die Kommission wird die getroffenen Schlussfolgerungen vollständig veröffentlichen und auf diese Weise einen aktiven Beitrag für die künftige Gewährleistung der Sicherheit der Atomkraft leisten. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, alle Menschen vor Schäden infolge der radioaktiven Strahlung zu schützen. Lebensmittel, bei denen die gemessenen Werte über dem Grenzwert liegen, gelangen nicht auf den Markt, und auch die Sicherheit der Industrieprodukte ist gewährleistet. Wir möchten unsere Partner innerhalb der G8 bitten, beim Handel mit Japan auf der Grundlage wissenschaftlicher Beweise zu agieren.

 

Vier Herausforderungen, um der Energie den Weg in die Zukunft zu öffnen

Angesichts des jüngsten Erdbebens und des Atomunfalls wird Japan seine grundlegende Energieplanung überarbeiten. Zu den beiden bisherigen Säulen „Kernenergie“ und „fossile Energie“ kommen die beiden neuen Säulen „erneuerbare Energien“ und „Energieeinsparung“ hinzu. Auf der Grundlage dieser vier Säulen soll dann der Energie ein Weg in die Zukunft geöffnet werden. Dies bedeutet, dass wir uns den folgenden vier Herausforderungen stellen werden.

 

(1) Kernenergie: Verbesserung der Sicherheit

Die erste Herausforderung bildet die weitere Verbesserung der Sicherheit der Kernenergie. Der jüngste Unfall stellt mit Blick auf die folgenden drei Punkte eine Erfahrung dar, für die es bisher keine Präzedenzfälle gab: erstens das gleichzeitige Auftreten einer Naturkatastrophe und eines Atomunfalls, zweitens die Beschädigung gleich mehrerer Reaktoren zur selben Zeit und drittens das langfristige Andauern des Unfalls. Es liegt nun in der Verantwortung Japans, aus dieser Erfahrung die Lehren zu ziehen und diese mit der internationalen Gemeinschaft zu teilen. Wir streben nun eine Sicherheit in Bezug auf die Kernenergie an, die höchsten Ansprüchen genügt und auch Maßnahmen gegen Erdbeben und Tsunamis einschließt. Zugleich werden wir der Staatengemeinschaft die Informationen über den jüngsten Unfall so rasch wie möglich übermitteln. Im Zusammenwirken mit Experten aus aller Welt werden wir die Ursachen für den Unfall gründlich herausarbeiten. Auf der Grundlage der durch diese Überprüfung gewonnenen Erkenntnisse werden wir sodann mit ganzer Kraft dafür wirken, u.a. neue Richtlinien für die Sicherheit der Kernenergie zu erstellen, wobei die Internationale Atom-Energieorganisation (IAEA) eine zentrale Rolle spielen wird.
Unter diesem Aspekt planen wir, in der zweiten Hälfte nächsten Jahres in Japan eine internationale Konferenz über die Sicherheit der Kernenergie zu veranstalten, bei der die Kenntnisse der Kommission zur Untersuchung und Prüfung des Unfalls in Zusammenarbeit mit der IAEA als Grundlage dienen werden. Ich bitte auch die anderen G8-Staaten um ihre Teilnahme.

 

(2) Fossile Energie: Belastung für die Umwelt

Die zweite Herausforderung ist die ambitionierte Reduzierung der Belastung der Umwelt durch fossile Brennstoffe. Angesichts dessen, dass fossile Energie auch mittel- und langfristig einen Anteil von über 60 Prozent an der weltweit verbrauchten Energie haben wird, wird eine erhebliche Verbesserung der Effizienz der Nutzung dieser Energieform sowie eine umfassende Verringerung der Kohlendioxidemissionen angestrebt.
Beispielsweise soll die Verbreitung von Blockkraftwerken forciert sowie die effiziente Nutzung der großen Mengen von Abwärme, die bei den großen konventionellen Kohle- und Gaskraftwerken anfallen, angestrebt werden. Durch die Verknüpfung der sogenannten IGCC-Technologie (Integrated Gasification Combined Cycle) mit der Brennstoffzellen-Technologie wird eine Steigerung der Effizienz um 50 Prozent angestrebt. Zugleich werden die CO2-Emissionen weiter reduziert.

 

(3) Erneuerbare Energien: deutliche Steigerung der Anwendbarkeit

Als dritte Herausforderung gilt die deutliche Steigerung der Nutzung erneuerbarer Energien. Was Japan durch das jüngste Erdbeben und den Tsunami lernen kann, ist nicht die „Angst vor der Natur“, sondern die „Koexistenz mit der Natur“ sowie die größtmögliche Nutzung der „Segnungen der Natur“.
Für die Zukunft müssen die erneuerbaren Energien für Japan als eine der Basisenergien hinzugefügt werden, so dass wir nun vor der Herausforderung stehen, deren Anwendbarkeit deutlich zu steigern.
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung soll zu einem möglichst raschen Zeitpunkt im nächsten Jahrzehnt mindestens die 20 Prozentmarke erreichen. Um dies zu erreichen, werden wir uns für ambitionierte Innovationen einsetzen. Als erster Schritt sollen die Kosten der Stromerzeugung bei Solarzellen bis 2020 auf ein Drittel und bis 2030 auf ein Sechstel des derzeitigen Niveaus gesenkt werden. Zudem sollen auf allen rund 10 Millionen Dächern in Japan, auf denen eine Installation möglich ist, Solarpanelle installiert werden. Mittels des Zusammenführens der technologischen Potentiale unseres Landes wird zugleich die umfassende Einführung weiterer erneuerbarer Energien, wie große Windkraftanlagen auf hoher See, Energie aus Biomasse der nächsten Generation z.B. aus Meeresalgen sowie Erdwärme angestrebt.

 

(4) Energieeinsparung: Forcierung bis an die Grenzen des Möglichen

Die vierte Herausforderung schließlich ist die Forcierung der Energieeinsparung bis an die Grenzen des Möglichen. Das jüngste Erdbeben bietet uns nun die Gelegenheit, die Art und Weise unserer Gesellschaft in Frage zu stellen, die durch einen kontinuierlichen Anstieg des Energieverbrauchs gekennzeichnet ist.
Japan wird seine Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Aspekt der Energieeinsparung reformieren und die Schaffung neuer Arbeits- und Lebensstile vorantreiben.
In Japan besteht seit alters her der gute Brauch, Wege und Straßen mit Wasser zu besprengen, um auf diese Weise die Lufttemperatur zu senken, oder Bambusvorhänge vor die Fenster zu spannen, die die Sonnenstrahlen abhalten, gleichzeitig aber eine natürliche Luftzirkulation ermöglichen. Durch die Kombination dieses traditionellen Erfahrungsschatzes mit modernster Technologie wird ein neuer Städte- und Häuserbau eingeleitet. So können etwa durch Sprinkleranlagen und Trockennebel die Temperaturen in den Städten tagsüber gesenkt werden. Durch Hohlräume in Böden und Wänden wird zudem ein Kühlungs- bzw. Heizungseffekt erreicht.
Gleichzeitig sollen die erneuerbaren Technologien mit der sogenannten Cogeneration-Technologie sowie der Smart Grid-Technologie verknüpft werden, um so einen Wandel weg von wenigen großen zentralen Kraftwerken hin zu Blockkraftwerken zu erreichen, die sich hinsichtlich Energieeinsparungsmöglichkeiten besser auf die Besonderheiten der jeweiligen Region bzw. Gemeinschaft einstellen können. Modellversuche dafür werden auch in der vom Erdbeben betroffenen Region durchgeführt.

 

Indem wir die oben genannten vier Herausforderungen meistern, werden wir in der Lage sein, eine Gesellschaft neuen Typs zu schaffen. Ich bin überzeugt, dass es gerade dies ist, was unser vor einer Prüfung ohnegleichen stehendes Land der Staatengemeinschaft aufzeigen kann, um auf diese Weise seinen Dank zu bezeugen.

 

Abschließend gilt mein Dank Präsident Sarkozy, der mir die Gelegenheit zuteil werden ließ, diese Erklärung zu Beginn dieses Gipfeltreffens vorzutragen.

 

 


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