
Videobotschaft von Premierminister Noda: "Zur umfassenden Reform des Systems der sozialen Sicherheit und des Steuersystems"
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
ich bin Premierminister Yoshihiko Noda.
Heute möchte ich Ihnen auf diese Weise unmittelbar meine Ansichten zur „umfassenden Reform des Systems der sozialen Sicherheit und des Steuersystems“ darlegen.
Aufgrund des schweren Erdbebens im Osten Japans im vergangenen Jahr ist unser Land nun gehalten, drei Dinge in Angriff zu nehmen. Erstens die Erholung von den Folgen des Erdbebens und der Wiederaufbau. Zweitens der Kampf gegen die Folgen des Atomunfalls. Und drittens schließlich die Wiederbelebung der japanischen Wirtschaft. Für die Lösung dieser Probleme stehen uns keine „Zaubermittel“ zur Verfügung. Vielmehr müssen wir uns jedes einzelnen Problems sorgfältig annehmen und es überwinden.
Tatsächlich stand Japan bereits vor dem Auftreten des schweren Erdbebens vor einer ganzen Reihe von Aufgaben. Über die größte dieser Aufgaben, nämlich die „umfassende Reform des Systems der sozialen Sicherheit und des Steuersystems“, möchte ich nun sprechen.
Drei Dinge dulden keinen Aufschub
Diese umfassende Reform duldet in Bezug auf die folgenden drei Punkte keinen Aufschub.
Kein Aufschub für eine Stärkung der Funktionen der sozialen Sicherheit
Als ersten Punkt duldet die Stärkung der Funktionen der sozialen Sicherheit keinen Aufschub. Zwar wurde die sinkende Tendenz bei der Geburtenrate etwas gestoppt, aber bedauerlicherweise besteht in unserem Land noch immer kein ausreichend geeignetes Umfeld, um Kinder zu bekommen und aufzuziehen. Wir müssen diesen Geburtenrückgang rasch stoppen. Auch hierfür bedarf die Generation, die Kinder bekommt und aufzieht, der Unterstützung.
Hierzu noch eins: Vor kurzem besuchte ich eine Siedlung in einer der Vorstädte der Hauptstadtregion. In dieser Siedlung lag der Anteil der älteren Menschen bei 41 %. Tatsächlich altert in Japan heute auch die Bevölkerung in den Städten. Daher besteht die dringende Aufgabe, medizinische Versorgung und Pflege im Einklang mit der Stadtentwicklung zu gestalten und eine „umfassende Pflege auf regionaler Ebene“ zu erreichen. Dieser Wandel hin zu einer sozialen Sicherheit, die alle Generationen im Blick hat und in der von den ganz jungen Menschen bis zu den Älteren alle sicher leben können, duldet keinen Aufschub.
Kein Aufschub für die Gestaltung nachhaltiger Mechanismen
Zweitens duldet auch die Gestaltung nachhaltiger Mechanismen keinen Aufschub. Die Grundlagen der sozialen Sicherheit in Japan stammen aus dem Jahr 1961. In diesem Jahr wurden die für alle Bürger verpflichtende Rentenversicherung und das für alle geltende System der sozialen Sicherheit ins Leben gerufen. Damals kamen gleich mehrere Berufstätige gemeinsam für einen älteren Menschen auf, so dass eine Gesellschaft bestand, in der die Älteren – bildlich gesprochen – wie beim Siegesjubel gleich von einer Vielzahl Personen in die Luft geworfen wurden. Heute nun kommen drei Berufstätige auf einen Älteren, so dass wir eine Gesellschaft wie beim Kinderspiel „Reiterkampf“ haben, wo eine Person von mehreren „Reitern“ getragen wird. In vierzig Jahren jedoch wird ein Berufstätiger für einen älteren Menschen aufkommen, so dass man dann von einer Ära des „Schulterreitens“ sprechen wird. Bitte stellen Sie sich diese Gesellschaft des „Schulterreitens“ einmal deutlich vor. Was wird passieren, wenn derjenige, der den anderen stützt, krank wird und nicht mehr arbeiten kann? Ich habe gesagt, dass das in rund vierzig Jahren sein wird. Es sind die Menschen, die heute jung sind, die in vierzig Jahren auf den Schultern der anderen sitzen werden. Ich bitte Sie, sich dessen bewusst zu sein.
Da die Alterung der Gesellschaft in einem derart raschen Tempo voranschreitet, wie es die Menschheit bisher noch nie erlebt hat, werden die Lasten zur Finanzierung der medizinischen Versorgung und Pflege weiter zunehmen. Selbst wenn man das derzeitige System beibehielte, würden die Kosten der Steigerung auf natürliche Weise wachsen und sich auf rund eine Billion Yen jährlich belaufen. Stapelte man diese eine Billion Yen in Form von 10.000 Yen-Scheinen aufeinander, so ergäbe dies eine Höhe von 10.000 m, also höher als der Mount Everest. Dieser Vergleich führt uns den natürlichen jährlichen Anstieg bei den Kosten für die soziale Sicherheit drastisch vor Augen.
Angesichts dessen ist es nicht mehr länger möglich, als Kern der Finanzierung der sozialen Sicherheit die Versicherungsbeiträge der berufstätigen Menschen zu nehmen. Und es geht auch nicht an, dass wir den künftigen Generationen die Hand in die Taschen stecken und uns von ihnen Geld leihen. Es bleibt uns als stabile Finanzierungsquelle der sozialen Sicherheit folglich nichts anderes übrig, als den jetzt lebenden Generationen auf breiter Basis eine geringfügige Belastung aufzuerlegen, die alle gemeinsam tragen, und zwar in Form einer einzuführenden Verbrauchssteuer. Auch hier duldet die Situation keinen Aufschub.
Kein Aufschub für das Vertrauen in Japan
Der dritte Punkt, der keinen Aufschub duldet, ist das Vertrauen in Japan. Die europäische Schuldenkrise ist kein „Feuer am anderen Ufer“, das uns nichts angeht. Wir wissen nicht, wann die Funken dieses Feuers auf Japan übergreifen werden. Daher müssen wir sehr wachsam sein. Um unsere soziale Sicherheit aufrechtzuerhalten bzw. um sie auszubauen müssen wir die entsprechende Finanzierung sicherstellen. Daher ist es unerlässlich, den Menschen im In- und im Ausland durch konkretes Handeln deutlich zu machen, dass Japan ein Land ist, das Haushaltsdisziplin wahrt.
Was Politik und Regierung tun müssen
Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger sind der Ansicht, dass, bevor diese umfassende Reform, die keinen Aufschub mehr duldet, in Angriff genommen wird, eigentlich die Politik oder die Regierung etwas tun müssen. Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst. In der aktuellen Sitzungsperiode des Parlaments wurde bereits eine Verringerung der Zahl der Parlamentsabgeordneten, eine Kürzung der Personalkosten bei den Beamten um 8 % und darüber hinaus eine Umwandlung der bisherigen „Besonderen Körperschaften“ in „Unabhängige Körperschaften der Verwaltung“ beschlossen. Während meiner Amtszeit als Finanzminister habe ich eine Reduzierung der Zahl dieser Körperschaften um rund 40 % angekündigt und darüber hinaus deutlich gemacht, dass der allgemeine Haushalt das „Stammhaus“ ist, während die Sonderhaushalte den Status von „Nebenhäusern“ haben. Wir werden eine Reform der Sonderhaushalte in Angriff nehmen, die Schluss macht mit dem Phänomen, dass man im „Haupthaus“ nur eine dünne Suppe schlürft, während in den Nebenhäusern aus dem Vollen geschöpft wird und dort nur die allerbesten Speisen auf den Tisch kommen. Ich bin zu einer tiefgreifenden Reform entschlossen, die auch von den Bürgerinnen und Bürgern kontrolliert werden kann, und in deren Rahmen die „Nebenhäuser“ abgeschafft werden und sich alles auf das „Stammhaus“ konzentriert.
Wiederbelebung der japanischen Wirtschaft
Diese Reformen in Politik und Regierung müssen selbstverständlich stattfinden, gleichzeitig aber und parallel dazu müssen wir auch die Wiederbelebung der Wirtschaft unseres Landes bewerkstelligen. In enger Zusammenarbeit mit der Bank of Japan werde ich alles in meinen Kräften stehende tun, um den hohen Yen-Kurs und die Deflation zu überwinden.
Bitte an die einzelnen Generationen
Damit die umfassenden Reformen nun in Angriff genommen werden können, ist vor allem Ihr Verständnis, liebe Bürgerinnen und Bürger, unerlässlich. Die soziale Sicherheit ist ein Mechanismus, der generationenübergreifend von allen Menschen in Japan gemeinsam getragen wird. Als Prinzip hat dabei zu gelten: „Keine Leistungen ohne Lastenübernahme“. Das heißt, für denjenigen, der keine Lasten übernimmt, gibt es auch keine Leistungen. Ich möchte Sie bitten, dies zu verstehen. Bislang wurde so verfahren, dass die Rechnung den künftigen Generationen präsentiert wird. Eine verantwortungslose Haltung aber nach dem Motto „Was allein zählt, ist, dass es uns jetzt gut geht“ können wir nicht länger beibehalten.
Bitte an die Generation der Baby-Boomer
Zunächst möchte ich mich an die Generation der Baby-Boomer aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren wenden. Sie haben bisher als feste Stütze der Wirtschaft unseres Landes und der japanischen Gesellschaft fungiert. Nun stehen Sie unmittelbar vor dem Eintritt ins Rentenalter. In zehn Jahren werden Sie alle um die 75 Jahre alt sein. Sie haben innerhalb der öffentlichen Meinung Japans stets eine führende Stellung innegehabt, und zahlreiche „Trends“ sind von Ihrer Generation ausgegangen. Ich wende mich nun erneut mit einer Bitte an Sie: Bedenken Sie auch die Lage der Generation, die die Stütze Ihrer sozialen Sicherheit bildet, lassen Sie der umfassenden Reform Ihr Verständnis angedeihen und führen Sie die öffentliche Diskussion hierbei an.
Bitte an die derzeit berufstätige Generation und an die junge Generation
Als Nächstes möchte ich eine Bitte an die derzeit berufstätige Generation und an die junge Generation richten. Vielleicht denkt mancher von Ihnen, er gehöre einer „Generation an, die einfach Pech hat“, weil man selbst so viele ältere Menschen unterstützen muss. Es waren jedoch die uns vorausgegangen Generationen und unsere Eltern, die den Wohlstand der heutigen japanischen Gesellschaft geschaffen haben. Japan, wie es heute ist, wurde durch ihre unermüdlichen Anstrengungen möglich. Ich möchte Sie bitten, den „Stab des gegenseitigen Stützens“ nun, wo die Reihe an Ihnen ist, wie bei einem Staffellauf entgegenzunehmen. Selbstverständlich sind wir entschlossen, eine Reform durchzuführen, bei der auch die „stützende Seite“ die Segnungen der sozialen Sicherheit konkret spüren kann.
Bitte an diejenigen, die zurzeit Kinder erziehen und die Vereinbarkeit von Erziehung und Beruf anstreben
Schließlich eine Bitte an die Mütter und Väter, die derzeit voll und ganz mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt sind, aber auch an die Frauen, die den großen Wunsch hegen, das Aufziehen der Kinder und ihre berufliche Karriere in Einklang miteinander zu bringen. Bedauerlicherweise hat Japan bislang den Aspekten der sozialen Sicherheit, die den Blick auf die Kinder und die Generation der Erziehenden richten, wenig Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Wir werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, ein neues System für Kinder und deren Erziehung zu gestalten. Damit es möglich ist, ohne Sorgen Kinder zu bekommen. Wir werden zusammen mit Ihnen eine Reform in Angriff nehmen, um eine Gesellschaft zu verwirklichen, in der es nicht länger vorkommt, dass keine Betreuungsplätze für Kinder vorhanden sind, wenn die Eltern und vor allem die Mütter eigentlich wieder arbeiten möchten.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, das Verständnis und die Unterstützung aller Generationen sind unerlässlich. Wir sind unwiderruflich entschlossen, diese „umfassende Reform des Systems der sozialen Sicherheit und des Steuersystems“ nun in Angriff zu nehmen.
Ich bitte Sie abschließend noch einmal um Ihrer aller Unterstützung!