
Persönlichkeiten des Austausches
zwischen
Japan und Deutschland (2):
Wilhelm Solf (1862-1936)
Der Diplomat und Politiker Wilhelm Solf wurde 1862 in Berlin geboren. Er studierte Indologie und promovierte 1885 mit einer Arbeit über altindische Lyrik. 1888 trat er als Dolmetscher für orientalische Sprachen in das Auswärtige Amt ein und wurde an das deutsche Generalkonsulat in Kalkutta entsendet. Da Solf eine Aufnahme in den höheren diplomatischen Dienst anstrebte, kehrte er bereits im folgenden Jahr nach Deutschland zurück und absolvierte ein zusätzliches Jurastudium. Nach Ablegung der juristischen Examen wurde er 1896 in die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes berufen. Es folgten Tätigkeiten in den deutschen Kolonien in Ostafrika und in der Südsee (Samoa). 1900 wurde er erster Gouverneur von Deutsch-Samoa. Dort gelang es ihm, den Aufstand eines einheimischen Herrschers ohne Waffengewalt abzuwenden, eine Leistung, die Solf selbst im Rückblick als „Arbeit meines Lebens, auf die ich am meisten stolz bin“ bezeichnete. Aufgrund seiner Verdienste wurde er 1911 zum Staatssekretär des Reichskolonialamts berufen und war damit für alle deutschen Kolonien zuständig. Als Prinz Max von Baden im Oktober 1918, kurz vor Kriegsende, Reichskanzler wurde, ernannte er Wilhelm Solf zum letzten Außenminister des deutschen Kaiserreiches.
Als Verbündeter Großbritanniens hatte Japan Deutschland im August 1914 den Krieg erklärt und im November die deutsche Kolonie Tsingtau in China erobert. Bereits zuvor waren die deutschen Kolonien in der Südsee von alliierten Truppen, darunter auch japanische, besetzt worden. Der Vertrag von Versailles, der den Weg für die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern frei machte, trat im Januar 1920 in Kraft. Kurz darauf wurde Wilhelm Solf von Reichspräsident Ebert zum Geschäftsträger in Tokyo bestellt. Nach seiner Ankunft im August des Jahres wurde er bereits im Dezember 1920 zum Botschafter ernannt.
Obwohl die japanisch-deutschen Beziehungen infolge des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 zum ersten Mal unterbrochen waren, bestand auf beiden Seiten doch kein Hass auf den jeweils anderen. Von den kriegsgefangenen deutschen Soldaten abgesehen, denen etwa im Kriegsgefangenenlager Bando auf Shikoku eine sehr menschliche Behandlung zuteilwurde, konnten die meisten Deutschen, die in Japan lebten, auch während des Krieges in ihren Häusern wohnen bleiben. Nur geschäftliche Betätigungen waren untersagt. Nach dem Krieg gab Japan den Deutschen 70 % ihres gesperrten Vermögens zurück; damit nahm Japan im Vergleich zu den anderen Siegermächten eine sehr großzügige Haltung ein. Auch die Gemeinschaftseinrichtungen der deutschen Kolonie in Japan wie Klubs oder Schulen wurden zurückgegeben oder es wurde Entschädigung geleistet. Darüber hinaus bestanden, nachdem Deutschland seine überseeischen Besitzungen in Asien verloren hatte, keine unmittelbaren Interessengegensätze mit Japan mehr.
In diese Situation der Wiederherstellung der freundschaftlichen japanisch-deutschen Beziehungen fiel nun die Ankunft von Wilhelm Solf in Tokyo. Seine Tätigkeit dort hatte drei Aspekte: einen gleichsam innerdeutschen, einen politischen und einen kulturellen. So musste er die Mitglieder der deutschen Kolonie in Japan über die Situation im Nachkriegsdeutschland und über die neuen Verhältnisse informieren und sie dazu bewegen, diese auch zu akzeptieren. Auf politischem Gebiet gelang es Solf, auch durch sein großes Einfühlungsvermögen und seine ausgleichende Haltung, allmählich das Vertrauen in das neue Deutschland zu wecken und eine enge Zusammenarbeit vor allem mit den Vertretern Großbritanniens und der Vereinigten Staaten zu gestalten. So konnte er schon nach wenigen Monaten freundschaftliche Beziehungen zum britischen Botschafter herstellen, den er noch von seiner Zeit als Gouverneur in Samoa her kannte. Gegen Ende seiner Amtszeit beschrieb Solf seine Leistung so: „Als ich ankam, war auch hier […] Kriegs-Psychose. Ich war gut zwei Jahre lang der am liebsten gemiedene Boche. […] Jetzt bin ich Doyen des diplomatischen Corps, Präsident des internationalen Clubs, Vorsitzender der Asiatic Society of Japan, Commodore des […] Jachtclubs usw. Meine Stellung bei der japanischen Regierung ist die, dass man mich oft bei Verhandlungen über russische und fernöstliche Fragen zu Rate gezogen hat.“ Wegen Erreichens der Altersgrenze sollte Solf eigentlich Anfang 1928 abberufen werden, doch Japan bat die deutsche Regierung, ihn noch bis Ende des Jahres als Botschafter in Tokyo zu belassen, damit er als Doyen des diplomatischen Corps bei den Krönungsfeierlichkeiten des Showa Tenno dem Kaiser die Glückwünsche der Diplomaten übermitteln konnte.
Der wichtigste Aspekt von Solfs Wirken in Japan lag jedoch im Bereich der kulturellen Beziehungen. Als promovierter Indologe gelang es ihm schnell, innerhalb der japanischen Kulturgeschichte Zusammenhänge zu entdecken, die ihm den Zugang zur Geistesgeschichte des Landes eröffneten. Auch die japanische Seite war von seinem persönlichen Auftreten und seinen Kenntnissen so angetan, dass ihm rasch großes Vertrauen entgegengebracht wurde. Vor allem aber bemerkte Solf bald, dass die deutschen Leistungen in Wissenschaft und Kultur trotz des Krieges in Japan weiterhin großes Ansehen genossen. Mit Unterstützung des japanischen Außenministers Shimpei Goto (1857-1929), einem in Wien und München ausgebildeten Mediziner, gelang es ihm, Hilfe aus Japan für die deutsche Wissenschaft, die unter den Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs und der Inflation litt, zu organisieren. Japanische Unternehmer, darunter Hajime Hoshi, spendeten teilweise erhebliche Mittel für die Unterstützung deutscher Wissenschaftler.
Zwei kulturpolitische Höhepunkte während Solfs Amtszeit in Tokyo waren die Japanreisen der beiden deutschen Nobelpreisträger Albert Einstein im Jahr 1922, die laut Solf einem „Triumphzug“ glich, und Fritz Haber 1924. Der Besuch Habers stand in engem Zusammenhang mit Plänen zur Errichtung zweier parallel organisierter Kulturinstitute in Berlin und Tokyo, um dem kulturellen Austausch einen institutionellen Rahmen zu geben und so das gegenseitige Verständnis in beiden Ländern weiter zu fördern. Hier musste zunächst einiger Widerstand überwunden werden, sowohl auf japanischer Seite, wo man Rücksicht auf die anderen westlichen Länder nehmen zu müssen glaubte, als auch auf deutscher Seite. Schließlich konnte sich im Mai 1925 in Berlin das Japaninstitut, dessen vollständiger Name „Institut zur wechselseitigen Kenntnis des geistigen Lebens und der öffentlichen Einrichtungen in Deutschland und Japan“ lautete, konstituieren. Dank des beharrlichen Einsatzes von Solf und Goto in Japan gelang es schließlich, im Juni 1927 auch das Schwesterinstitut in Tokyo zu eröffnen.
Solf verließ Japan im Dezember 1928 und kehrte nach Deutschland zurück. 1929 wurde er Präsident des Japaninstituts in Berlin. Unter seiner Amtszeit (bis 1936) verfolgte das Institut insbesondere den Schwerpunkt der Buddhismusforschung; zudem betonte Solf die Bedeutung der Erforschung der Geschichte Japans sowie der Präsentation der modernen japanischen Literatur. Aus seiner Ablehnung des Nationalsozialismus machte er keinen Hehl. Er bemühte sich in seinen letzten Lebensjahren, jüdischen Gelehrten, Künstlern und Technikern, etwa die Einreise nach Japan zu ermöglichen, was durch seine Verbindungen nach Japan in einigen Fällen auch gelang. Wilhelm Solf starb 1936 in Berlin. Das Japaninstitut bestand bis 1945. Auf die demokratische Traditionslinie dieses Instituts beruft sich auch das seit 1987 bestehende Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin.
Verwendete Literatur:
U.a. Eberhard Friese (1986): Weltkultur und Widerstand. Wilhelm Solf 50 Jahre †; Schwalbe und Seemann (1974): Deutsche Botschafter in Japan 1860-1973.