
Rede von Premierminister Shinzo Abe zur Eröffnung des Open Forum der „World Assembly for Women in Tokyo: WAW! Tokyo 2015“
am 28.08.2015
Foto: Cabinet Public Relations Office
Herzlich willkommen zur WAW!
Und herzlich willkommen in Japan!
In diesem Jahr haben sich zur zweiten WAW! rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ca. vierzig Staaten und acht internationalen Organisationen zusammengefunden – mehr als im vergangenen Jahr.
Abenomics heißt „Womenomics“. In den vergangenen zweieinhalb Jahren habe ich mich konsequent für die Förderung der aktiven Teilnahme von Frauen an der Gesellschaft eingesetzt. Während dieser Zeit sind rund eine Million Frauen neu in den Arbeitsmarkt eingetreten, während gleichzeitig die Zahl der weiblichen Mitglieder in den Führungsgremien von Unternehmen um etwa dreißig Prozent zugenommen hat. Meine Ambitionen machen aber keineswegs vor den Grenzen Japans halt. Wie ich bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr ausgeführt habe, möchte Japan das 21. Jahrhundert zu einem Jahrhundert gestalten, in dem es keine Verletzung der Menschenrechte von Frauen gibt. Ich fühle mich außerordentlich geehrt, dass ich von der Frauenorganisation der VN zu einem der zehn männlichen Staats- und Regierungschefs gewählt wurde, die sich im Rahmen ihres Regierungshandelns in besonderem Maße für die Förderung der aktiven Teilnahme von Frauen an der Gesellschaft einsetzen.
Aber auch Japans Männer beginnen sich zu verändern. Seit letztem Jahr haben männliche Unternehmensmanager wie Herr Yoshimitsu Kobayashi, Vorsitzender der Mitsubishi Chemical Holdings Corporation, und Herr Hidetoshi Sakuma, Präsident der Chiba Bank, – beide nehmen übrigens an der WAW! in diesem Jahr teil – ihre Absicht bekundet, Frauen dabei zu unterstützen, das in ihnen steckende Potential in vollem Umfang zur Entfaltung zu bringen. Sie setzen sich nun nachdrücklich dafür ein, die Akzeptanz dafür zu fördern.
Auch Männer müssen sich beteiligen
In diesem Jahr lautet das Thema der WAW!: „WAW! for All“. Es ist dies die Botschaft, dass Frauen und Männer gemeinsam an der Gestaltung einer Gesellschaft mitwirken müssen, in der beide Geschlechter gleichberechtigt ein erfülltes Leben führen können.
Die größte Herausforderung, vor der Japan steht, ist der Bevölkerungsrückgang infolge der Alterung unserer Gesellschaft und der sinkenden Geburtenrate. In der Vergangenheit war der weitverbreitete Trend zu beobachten, dass eine höhere Quote berufstätiger Frauen zu einer niedrigeren Geburtenrate führt. Heute jedoch haben die Industriestaaten, die eine weltweit führende Stellung bei der aktiven Teilnahme von Frauen an der Gesellschaft innehaben, gleichzeitig eine hohe Quote bei den berufstätigen Frauen und eine hohe Geburtenrate. Insbesondere die nordeuropäischen Staaten sind sehr erfolgreich dabei, unter dem Banner der aktiven Partizipation von Frauen wirtschaftliches Wachstum und steigende Geburtenraten miteinander in Einklang zu bringen.
Auch Japan möchte diesen Ländern nacheifern. Allerdings bildet das größte Hindernis hierzulande eine Arbeitskultur, die allein Männer mit sehr langen Arbeitszeiten gelten lässt. Wenn die Männer sich dieser Tatsache nicht selbst bewusst werden und endlich handeln, kann diese schlechte Praxis nicht überwunden werden. Zuallererst müssen wir eine Unternehmenskultur fördern, die einen Arbeitsstil wertschätzt, bei dem die Arbeit in effizienter Weise in einem genau festgelegten Zeitrahmen erledigt wird. Auch Ehemänner sollen für die Erziehung ihrer Kinder frei nehmen können, und Ehepaare sollen die Verantwortung für Hausarbeit und Kindererziehung miteinander teilen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass dies die übliche Praxis in Japan wird.
Wenn uns dies gelingt, werden sowohl Männer als auch Frauen in der Lage sein, ihre Arbeit auf eine hochproduktive Weise auszuüben, die mit einem lebendigen Alltagsleben kompatibel ist. Gleichzeitig können sie ein erfüllteres Leben sowohl als Individuum als auch innerhalb der Familien und Gemeinschaft führen. Die Förderung der aktiven Teilnahme von Frauen an der Gesellschaft bereichert auf diese Weise auch das Leben der Männer.
Um eine solche Gesellschaft zu verwirklichen, müssen die Unternehmen ein Arbeitsumfeld bieten, in dem es den Angestellten ohne weiteres möglich ist, für die Erziehung ihrer Kinder frei zu nehmen. Im Rahmen der Regierungsaufträge werden wir verstärkt solche Unternehmen wertschätzen und fördern, die sich für ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie einsetzen.
Frauen als Führungskräfte in ihren Organisationen
Echte Reformen wird es solange nicht geben, bis neben einem Bewusstseinswandel bei den Männern auch mehr Frauen führende Positionen in ihren Organisationen einnehmen.
Wir müssen als erste selbst die Schritte ergreifen, die wir von anderen fordern. Die Regierung hat daher beschlossen, ab diesem Haushaltsjahr den Frauenanteil bei den neu eingestellten Angehörigen des öffentlichen Dienstes auf über dreißig Prozent festzusetzen. Dies ist uns gelungen, indem wir beispielsweise den Anteil der eingestellten Frauen in der Laufbahn für Führungspositionen von 10,4 Prozent im letzten Jahr auf 34,3 Prozent in diesem Jahr gesteigert haben. Bei den Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst, die etwa den Mitgliedern in Führungsgremien von Unternehmen entsprechen, haben wir deren Zahl im Zeitraum von anderthalb Jahren seit dem Antritt meiner jetzigen Regierung ungefähr verdoppelt.
Im Bereich der privaten Unternehmen ist nun vorgeschrieben, dass die Unternehmen im Rahmen ihrer Geschäftsberichte auch den Anteil der Frauen in Führungspositionen angeben. Heute Morgen wurde ein neues Gesetz erlassen, um die aktive Teilnahme von Frauen an der Gesellschaft zu fördern. Ab April 2016 sind Unternehmen dazu angehalten, auf freiwilliger Basis Aktionspläne zu erstellen und zu veröffentlichen, die konkrete Zielvorgaben in Bezug auf die Anstellung von Frauen und deren Berufung in Führungspositionen beinhalten. Die Regierung und die Kommunen werden ebenfalls solche Pläne aufstellen. Dies bildet den ersten Schritt dafür Frauen in Positionen zu bringen, wo sie Entscheidungen treffen können. Japan ist nun auf dem Weg in eine neue Ära. Der Unternehmerverband Keidanren (The Japan Business Federation) hat bereits im letzten Sommer eigene Aktionspläne veröffentlicht, und seitdem hat sich die Zahl der daran teilnehmenden Unternehmen etwa verzehnfacht. Wir werden diesen Trend weiter fördern, indem wir dafür einen soliden institutionellen Rahmen schaffen.
Wenn wir die Berufung von Frauen in Führungspositionen, in denen sie Entscheidungen treffen können, fördern, müssen wir gleichzeitig ein Umfeld gestalten, in dem Frauen sich mit ganzer Energie auf ihre Ausbildung konzentrieren können, weil sie genau wissen, dass solche Positionen für sie bereitstehen. Zudem ist ein Umfeld erforderlich, in dem die Menschen solche Berufungen als selbstverständlich ansehen und auch erwarten. Frau Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf, die uns heute mit ihrer Anwesenheit beehrt, ist die erste Präsidentin Afrikas. Frau Marillyn Hewson ist eine leitende Angestellte im Rüstungskonzern Lockheed Martin Corporation, eine Industrie, deren Image von Männern dominiert wird. Sie hat diese Barriere überwunden und den Weg nach ganz oben an die Spitze geschafft. Ich bin bereits sehr gespannt auf das, was sie uns später im Rahmen dieses Programms darüber berichten wird, was notwendig ist, damit Frauen Führungspositionen einnehmen können.
Die vorderste Linie in Bezug auf die Teilnahme von Frauen an der Gesellschaft
Ich habe auch eine Ausweitung der Felder bemerkt, in denen Frauen sich aktiv engagieren. Vielfalt in Bezug auf humane Ressourcen schafft Innovationen. Auch in Japan beginnen viele Unternehmen diese Tatsache zu erkennen. Frauen und eine Vielfalt bei den humanen Ressourcen sorgen dafür, dass neue Güter und Dienstleistungen auf den Markt kommen, indem sie Nutzen aus ihren spezifischen Stärken und ihrem Wissen ziehen.
Frau Tomoko Fukuyama, die als Managerin eines führenden japanischen Herstellers von Snacks für Geschäftsoperationen im Wert von zig Milliarden Yen verantwortlich ist, verlässt jeden Tag um 16 Uhr ihr Büro, um sich der Betreuung ihrer Kinder zu widmen. Frau Yuu Yamakami, die sich mit großem Engagement für die Verbreitung von Recycling-Toiletten, die kein Wasser benötigen, in Kenia einsetzt. Frau Yuko Kuno, eine Forscherin, die als erfolgreiche Entwicklerin einer ganzen Reihe neuer Medikamente aktiv ist, und die nun gleichsam als Inkubator für die Entdeckung außergewöhnlicher Talente agiert. Die Zahl der Frauen, die neue Werte für unsere Gesellschaft schaffen, nimmt wirklich rapide zu.
Japan ist ein wissenschafts- und technologieorientiertes Land. Frauen könnten sich in diesem Bereich mit Sicherheit noch aktiver engagieren. Allerdings hören wir von den Unternehmen, dass selbst, wenn sie Frauen anstellen wollen, die Zahl der weiblichen Studierenden mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften einfach zu gering ist.
In diesem Sommer haben über dreißig Unternehmen ein Programm umgesetzt, das Mittel- und Oberschülerinnen die Chance bietet, Arbeitsplätze in den Bereichen Naturwissenschaften und Bauingenieurswesen kennenzulernen. Zusätzlich dazu wird die Regierung ein Netzwerk ins Leben rufen, bei dem Industrie, der akademische Sektor und die Regierung zusammenwirken. Damit soll es weiblichen Studierenden ermöglicht werden, ihr Interesse für Themen aus dem Bereich Naturwissenschaften und Technologie für sich zu entdecken und ihnen vielversprechende Karriereaussichten in diesem Bereich zu bieten.
Wir werden darüber hinaus Frauen dabei unterstützen, eigene Unternehmen zu gründen. Wenn Frauen neue Unternehmen ins Leben rufen, schaffen sie neue Nachfrage und beleben ihre Kommunen mit neuer Vitalität. Der Anteil der Unternehmen, die von Frauen gegründet werden, liegt derzeit unter zwanzig Prozent und ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gesunken. Ich werde dafür sorgen, dass diese Zahl sprunghaft ansteigt. Zu diesem Zweck werden wir überall in Japan Kurse anbieten, um weibliche Unternehmer auszubilden und ihnen Wissen zu vermitteln, das sie für Unternehmensgründungen nutzen können. Zugleich werden wir auf regionaler Ebene Netzwerke schaffen, bei denen erfahrene Unternehmensgründer, wichtige Unternehmen und Finanzinstitutionen in diesen Regionen zusammenwirken und die Gründung von Unternehmen durch Frauen unterstützen.
Unterstützung benachteiligter Haushalte
Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen den Menschen zu helfen, die sich inmitten verschiedenster schwieriger Umstände befinden. Bis Ende des Jahres werden wird ein Maßnahmenpaket schnüren, das die Unterstützung alleinerziehender Frauen u.a. in Bezug auf Kinderbetreuung, Alltag und Beschäftigung zum Ziel hat. Dieses Paket wird gleichzeitig Strukturen schaffen, um die Unterstützung auf verlässliche Weise mit den Haushalten zu verknüpfen, die diese wirklich benötigen.
Internationales Engagement
Eine Gesellschaft, in der alle Menschen – Männer und Frauen – ein erfülltes Leben führen können. Ich werde keine Anstrengungen scheuen, um diese Art von Gesellschaft in Japan sowie weltweit zu gestalten.
Bei der Generalversammlung der VN vor zwei Jahren hatte ich zugesagt, dass die Regierung von Japan in den kommenden drei Jahren bis 2015 staatliche Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von drei Milliarden Dollar bereitstellen wird, um „eine Gesellschaft zu schaffen, in der Frauen leuchten“. Dieses Engagement haben wir stetig umgesetzt. Im Februar haben wir die Grundsätze für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit Japans erstmals seit zwölf Jahren einer genauen Prüfung unterzogen. In diesem Rahmen wurde die gesellschaftliche Teilnahme von Frauen als ein neuer Grundsatz hinzugefügt. In den kommenden drei Jahren werden wir staatliche Entwicklungszusammenarbeit im Umfang von 42 Mrd. Yen für qualitativ hochwertige Bildung für Frauen und Mädchen aufwenden, damit diese wirtschaftlich unabhängig und in die Lage versetzt werden, ihren weiteren Lebensweg selbst zu bestimmen.
Wir werden zudem alles in unseren Kräften stehende unternehmen, um die Zusammenarbeit mit der VN-Frauenorganisation, dem Büro von Frau Zainab Bangura, der Sonderbeauftragten des VN-Generalsekretärs für sexuelle Gewalt in Konflikten, und anderen internationalen Organisationen auszuweiten. Tatsächlich hat Japan in den vergangenen zwei Jahren seine Beiträge für die VN-Frauenorganisation auf Yen-Basis verzehnfacht. Übermorgen wird die Eröffnungszeremonie des Verbindungsbüros dieser Organisation hier in Tokyo stattfinden. Ich selbst beabsichtige daran teilzunehmen und möchte dieser Organisation bereits an dieser Stelle meine Glückwünsche aussprechen.
Schluss
Im nächsten Jahr wird Japan die Präsidentschaft der G7 innehaben. Ich beabsichtige, die Agenda für Frauen auch beim Gipfeltreffen von Ise-Shima weiter voranzutreiben. Dafür plane ich, die Ergebnisse der diesjährigen WAW! mit dem anstehenden G7-Gipfel zu verknüpfen. Die Verbindungen zwischen Frauen und Unternehmerschaft, Naturwissenschaften und Technologie, Bildung und anderen Formen der Stärkung sowie Gesundheit mögen als Beispiele für all die Themen gelten, die ich im Zusammenhang mit den G7 besonders hervorheben möchte.
Der Schlussvorhang ist gefallen für eine Ära, in der Menschen noch gefragt haben, warum wir die Teilnahme von Frauen an der Gesellschaft fördern. Jetzt ist es für uns an der Zeit darüber zu diskutieren, wie wir dieses Ziel verwirklichen können. Ich hoffe, dass Sie heute und morgen intensive Diskussionen darüber führen werden, die uns zur Realisierung einer Gesellschaft hinführen, in der Frauen leuchten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.