Botschaft von Japan

Sicherheitspolitik

Ansprache von Premierminister ABE Shinzo bei der Abschlussfeier der Absolventen der National Defense Academy in Yokosuka am 22.03.2020

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(Foto: Cabinet Public Relations Office)

Anlässlich dieser Abschlussfeier der Absolventen der National Defense Academy (NDA) möchte ich Sie alle, die Sie eine zentrale Rolle bei der Verteidigung unseres Landes spielen, aufrichtig beglückwünschen. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrem Studienabschluss! Als Oberbefehlshaber der Self-Defense Forces (SDF) erfüllt mich Ihr Anblick als frische Absolventen voller Tatendrang mit einem starken Gefühl der Beruhigung. Bei dieser Gelegenheit möchte ich an Sie, die Sie nun als Offiziere der SDF Ihren weiteren Weg beschreiten werden, einige Worte richten. Zunächst jedoch möchte ich anmerken, dass heute eigentlich Ihre Eltern sowie weitere Gäste hier anwesend sein sollten, um zu sehen, wie prächtig Sie alle sich entwickelt haben sowie um gemeinsam mit Ihnen Ihre ersten Schritte als Angehörige der SDF zu feiern. Aufgrund der zunehmenden Ausbreitung des neuartigen Coronavirus, die zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich bringt, ist dies leider nicht möglich. Dass nun zum ersten Mal in der Geschichte der NDA die Abschlussfeier in dieser Form stattfindet, ist wirklich bedauerlich, und ich möchte mich bei den Absolventen und allen Beteiligten dafür entschuldigen.

Derzeit befinden sich im Rahmen der Bekämpfung des Coronavirus über 8.500 Angehörige der SDF im Einsatz, die auch in diesem Moment beispielsweise in verschiedenen Krankenhäusern der SDF mit der Behandlung von Infizierten betraut sind. Für die im Rahmen der in der letzten Woche abgeschlossenen Maßnahmen auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ eingesetzten SDF-Angehörigen war diese Tätigkeit größtenteils eine neue Erfahrung. Nach Einweisung durch Fachpersonal des Sanitätsdienstes waren sie mit den verschiedensten Aufgaben betraut, die von Desinfektionsarbeiten, der Errichtung und Unterhaltung von Versorgungsdiensten bis hin zu Krankentransporten unter Wahrung der Privatsphäre reichten. Was die Schnelltests auf das Coronavirus anbelangt, konnten Truppenärzte in nur zehn Tagen mehr als 2.200 Proben sammeln. Während des gesamten Einsatzes wurde bei keinem Angehörigen der SDF eine Infektion festgestellt. Alle Schritte wurden in der vorgeschriebenen Reihenfolge und unter genauester Beachtung der Grundlagen in umsichtiger Weise durchgeführt. Gerade weil die Angehörigen der SDF dieses Vorgehen zutiefst verinnerlicht haben, konnten sie diese Aufgabe in perfekter Weise erfüllen.

Nachdem im März 1995 der Sarin-Anschlag auf die U-Bahn in Tokyo verübt worden war, musste sich eine 75 Mann starke Dekontaminationseinheit einer unsichtbaren Bedrohung stellen. Einer der eingesetzten Soldaten schrieb später, beim Eintritt in den U-Bahnhof habe er sich gefühlt, als würde er in die Hölle hineingezogen werden. Die vollständig mit einem Schutzanzug bekleideten Angehörigen dieser Einheit machten sich unter Anleitung von Experten des ABC-Abwehrdienstes daran, die Reinigungsmittel für die Dekontamination vorzubereiten. Anschließend betraten sie die Bahnhöfe, die womöglich noch immer mit Giftgas gefüllt waren und reinigten unter größter Sorgfalt und schweigend mit ihren Gerätschaften jeden Winkel der U-Bahnwagen vom Sarin. Nachdem diese Arbeiten abgeschlossen waren, befahl einer der verantwortlichen Kommandeure vor Ort, Major NAKAMURA Katsumi, seinen Männern in einiger Entfernung eine Warteposition einzunehmen, um dann selbst unvermittelt seine Gasmaske abzunehmen und kräftig die Luft der Umgebung einzuatmen. Bei Sarin ist bereits eine eingeatmete Menge von 0,1 Gramm tödlich. Da damals keine Messgeräte zur Verfügung standen, musste die Sicherheit letztendlich unter dem Einsatz des eigenen Lebens festgestellt werden. Seine damaligen Gedanken schilderte Major Nakamura so: „Ich habe die Maske voller Vertrauen abgenommen, weil die Männer wirklich perfekt gearbeitet hatten.“ Bei welchen Vorkommnissen auch immer setzen die Angehörige der SDF sich ohne Rücksicht auf die Gefahr mit ganzer Kraft für die Erfüllung der ihnen gestellten Aufgabe ein. Dafür üben sie tagtäglich immer wieder jeden Handgriff unter vollem Einsatz. Von ihnen wird gefordert, dass sie viele Anstrengungen unternehmen, um so stets mit ganzer Kraft bereit zu stehen.

In diesem Jahr jährt sich die Erneuerung des Japanisch-Amerikanischen Sicherheitsvertrags zum 60. Mal. Das Bündnis zwischen Japan und den Vereinigten Staaten bildet die zentrale Achse unserer Außen- und Sicherheitspolitik, die es Japan ermöglicht, seinen Weg als ein dem Frieden verpflichteter Staat zu beschreiten, und es bildet zugleich die Grundlage für die Verwirklichung stabilen Wachstums. Seinerzeit wurde die Erneuerung des Vertrags heftig kritisiert, da man befürchtete, möglicherweise in einen Krieg hineingezogen zu werden. Trotzdem haben unsere Vorfahren damals die Zukunft in 50 Jahren, ja in 100 Jahren fest im Blick behalten und Entschlossenheit bewiesen. Bei der Verabschiedung der Gesetzgebung für Frieden und Sicherheit 2018 gab es die gleiche Diskussion. Ein Bündnis aber, bei dem man sich gegenseitig hilft, stärkt dadurch seine Bande. Mithilfe dieser Gesetzgebung wurde das japanisch-amerikanische Bündnis so stark wie nie zuvor, und es stellt inmitten eines schwierigen internationalen Umfelds ein großes Abschreckungspotenzial dar.

Sie alle werden womöglich als Offiziere in den unterschiedlichsten Situationen Entscheidungen treffen müssen, für die es keine Präzedenzfälle gibt. Handeln Sie daher stets als Kommandeure, die unsere Welt mit wachen Augen sehen und auf der Grundlage einer sorgfältigen Analyse entscheiden, wobei Sie stets die Gesamtsituation im Blick behalten. Unser Bündnis mit den Vereinigten Staaten bildete bisher die zentrale Achse der Außen- und Sicherheitspolitik Japans und wird dies auch künftig tun. Die wirkungsvolle Umsetzung dieses Bündnisses ruht auf Ihren Schultern. Das eigene Land aus eigener Kraft zu schützen – zusammen mit dieser festen Entschlossenheit werden wir die Rolle, die Japan ausfüllen kann, ausweiten, um das japanisch-amerikanische Bündnis als öffentliches Vermögen unserer Region weiter zu stärken. Ich bitte jeden Einzelnen von Ihnen, seinen Dienst auf der Grundlage dieses Bewusstseins zu versehen und die Bande zwischen beiden Ländern weiter zu festigen. Wir befinden uns in einem Zeitalter, in dem ein Land allein seine Sicherheit nicht länger aus eigener Kraft gewährleisten kann; die gemeinsam von Japan und den Vereinigten Staaten verfolgte Vision eines freien und offenen Indo-Pazifiks bildet das Fundament für Frieden und Wohlstand in dieser Region als Ganzes.

Gegenwärtig werden unterschiedlichste Kooperationen im Sicherheitsbereich mit Staaten wie Australien, Indien oder den Mitgliedsstaaten der ASEAN ausgeweitet, beispielsweise in Gestalt gemeinsamer Übungen, durch Unterstützung beim Aufbau von Fähigkeiten oder in Form von Katastrophenhilfe. Auch bei meinen Zusammenkünften mit anderen Staats- und Regierungschefs ist die Verteidigungskooperation stets ein Thema, und ich persönlich spüre, dass sich große Erwartungen an die SDF richten. „Ich danke Japan und möchte die Zusammenarbeit auch künftig fortsetzen“ – das waren die Worte des philippinischen Präsidenten Duterte. Nicht nur beim Transfer von Ausrüstung, sondern von der Pilotenausbildung bis zur Schulung des Wartungspersonals stellte Japan Hilfe bereit, wie nur unser Land sie leisten kann, und verbesserte so die Fähigkeiten der Philippinen, ihre mehr als 7.000 Inseln sowie großflächige Meeresgebiete zu kontrollieren. Ich möchte, dass Sie alle bei der Kooperation mit diesen Staaten eine führende Position einnehmen. Und die dreißig ausländischen Absolventen aus neun Nationen, die heute ebenfalls ihren Abschluss feiern, bitte ich, als Brücke bei dieser Zusammenarbeit zu fungieren. Als ich im letzten Jahr die NDA-Absolventen Ihres Vorgängerjahrgangs in meinen Amtssitz eingeladen hatte, meinte der thailändische Generalmajor Napadon: „Die Absolventen der NDA stehen hinter den Absolventen anderer Hochschulen nicht zurück, und sie möchten beweisen, dass sie eine zentrale Rolle bei der weltweiten Sicherheit einnehmen.“ Ich freue mich auf den Tag, an dem sich die ausländischen Absolventen und die SDF Hand in Hand für Frieden und Wohlstand in der Welt engagieren werden.

Auch bei der Gestaltung des gewaltigen Ozeans, der sich vom Pazifik bis zum Indischen Ozean erstreckt, zu einem freien und offenen Meer kommt der Rolle, die Sie ausfüllen, eine immer größere Bedeutung zu. Im Golf von Aden, ganz im Westen des Indischen Ozeans, sind Ihre älteren Kameraden in glühender Hitze von teilweise mehr als 50° Celsius im Einsatz, um über 4.000 Handelsschiffe zu schützen. Vor gerade einmal zehn Jahren wurden erstmals 400 Angehörige der SDF unter dem Kommando von GOTO Hiroshi im Rahmen der ersten Antipiraten-Mission Japans in diese Region entsendet. Angesichts der Tatsache, dass möglicherweise Fischerboote von Piraten, die mit Maschinengewehren und Raketenwerfern ausgerüstet sind, für ihre Überfälle verwendet werden, erwies sich die bisherige Vorgehensweise, bei der von einem Duell zwischen Kriegsschiffen ausgegangen wurde, als unpraktikabel. Während ununterbrochen Notrufe von Handelsschiffen eingingen, richtete der Kommandeur an seine Besatzung, die mit besorgten Mienen vor ihm stand, diesen Aufruf: „Die jetzige Aufgabe unterscheidet sich völlig von bisherigen Einsätzen. Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken, was zu tun ist.“ Zu den Einsatzbesprechungen wurden nun auch junge Offiziere hinzugezogen; es entwickelten sich manchmal hitzige Diskussionen ohne Rücksicht auf den Dienstgrad und neue Ideen wurden aktiv aufgegriffen. Der Kommandeur setzte sich dafür ein, die hierarchische Atmosphäre von Befehl und Gehorsam zu überwinden und suchte überall auf dem Schiff den Kontakt mit der Besatzung, damit jeder seine Meinung offen sagen konnte. Bei zwanglosen Unterhaltungen erhielt er so wertvolle Hinweise z.B. für den am besten einzuschlagenden Kurs im Falle eines Angriffs sowie für die dafür erforderliche Entfernung. Von Matrosen und Maaten gab es Anregungen, die nur diese aufgrund ihrer Position ganz vorne beim Einsatz geben konnten. Im Nu hatte sich die Sorge der Besatzung in hohen Kampfgeist verwandelt, und bis unmittelbar vor dem Eintreffen im Einsatzgebiet wurden das Training sowie das Operationshandbuch immer wieder verbessert und angepasst. Auch danach flossen die Kenntnisse und der Schweiß der Besatzung in dieses Handbuch ein. Und bis heute, mehr als zehn Jahre später, gab es keinen einzigen Verlust auf unseren Schiffen, und die Sicherheit der Schifffahrt in dieser Region wird weiterhin gewährleistet. Es gibt aber nicht nur diesen Antipiraten-Einsatz, sondern etwa auch den Einsatz zur möglichen Abwehr ballistischer Raketen sowie die Überwachung illegaler Schiff-zu-Schiff-Beladungen. Angesichts des dramatischen Wandels innerhalb des Umfelds, in dem sich unser Land befindet, haben die SDF Aufgaben zu erfüllen, bei denen sie nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können. Jeder einzelne von Ihnen ist daher dazu aufgerufen, seine ganze Kraft aufzuwenden und gemeinsam neue Wege zu erschließen. Es ist mein inniger Wunsch, dass Sie sich zu Persönlichkeiten entwickeln, die sich durch große Führungsstärke und ständiges Weiterbilden auszeichnen.

Seit Januar dieses Jahres läuft der Einsatz zum Sammeln von Informationen in den Gewässern des Mittleren Ostens. Diese Gewässer werden von mehreren Tausend japanischen Schiffen im Jahr befahren; rund 90% des Rohöls, das unser Land verbraucht, werden durch diese Gewässer transportiert. Diese Region bildet somit eine wichtige Lebensader für die Versorgung unserer Bevölkerung. Am 2. Februar hatte ich Gelegenheit, die Fregatte „Takanami“ zu besichtigen und mich persönlich an die Besatzung des Schiffes, das Kurs auf den Mittleren Osten nahm, zu wenden. Die Besatzung war sich der Bedeutung ihrer Aufgabe in hohem Maße bewusst, und der Anblick der in exakter Ordnung an Bord gehenden Besatzung erfüllte mich mit Stolz. Es ist ein langer Einsatz, der sich über ein halbes Jahr erstrecken wird. Dafür, dass die Familienangehörigen die Besatzung nichtsdestotrotz mit lächelnden Gesichtern verabschiedeten, möchte ich diesen ganz herzlich danken. Allein eine Sache fand ich bedauerlich, nämlich dass im Blickfeld der Familienangehörigen Plakate hochgehalten wurden, auf denen geschrieben stand: „Dies verstößt gegen die Verfassung“. Vielleicht haben auch kleine Kinder der Besatzungsmitglieder diese Plakate gesehen, und ich frage mich, was sie wohl gedacht haben mögen. Dafür finde ich keine Worte. Mir ist dabei erneut klar geworden, dass wir ein Umfeld dafür schaffen müssen, dass die Angehörigen der SDF ihren Einsatz mit großem Kampfgeist und im Bewusstsein der Bedeutung ihres Dienstes erfüllen können. Sie alle werden nun als Offiziere der SDF ganz unterschiedliche Wege beschreiten und ich bitte Sie, seien Sie stolz auf den Dienst, den sie von nun an leisten.

Ich wende mich nun an die Familienangehörigen der Absolventen, die heute zu meinem großen Bedauern nicht hier sein können. Wenn ich hier vom Rednerpult aus in die ernsten Blicke der Absolventen schaue, dann ist das wirklich ein imposanter Anblick, der mich mit großer Zuversicht erfüllt. Als Premierminister möchte ich Ihnen von ganzem Herzen dafür danken, dass Sie uns Ihre Kinder anvertraut haben, die Sie so liebevoll großgezogen haben. Wie ein Fels schützen die Absolventen den friedlichen Alltag und das Leben der Menschen unseres Landes. Sie führen ihre Kräfte mit den Staaten, die unsere Ziele teilen, zusammen und haben sich der großen Aufgabe verschrieben, Frieden und Stabilität in der Welt zu bewahren. Ich bitte Sie, Ihren Kindern auch weiterhin zur Seite zu stehen und sie zu unterstützen. Als Oberbefehlshaber der Self-Defense Forces verspreche ich Ihnen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werde, damit Ihre Kinder ihren Dienst inmitten des bestmöglichen Umfelds ausüben können.

Abschließend möchte ich dem Präsidenten der National Defense Academy, Prof. Kokubun, sowie allen Lehrkräften der NDA ganz herzlich dafür danken, dass sie diese jungen Menschen zu so prächtigen Führungspersönlichkeiten ausgebildet haben. Mein Dank gilt zudem allen Beteiligten, die der NDA stets ihr Wohlwollen und ihre Zusammenarbeit zuteilwerden lassen. Ich möchte diese Ausführungen mit meinen besten Wünschen für das künftige Wirken der Absolventen sowie für das weitere Gedeihen der National Defense Academy beschließen.