Botschaft von Japan

Kultur

Traditionelle japanische Küche im Laufe der Jahrhunderte

Während der Edo-Zeit (1603-1868) begannen die einfachen Menschen in Japan eine große Vorliebe für besonders geschmackvolle Speisen zu entwickeln, so dass zahlreiche Restaurants entstanden und die japanische Küche sich immer weiter verfeinerte. Damals wurden die Grundlagen für die einzigartige Esskultur gelegt, die Japans Hauptstadt Tokyo heute auszeichnet.

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Japans einmalige Gastronomiekultur, die während der Edo-Zeit erblühte, ist charakterisiert durch die Verwendung frischer saisonaler Zutaten, einer ausgezeichneten Ernährungsbalance sowie der großen Sorgfalt, die der Präsentation der Speisen gewidmet wird. Die lange Periode der politischen Stabilität und des Friedens während des Tokugwa-Shogunats (die damalige Regierung unter der Führung der Samurai-Familie Tokugawa) förderte das Wachstum der Städte sowie die Erschließung neuer Handelsrouten auf dem Land- und Seeweg. Als ein Ergebnis dieser Entwicklung gelangten Spezialitäten aus ganz Japan nach Edo (dem heutigen Tokyo) als Sitz des Shogunats. Historische Zeugnisse belegen, dass insbesondere die Gegend von Nihonbashi – sowohl als Ausgangspunkt der Hauptverkehrswege als auch als Umschlagplatz für Seefracht – mit ihren Fischmärkten entlang der Flussufer einen Aufschwung als Handelszentrum für eine Vielzahl von Produkten erfuhr.

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Bild: Ein belebter Fischmarkt am Flussufer in Nihonbashi während der späten Edo-Zeit. Die abgebildeten Träger transportieren Seebrassen, Tintenfische und Abalonen. (Utagawa Kuniyasu: Nihon-bashi Uoichi Hanei zu, „Reichtum des Fischmarkts bei Nihon-bashi“; Ausschnitt)

Zusätzlich zum Güterstrom erlebte Edo auch einen enormen Zufluss von Menschen; in der ersten Hälfte des 18. Jh. entwickelte sich die Stadt zu einer Metropole mit über einer Million Einwohner. Edo quoll gleichsam über von Samurai, Dienstboten, Kaufleuten und Tagelöhnern, die auf den Straßen der Stadt unterwegs waren. Dies führte zu einer exponentiell steigenden Nachfrage nach Einrichtungen, wo sich diese Menschen verköstigen konnten, da die meisten von ihnen alleinstehende Männer waren. Ihren Hunger stillten sie vor allem an mobilen Essständen, die sich im Nu zu beliebten Plätzen entwickelten, wo Kunden rasch zubereitete Speisen genossen. Später mauserten sich diese mobilen Stände zu kleinen Restaurants und izakaya, so dass allmählich unterschiedlichste Restaurants an den Straßenrändern von Edo entstanden.

Kurz darauf konnte man in Edo auch das Auftreten größerer Restaurants beobachten, die die zahlreiche Bevölkerung der Stadt mit Speisen versorgten. Diese entwickelten sich rasch zu sozialen Orten für kulturelle Interaktion; so trafen dort etwa Dichter von haiku und andere Künstler zusammen. Geschickte Köche bereiteten dort kaiseki Gerichte zu, die mehrere Gänge umfassten und eine etwas abgespeckte Version der aufwändigen Bankette bildeten, die die führenden Samurai damals genossen. Diese Tradition der kaiseki klingt noch heute in den mit großem Aufwand zubereiteten Gerichten der traditionellen japanischen Restaurants und Gasthäuser an.

Der Zustrom von Spezialitäten und die zunehmende Ausbreitung der Kultur des Essens außer Haus führte zur Entstehung der vier grundlegenden Gerichte der traditionellen japanischen Küche: Sushi, gegrillter unagi (Aal) mit süßer kabayaki Soße, tempura (Gemüse und Meeresfrüchte im Teigmantel frittiert) sowie soba (Buchweizennudeln). Ein weiterer Faktor, der zum Entstehen dieser Gerichte beitrug, war die zunehmende Verbreitung von fermentierten Würzmitteln wie Sojasoße, Essig und mirin (süßer Reiswein zum Kochen).

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Bild: Die Sushi-Happen in der Edo-Zeit waren zwei- bis dreimal größer als heute. Dieses Bild zeigt Sushi belegt mit Seebrasse, Breitling, Alse, Makrele, Garnele und Archenmuschel sowie gepresstes Sushi mit eingelegter Makrele. (Mit freundlicher Genehmigung von Yoshino Sushi Main Store)

Beispielsweise ist der Vorläufer von Sushi, das sogenannte narezushi, eine Art konservierter Speise, bei der Fisch zusammen mit Salz und Reis fermentiert wird. Um die Dauer der Fermentierung zu verkürzen, kamen die Menschen von Edo auf die Idee, dem Reis Essig als fermentiertes Würzmittel beizugeben. Als man dann Scheiben von frischem Fisch auf diesen Essigreis legte, war das der Beginn des Sushi, wie wir es heute kennen. Da es in der Edo-Zeit noch keine Kühlmöglichkeiten gab, würzten die Sushi-Köche den Fisch mit Essig oder legten ihn in Sojasoße ein, um so die Frische und den Geschmack zu bewahren. Zudem gelang es Ihnen, den unangenehmen Fischgeruch durch das Hinzufügen von wasabi und Ingwer zu beseitigen.

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Bild: Sojasoße ist ein aus Sojabohnen zubereitetes Würzmittel, das man so nur in Japan findet. Es dient u.a. zum Würzen von Sushi, sashimi und weiteren Gerichten.

Unagi (Aal) wird seit ältesten Zeiten als Speisefisch genutzt, aber die Art der Zubereitung im sogenannten kabayaki Stil, bei der der Fisch in eine süße Soße getaucht und dann gegrillt wird, geht auf die späte Edo-Zeit zurück. Zuvor wurden Aale einfach aufgespießt und als Ganzes gegrillt. Mit der neuen kabayaki Methode entwickelte sich die Zubereitung der Aale zu einer wahren Kunst. Sie wurden längs aufgeschnitten und aufgeklappt, kurz gedämpft, in eine süße Soße getunkt und anschließend gegrillt. Das Dämpfen dient dazu, das überschüssige Fett zu entfernen und verleiht dem Fleisch zudem eine weiche und zugleich pralle Textur.

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Bild: Unagi im kabayaki Stil zubereitet. Dabei wird der Fisch aufgeklappt, auf Spieße gesteckt und in eine süße Soße mit Soja und mirin als Zutaten getunkt, um schließlich gegrillt zu werden.

Auch tempura erfreute sich in der späten Edo-Zeit zunehmender Beliebtheit bei den einfachen Bürgern, während soba Nudeln sich bereits etwas früher zu einem grundlegenden Gericht entwickelt hatten. Sie wurden meistens zusammen mit einer schmackhaften Brühe verzehrt, die aus Seetang, Sojasoße und mirin zubereitet wurde. Man geht davon aus, dass es grade diese Brühe war, die zur Verbreitung dieser Nudeln beitrug.

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Bild: Soba Nudeln werden aus geknetetem Buchweizenmehl zubereitet, das dann zu einem flachen Teigboden geformt wird. Der Teig wird anschließend in dünne Streifen geschnitten.

Ein wesentlicher Bestandteil für das Entstehen und die Ausbreitung dieser Gerichte neuen Typs war die aufblühende Druckkultur der Edo-Zeit. Wissen und Informationen – die bisher nur mündlich oder in Form handschriftlicher Notizen überliefert wurden, wenn sie nicht sogar geheim gehalten wurden – konnten nun gedruckt werden. Seit der frühen Edo-Zeit entstanden so Kochbücher, die in systematischer Weise die Kenntnisse und Techniken für die Zubereitung dieser Gerichte aufführten und auf diese Weise zu ihrer Popularität beitrugen.

Es waren nicht nur die Edokko (die „waschechten“ Einwohner von Edo), die die besondere Küche ihrer Stadt genossen. 1824 erschien in Osaka mit Edo Kaimono Hitori Annai ein Reiseführer, der beliebte Geschäfte und Restaurants in Edo aufführte und Besuchern aus anderen Gegenden Japans dabei half, die Küche von Edo zu genießen.

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Bild: Ein Händler verkauft den ersten katsuo(eine Thunfischart) der Saison. Während der Edo-Zeit zogen Fischhändler oft noch von Haus zu Haus, um ihre Ware zu verkaufen. (Utagawa Kunisada: Unohana-zuki, „Der vierte Monat des Mondkalenders“; mit freundlicher Genehmigung des Seikaido Bunko Art Museum)

Es gibt eine bemerkenswerte Anekdote, die die große Leidenschaft der Einwohner von Edo für das Essen ausgezeichnet illustriert. Die Menschen in Japan sind stets bestrebt, frische Produkte der Saison möglichst früh zu kosten, aber in der späten Edo-Zeit gab es ein regelrechtes „Fieber“ nach katsuo (eine Thunfischart), deren delikater Geschmack mit dem Beginn des Sommers assoziiert wird. Die große Nachfrage nach diesem Fisch führte zu derart hohen Preisen, dass die Redensart entstand: „Wenn es nicht teuer ist, ist es kein katsuo.“ Selbst Menschen, die sich einen solchen Luxusartikel eigentlich nicht leisten konnten, folgten damals dem allgemeinen Trend und kauften katsuo.

Die Gastronomiekultur, die in der Edo-Zeit mit den einfachen Menschen als treibende Kraft ihren Aufschwung nahm, reicht bis in das Tokyo der Gegenwart hinein; sie ist noch genauso lebendig und aufregend wie eh und je und dient tagtäglich immer wieder neu als Quelle der Inspiration für Kreativität und Einfallsreichtum.

Dieser Beitrag beruht auf einem Gespräch mit Prof. HARADA Nobuo. Fotograf: OYAMA Yuhei; Fotos: PIXTA.

*HARADA Nobuo: Geboren 1949. Professor an der Kokushikan University School of Asia 21. Sein Fachgebiet ist die japanische Kultur sowie die Alltags- und Kulturgeschichte Japans. Autor zahlreicher Werke, u.a. Edo no ryori-shi („Geschichte der Küche von Edo“) und Rekishi no naka no kome to niku („Reis und Fleisch in der Geschichte“).

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