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Papiermaché-Figuren aus Fukushima – Schutz und Wiederbelebung eines Kunsthandwerks mit langer Tradition

Eine Künstlerin erkundet nach dem Großen Erdbeben im Osten Japans neue Formen eines volkstümlichen Kunsthandwerks und arbeitet dabei auch mit Unternehmen zusammen. Indem sie Figuren aus der ganzen Welt integriert, vermittelt sie diesem Kunsthandwerk zudem frische Ideen. In diesem Beitrag spricht sie auch über die Auswirkungen des Erdbebens auf ihr Denken und ihre Ideen, die Eingang in ihr Werk finden.

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Bild: HAYAKAWA Minako mit einer akabeko Figur (aka bedeutet „rot“ und beko „Kuh“). In Fukushima gibt es eine Reihe von Legenden über rote Kühe, die dabei mithalfen, eine Seuche zu beenden oder nach einem Erdbeben einen Tempel wiederaufzubauen.

Ein okiagari koboshi ist eine Figur in Form eines Eies, die im Allgemeinen dem Gesicht eines Kindes nachempfunden ist und sich stets wieder aufrichtet, wenn man sie umstößt, während ein akabeko eine rote Kuh darstellt, die mit ihrem Kopf wackeln kann. Beides sind traditionelle Spielzeuge aus Papiermaché, von denen man sagt, dass sie helfen Unheil abzuwenden. Sie stammen aus der Region Aizu in der Präfektur Fukushima, die 2011 von einem schweren Erdbeben – offiziell als schweres Erdbeben im Osten Japans bezeichnet – getroffen wurde.

Die Papiermaché-Malerin HAYAKAWA Minako beschreibt den Moment des Erdbebens so: „Es gab eine Erschütterung, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Ich wusste sofort, dass etwas Schreckliches passiert war.“ Die Werkstatt Nozawa Folk Arts, in der sie arbeitet, liegt im Innern der Region Aizu und wurde nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen. Die Küstengebiete der Präfektur dagegen wurden zusätzlich zu den Erschütterungen des Bebens von einem Tsunami getroffen, der große Zerstörungen verursachte.

„Ich fühlte mich unwohl, als ich Muster an einem warmen und gemütlichen Ort malte, während andere Menschen so viel Stress erlebten zu einer Zeit des Jahres, in der es noch sehr kalt war. Auf der anderen Seite dachte ich, dass, selbst wenn ich die Gebiete mit den schlimmsten Zerstörungen besuchen würde, ich dort doch nicht wirklich helfen könnte“, so Hayakawa. Damals entstand eine Bewegung, die Katastrophenregion durch den Verkauf von Kunsthandwerkprodukten zu unterstützen.

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Bild: Die Werkstatt beschäftigt über zwanzig Mitarbeiter, deren Alter von den Zwanzigern bis zu den Achtzigern reicht. Jeder ist für einen unterschiedlichen Abschnitt der Herstellung von Figuren aus Papiermaché zuständig.

Zusätzlich dazu, die Menschen zum Nachdenken über traditionelles volkstümliches Kunsthandwerk anzuregen, gab diese Bewegung auch einen Anstoß dazu, ganz neue Produkte zu kreieren. Hayakawa bemerkte, dass diese Entwicklung „mit dem Wiederaufbau verknüpft war“ in Form eines Vermittelns von Impulsen, und sie begann, völlig neue Papiermaché-Formen herzustellen. Ihr erstes neues Produkt war ein negaidama oder „Wunschball“, der auf ein okiagari koboshi mit traditionellen japanischen Mustern gemalt wurde, die Glück bringen sollen. Später beteiligte sie sich an einem Akabeko-Projekt, das den Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten durch Mal-Workshops und Ausstellungen von akabeko unterstützte, die von unterschiedlichsten Menschen kreiert worden waren. Im Rahmen dieses Projekts schuf Hayakawa eine Kuh mit einem Wellenmuster, das als seigaiha bekannt ist. Seigaiha ist ein traditionelles japanisches Muster, bei dem die sich ins Unendliche fortsetzenden Wellen die Vorstellung von anhaltendem Glück verkörpern. Auf der anderen Seite erinnert das Muster aber auch an den Tsunami, der derart tragische Verheerungen anrichtete. Hayakawa: „Auch wenn ich unmittelbar nach dem Erdbeben zögerte, dies so deutlich zum Ausdruck zu bringen, wollte ich doch nicht, dass die Menschen den Tsunami vergessen. Ich bemalte daher die Kühe auch deshalb mit diesem Muster, um die Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen, dass wir den Tsunami überwinden werden.“

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Bild: Diese okiagari koboshi sind „Wunschbälle“, bemalt mit traditionellen japanischen Mustern. Jeder verkörpert einen besonderen Wunsch, etwa nach Gesundheit, Gedeihen der Nachkommen oder Erfolg im Beruf.

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Bild: Diese Kühe mit seigaiha-Muster wurden als Antwort auf das Erdbeben und den folgenden Tsunami kreiert. Der rote Faden zwischen Kopf und Nacken beruht auf einer alten Legende über einen roten Faden, durch den Menschen miteinander verbunden sind.

Ein Vertreter einer skandinavischen Tourismus-Organisation (heute „VisitNorway“), der Hayakawas ambitionierte Produkte entdeckte, brachte sie auf eine vollkommen neue Idee zur Unterstützung des Wiederaufbaus: ein „Okiagari Munch“ aus Papiermaché auf der Grundlage des Gemäldes „Der Schrei“, das bekannteste Werk des norwegischen Malers Edvard Munch. Anfangs war Hayakawa verblüfft, ließ sich dann aber überzeugen, als sie die Geschichte dieses Bildes, das bereits mehrmals gestohlen und wiedergefunden wurde, kennenlernte, und das dadurch etwas mit den okiagari koboshi Figuren gemeinsam hat, die stets wieder aufstehen, wenn man sie umstößt. Dieses Produkt war sofort ein Hit, der der Welt die handwerkliche Geschicklichkeit und den großen Reiz von Papiermaché aus Fukushima vor Augen führt.

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Bild: iese Okiagari Munch-Figuren kamen 2013 anlässlich des 150. Geburtstags von Edvard Munch heraus.

Hayakawa und ihre Werkstatt haben stets an originellen Produkten mit innovativen Designs gearbeitet und dabei mit einer Vielzahl von Unternehmen zusammengewirkt. Die Werkstatt führt ein breites Spektrum an Aufträgen aus, während sie gleichzeitig die Traditionen ihres Kunsthandwerks respektiert und großen Wert auf Qualität legt. Hayakawa: „Nur weil sich etwas gut verkauft, bedeutet dies nicht, dass wir es herstellen müssen. Wir überlegen stets, ob es für ein Produkt Sinn macht, in Form von Papiermaché aus Fukushima hergestellt zu werden und fragen uns, ob unser Kunsthandwerk nicht doch zu sehr unter kommerziellen Druck gerät.“

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Bild: Hayakawa beim Bemalen einer Figur. Sie ist Leiterin von Nozawa Folk Arts in Nishi-Aizu, Präfektur Fukushima. Sie wuchs inmitten von Papiermaché-Kunsthandwerkern auf, darunter auch ihr Vater, der frühere Leiter der Werkstatt. Nach dem Abschluss der Oberschule übernahm sie dort die Arbeit des Bemalens.

Papiermaché aus Fukushima verbindet Menschen miteinander, die sich eine glückliche Zukunft wünschen. Hayakawas aktuelles Ziel ist es, diese Tradition – wiederentdeckt infolge des Erdbebens – an künftige Generationen weiterzugeben.

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Bild: Das Bemalen des Papiers erfolgt mithilfe einer Holzform als Unterlage, um danach zu trocknen. Ein Teil des besonderen Reizes dieses Kunsthandwerks sind die feinen Unterschiede im Ausdruck.

Das Original dieses Beitrags wurde von KIZUNA, dem offiziellen Online-Magazin der Regierung von Japan, übernommen und für NEUES AUS JAPAN ins Deutsche übersetzt. Den Originalbeitrag (in englischer Sprache) finden Sie hier: https://www.japan.go.jp/kizuna/2023/01/craft_of_fukushima_papier-mache.html