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Literatur

“Die Geschichte vom Prinzen Genji“ – der älteste Roman der Welt

Ein Meisterwerk der Literatur am Kaiserhof in Form eines langen Romans, verfasst von einer Hofdame namens Murasaki Shikibu im 11. Jahrhundert. Entdecken Sie in diesem Beitrag den besonderen Reiz eines Werks der klassischen Literatur Japans, das noch heute als ein Beispiel für die verfeinerte Ästhetik des Landes viel gelesen wird.

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Bild: Genji Monogatari Zu Byobu; Wakana jo Byobu („Die Geschichte vom Prinzen Genji in Szenen auf Stellschirmen; Wakana-jo Stellschirm“), Maler: TOSA Mitsuoki, 17. Jh. (Freer Gallery of Art; Geschenk von Charles Lang Freer)

Als politisches und kulturelles Zentrum des Landes erlebte Kyoto eine Blüte, die ihren Höhepunkt während der Heian-Zeit (794-1185) erreichte. Mit der Etablierung der Adelsgesellschaft am Kaiserhof entstand dort eine einzigartige, ganz von Eleganz geprägte Hofkultur in Japan.

Es war während des Gipfels dieses Goldenen Zeitalters, zu Beginn des 11. Jh., dass der älteste existierende Roman „Die Geschichte vom Prinzen Genji“ (Genji Monogatari) von der adligen Autorin Murasaki Shikibu verfasst wurde. Im Mittelpunkt des Romans steht das Leben des Prinzen Hikaru Genji, das mit all seinen Höhen und Tiefen geschildert wird – seine zahlreichen Liebschaften, sein Aufstieg innerhalb der höfischen Gesellschaft und schließlich seine von Enttäuschung geprägten letzten Lebensjahre.

Die fiktive Welt dieses Werks, das 54 Bände zählt und in dem mehr als 500 Personen auftreten, umfasst einen Zeitraum von siebzig Jahren. Murasaki Shikibu führt darin den Lesern auf elegante Weise die verschiedensten Ereignisse des Lebens am Kaiserhof wie in einem breiten Panorama lebendig vor Augen. Der Roman fasziniert bis heute unzählige Leser und wurde in rund vierzig Sprachen übersetzt. Die erste Übersetzung ins Englische wurde von einem britischen Literaturwissenschaftler erstellt.

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Bild: Ein Manuskript der „Geschichte des Prinzen Genji“ aus dem 13. Jh. (Hosa Library, Nagoya)

Die „Geschichte vom Prinzen Genji“ diente im Laufe vieler Jahrhunderte immer wieder auch als Inspiration für Ableitungen vielfältigster Art. Das bekannteste Beispiel dafür sind die als „Genji-Szenen“ (Genji-e) bekannten Bilder. Von der Heian-Zeit bis in die Gegenwart findet man derart zahlreiche Beispiele, die versuchen, die Welt dieses Romans auferstehen zu lassen, dass sie innerhalb der japanischen Malerei ein eigenes Genre bilden. Der Roman beeinflusste zudem in hohem Maße spätere darstellende Künste wie die Wege des Duftes und des Tees, aber auch das No- und Kabuki-Theater; und noch heute dient er als Vorlage für Anime und Manga. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass die „Geschichte vom Prinzen Genji“ den Weg für eine Kunst in Form vermischter Genres bereitete, in der Japan in den letzten Jahren brillierte.

Wem sich die Gelegenheit bietet, die im Folgenden vorgestellten Orte in Kyoto und anderswo einmal aufzusuchen, die einen Bezug zur Erzählung des Romans haben, oder dort Bilder und andere Kunstwerke zu betrachten, der kann in die Welt eintauchen, die sich innerhalb der „Geschichte vom Prinzen Genji“ entfaltet. Der Roman ist ein idealer Reiseführer, um mit ihm in die Seele der japanischen Kultur einzutauchen, während man die Gesellschaft am Kaiserhof vor mehr als eintausend Jahren kennenlernt.

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Bild: Die englische Übersetzung der „Geschichte vom Prinzen Genji“ von Arthur Waley

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Bild: Die Autorin des Genji Monogatari, Murasaki Shikibu, auf einem Bild aus dem 19. Jh. (Tokyo National Museum)

Eine Palastanlage aus alter Zeit: Der Kaiserpalast in Kyoto

Die „Geschichte vom Prinzen Genji“ spielt größtenteils in Kyoto. Viele der Orte, die in enger Verbindung zu diesem Roman stehen, gibt es bis heute; der wichtigste unter ihnen ist der Kaiserpalast in Kyoto.

Diese Palastanlage aus alter Zeit, in der die Kaiser von Japan residierten und Hof hielten, bevor die Hauptstadt im 19. Jh. nach Tokyo verlegt wurde, ist der Geburtsort von Prinz Hikaru Genji und zugleich die Bühne für viele Dramen, die im Roman geschildert werden. Auch wenn der Kaiserpalast in Kyoto, wie er sich heute präsentiert, eine Rekonstruktion ist, folgt seine Architektur detailgetreu dem Stil der Heian-Zeit, um die höfische Atmosphäre jener Zeit zu bewahren. Es gibt daher keinen besseren Ort, um die Stimmung der „Geschichte vom Prinzen Genji“ so unmittelbar zu erleben.

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Bild: Die Haupthalle Shishinden, Schauplatz zahlreicher Zeremonien (Foto: Imperial Household Agency)

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Bild: Der Kaiserliche Thron Takamikura (Foto: Imperial Household Agency)

Eine spektakuläre Prozession: Das Aoi Matsuri

Das Aoi Matsuri („Malvenfest“), das Anfang Mai stattfindet, ist eines der bedeutendsten Festivals in Kyoto, dessen Höhepunkt eine Prozession von über 500 Teilnehmern bildet, die in Kostümen der Heian-Zeit durch die Straßen der Stadt ziehen. Offiziell als Kamo-Fest bekannt, reichen die Anfänge dieses Events mehr als 1400 Jahre zurück. Dargestellt wird dort das Aoi-Kapitel aus der „Geschichte vom Prinzen Genji“.

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Bild: Die Prozession im Rahmen des Festes ist als Roto-no-gi bekannt

Eintauchen in eine 3D-Welt: Das Genji-Monogatari-Museum in Uji

Dieses Museum hat die „Geschichte vom Prinzen Genji“ zum Thema und befindet sich in der Stadt Uji (Präfektur Kyoto), dem Hauptschauplatz der letzten Kapitel des Romans, die allgemein als „Uji Jujo“ oder „Zehn Kapitel von Uji“ bezeichnet werden. Dieses einzigartige Museum bietet den Besuchern die Möglichkeit, die Welt des Genji Monogatari aus erster Hand kennenzulernen, indem die dort gezeigte Ausstellung das Leben am Kaiserhof und z.B. die Kleidung der Adligen zu jener Zeit präsentiert.

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Bild: Die Ausstellung des Museums stellt eine Szene aus der „Geschichte vom Prinzen Genji“ nach, in der die Frauen einer Adelsfamilie das traditionelle Brettspiel „Go“ spielen.

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Bild: Die Nachbildung eines Ochsenkarrens aus der Heian-Zeit, wie er von den Adligen in Japan damals verwendet wurde

Ein Tempelbesuch für Murasaki Shikibu: Der Tempel Ishiyama-dera

Gegründet im 8. Jh. in der Stadt Otsu (Präfektur Shiga) gilt der Tempel Ishiyama-dera als der Ort, an dem Murasaki Shikibu die Idee zu ihrer „Geschichte vom Prinzen Genji“ ausarbeitete. Das „Genji-Zimmer“, wo sie den Roman geschrieben haben soll, ist bis heute Teil der Haupthalle des Tempels. Die Ausstellung über den Ishiyama-dera und Murasaki Shikibu, die jedes Jahr im Frühling und im Herbst gezeigt wird, präsentiert Gegenstände, die einen Bezug zum Roman haben.

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Bild: Der Tempel Ishiyama-dera ist ein bekannter Ort zum Betrachten des Monds. Einer Legende zufolge kam Murasaki Shikibu die Idee für ihren Roman, als sie das Spiegelbild des Monds im Teich betrachtete.

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Bild: Eine Bronzestatue von Murasaki Shikibu im Tempelbezirk (Foto: Tempel Ishiyama-dera)

Begegnung mit authentischen Genji-e Bildern: Das Tokugawa Art Museum

Dieses Kunstmuseum in der Stadt Nagoya (Präfektur Aichi) zählt die ältesten erhaltenen „Genji Monogatari Emaki“ („Bilderrollen zur Geschichte vom Prinzen Genji“) Japans zu seinen Exponaten. Sie wurden in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts geschaffen. Über Generationen hinweg wurden diese Rollen von der Familie Ogawa Tokugawa weitergegeben. Die wertvollen Originale werden jedes Jahr im November ausgestellt. Eine weitere Ausstellung präsentiert eine prachtvolle Hochzeitsausstattung, die vom Genji Monogatari inspiriert wurde.

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Bild: Genji Monogatari Emaki („Bilderrollen zur Geschichte vom Prinzen Genji“); hier eine Rolle zum Kapitel Takekawa (Foto: Tokugawa Art Museum)

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Bild: Das Museum beherbergt 10.000 Kunstwerke aus dem Besitz der Familie Owari Tokugawa, einer mächtigen Samurai-Familie der Edo-Zeit (Foto: Tokugawa Art Museum)

Das Original dieses Beitrags wurde von niponica, dem Web-Magazin von Web Japan (Außenministerium von Japan), übernommen und für NEUES AUS JAPAN ins Deutsche übersetzt. Den Originalbeitrag (in englischer Sprache) finden Sie hier: https://web-japan.org/niponica/niponica33/en/feature/index.html