Botschafter Yanagi im Interview mit der WELT / 13.07.2023
2023/7/13
„Deutschlands Abhängigkeit von China ist ähnlich hoch wie unsere vor zehn Jahren“
Japan ist drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und Pfeiler der Demokratie. Beim heutigen EU-Japan-Gipfel geht es um gemeinsame Sicherheitspolitik. Japans Botschafter erklärt, was sich seit der Ukraine-Invasion verändert hat – und warum sein Land trotz Fukushima an Atomkraft festhält.
Der Ukraine-Krieg hat in den Köpfen vieler Politiker eine neue Weltkarte entstehen lassen. Autokratien wie China werden nun stärker als Rivale gesehen – und man stärkt Allianzen mit demokratischen Partnern. So rückt im Indopazifik ein Land in den Fokus: Japan, die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Am Donnerstag wird auf dem EU-Japan-Gipfel in Brüssel über eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik beraten. Auch für Hidenao Yanagi, seit 2020 japanischer Botschafter in Deutschland, begann mit dem russischen Überfall auf die Ukraine eine neue Zeit.
WELT: Herr Botschafter, die Geschichte von Deutschland und Japan weist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts große Parallelen auf. Beide Staaten waren Aggressoren und Verlierer des Zweiten Weltkriegs, verwandelten sich unter dem Schutz der USA in liberale Demokratien – und sind heute ökonomische Riesen und militärische Zwerge. Der Schock der Ukraine-Invasion führt nun in beiden Ländern zu einem Umdenken beim Militärischen, zu einer Zeitenwende...
Hidenao Yanagi: Wir verwenden das Wort Zeitenwende nicht. Weil wir schon seit über zehn Jahren in Ostasien mit Bedrohungen und Herausforderungen konfrontiert sind. Nordkorea verfolgt sein Atom- und Raketenprogramm und China dringt wiederholt in unsere Hoheitsgewässer ein. Aber ja, der Angriff auf die Ukraine hat auch bei uns dazu geführt, dass wir unsere nationale Sicherheitsstrategie erneuert haben. Wir wollen unseren Haushalt für Verteidigung bis 2027 auf dann zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts vergrößern.
WELT: Im Moment ist es nur etwa ein Prozent. Sie sagen, Sie sehen die Gefahren schon seit zehn Jahren. Haben Sie denn auch Ihre ökonomischen Abhängigkeiten gegenüber Autokratien früher reduziert als Deutschland? Die Bundesregierung hat in ihrer Russlandpolitik aus wirtschaftlichen und vermeintlich historischen Gründen lange alle Gefahren negiert.
Yanagi: Für uns ist die Abhängigkeit von China das zentrale Thema. Bei den Seltenen Erden lag sie vor einem Jahrzehnt bei 90 Prozent. Schon 2012 führten die Spannungen um die Senkaku-Inseln, die unser Territorium sind, in China zu großen Demonstrationen gegen japanische Kaufhäuser und Fabriken. Seitdem verfolgen wir die „China-plus-eins“-Politik. Jedes japanische Unternehmen soll neben China in einem weiteren Land investieren. In der Regel sind es Länder wie Thailand, Vietnam, Indien oder Indonesien.
WELT: „De-Risking“ ist auch in Deutschland das Stichwort mit Blick auf China seit der Ukraine-Invasion. Gibt es Interesse an den japanischen Erfahrungen und der „China-plus-eins“-Strategie bei der Bundesregierung?
Yanagi: Ja, absolut. Deutschlands Abhängigkeit von China bei Seltenen Erden ist ähnlich hoch wie unsere vor zehn Jahren. Zugleich reglementiert China inzwischen den Export. Weil diese Elemente für den Bau von E-Autos gebraucht werden, ist das Interesse der deutschen Firmen sehr hoch, ähnlich wie Japan nach Alternativen zu suchen.
WELT: Bis zur Ukraine-Invasion waren japanische Regierungsvertreter hinter vorgehaltener Hand nicht glücklich, dass Deutschland sehr stark auf China blickte und relativ wenig auf Japan. Hat sich das im vergangenen Jahr geändert?
Yanagi: Ich möchte nicht sagen, dass wir zuvor unglücklich waren. Aber wir begrüßen sehr, dass die Ampel schon im Koalitionsvertrag vereinbart hat, die Kooperation mit Japan und den anderen demokratischen Ländern im Indopazifik zu verstärken. Seit dem Angriff auf die Ukraine sind die Beziehungen dann sehr eng geworden. Bundeskanzler Olaf Scholz hat Japan im April 2022 als erstes Reiseziel in Fernost ausgesucht. Insgesamt war der Bundeskanzler in 13 Monaten drei Mal in Japan. Es gab im März die ersten Regierungskonsultationen zwischen unseren Ländern. So intensiv war der Austausch nie.
WELT: Deutschland steht unter dem Schock des Ukraine Krieges. In Asien hört man hingegen oft, dass es sich um einen Regionalkonflikt handle. Dass die Front des neuen Kalten Krieges durch die Taiwan Straße verlaufe. Sehen Sie das auch so?
Yanagi: Am 21. März hat unser Premierminister Fumio Kishida die Ukraine besucht. Am selben Tag stattete Präsident Xi Jinping Moskau einen Besuch ab. Die beiden Besuche zeigen nicht nur, wer in dem Konflikt auf welcher Seite steht, sondern auch, dass Sicherheit in Europa und im Indopazifik untrennbar verbunden ist. Russlands Invasion ist eben nicht nur ein Regionalproblem Europas. Der Angriff auf die freie, offene internationale Ordnung stellt ein globales Problem dar.
WELT: Wird das in Deutschland schon ausreichend gesehen?
Yanagi: Ja, ich glaube schon. Der Bundeskanzler versteht das. Er hat zuletzt in seiner Regierungserklärung am 22. Juni explizit das Ostchinesische Meer erwähnt und sehr klargemacht, dass er die Lage in Ostasien im Blick hat.
WELT: Müssten Europa und die Demokratien im Indopazifik dann nicht auch stärker bei der Verteidigung kooperieren?
Yanagi: Wir stehen hier am Anfang, aber Deutschland vertieft sein Engagement im Indopazifik. Vor zwei Jahren hat die Fregatte „Bayern“ in Japan angelegt. Vergangenes Jahr besuchten uns erstmals deutsche Kampfflugzeuge. Verteidigungsminister Boris Pistorius kam als erster deutscher Ressortchef seit 16 Jahren nach Japan. Die japanischen Luftverteidigungskräfte haben als einziges Nicht-Nato-Land am Air-Defender-Manöver der Nato teilgenommen. Beim Nato-Gipfel in Vilnius haben die AP4-Staaten teilgenommen, also Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan. Für konkrete Ergebnisse brauchen wir aber Zeit.
WELT: Die drei Pfeiler von Freiheit und Demokratie weltweit sind Ostasien, Europa und Nordamerika. Wobei die USA die Schutzmacht sind. Was, wenn Donald Trump die nächste Wahl gewinnt und sich die USA in die Isolation zurückziehen?
Yanagi: Der verstorbene japanische Premierminister Shinzo Abe hatte mit Donald Trump relativ gute Beziehungen. Man wird sehen müssen, wie es unter unserem jetzigen Premier sein wird. Wir sind nicht so pessimistisch.
WELT: Die Sicherheit Japans und Europas hängt an der Qualität der Männerfreundschaften zwischen Donald Trump und den Regierungschefs?
Yanagi: Natürlich hat Premierminister Abe eine große Rolle gespielt. Aber unabhängig von persönlichen Verbindungen: die Amerikaner haben ein großes strategisches Interesse. Der Indopazifik und China sind zentral für ihre Außenpolitik.
WELT: Und es gibt keine Alternative zu den USA als Verbündetem.
Yanagi: Nein. Natürlich sind die USA die einzige Militärmacht, die diesen Schutz für Asien und Europa gewährleisten kann. Das hat der russische Angriff auf die Ukraine deutlich gezeigt.
WELT: Ist das der japanischen und deutschen Bevölkerung ausreichend bewusst?
Yanagi: In Japan ja, in Deutschland weiß ich nicht genau, weil wir in der Trump-Zeit etwas schwierige Beziehungen gesehen haben.
WELT: Sie nehmen mehr Anti-Amerikanismus in Deutschland wahr als in Japan?
Yanagi: Sagen wir so: Das Abhängigkeitsbewusstsein ist in Deutschland weniger ausgeprägt. In Japan als direkte Nachbarn von Nordkorea, China und Russland sehen wir das Bündnis mit den USA als alternativlos.
WELT: Deutschland ist aus der Atomkraft ausgestiegen wegen eines Unfalls in Japan. Japan hält an der Atomkraft fest. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?
Yanagi: Ich kann die Politik der Bundesregierung nicht kommentieren. Was ich sagen kann: Japan strebt Klimaneutralität bis 2050 an. Aber 80 Prozent unserer Landmasse ist sehr gebirgig, und unser Meer ist sehr tief, weshalb es schwierig ist, Windkraft an Land oder auf See auszubauen. Wir gewinnen heute 20 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien, das ist vier Mal mehr als 2011. Vor Fukushima lag der Anteil der 54 Atomreaktoren an der Stromerzeugung bei rund 30 Prozent. Heute liegt der Anteil bei sieben Prozent, wir wollen sie aber auf 20 Prozent anzuheben. Lange gab es in der japanischen Bevölkerung eine Mehrheit gegen Atomkraft. Aber nach der Ukraine-Invasion mit steigenden Preisen hat sich das gedreht.
WELT: Deutschland und Japan verbindet auch die demografische Entwicklung. Nun hat Deutschland mit Kita-Ausbau und Elterngeld die Geburtenrate zumindest etwas erhöht. Japan macht momentan etwas Ähnliches...
Yanagi: In Japan schreitet die Alterung der Gesellschaft noch schneller voran als in Deutschland. Auch wir ergreifen seit gut zehn Jahren viele Maßnahmen gegen den Geburtenrückgang. Wir haben den Kita-Ausbau begonnen. Neben dem Militär ist die Steigerung der Geburtenrate der zweite Schwerpunkt unseres Haushalts.
WELT: Bisher mit wenig Erfolg.
Yanagi: Ja, es ist nicht so einfach.
WELT: Womit man zwangsläufig zum Thema Zuwanderung kommt, wo Japan extrem restriktiv ist.
Yanagi: Priorität haben die Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren. Es gibt Programme, damit mehr Frauen arbeiten. Außerdem arbeiten in Japan deutlich mehr Menschen zwischen 60 und 70 Jahren. Bei der Zuwanderung sind wir als Inselstaat zurückhaltend, Fachkräfte inklusive Familiennachzug zu akzeptieren. Aber es gibt auch Branchen, in denen der Mangel so groß ist, dass wir Einwanderung zulassen, im Pflegebereich etwa. Aber ja: Wir haben heute 126 Millionen Einwohner, der Anteil der Ausländer liegt bei nur zwei Prozent. Setzt sich die aktuelle Entwicklung fort, werden in Japan im Jahr 2070 nur noch 87 Millionen Menschen leben. Ich denke, wir müssen uns in Zukunft noch mehr öffnen. Aber noch ist es nicht so weit.
WELT: Findet man es in Japan abschreckend zu sehen, welche Probleme die Migration in Europa verursacht?
Yanagi: Also 2015/16 haben wir natürlich mit Skepsis gesehen, was geschah. Damals gab es die Terroranschläge in Paris und Brüssel, später dann auch in Berlin. In den letzten Jahren ist es anders geworden. Abschreckend möchte ich nicht sagen.
WELT: Die Frage stellt sich angesichts der Geografie ohnehin nicht, nehme ich an.
Yanagi: Nicht im selben Maße. Für Japan als Inselstaat im Pazifik ist es sicher einfacher, das zu steuern.
Quelle WELT
Der Ukraine-Krieg hat in den Köpfen vieler Politiker eine neue Weltkarte entstehen lassen. Autokratien wie China werden nun stärker als Rivale gesehen – und man stärkt Allianzen mit demokratischen Partnern. So rückt im Indopazifik ein Land in den Fokus: Japan, die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Am Donnerstag wird auf dem EU-Japan-Gipfel in Brüssel über eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik beraten. Auch für Hidenao Yanagi, seit 2020 japanischer Botschafter in Deutschland, begann mit dem russischen Überfall auf die Ukraine eine neue Zeit.
WELT: Herr Botschafter, die Geschichte von Deutschland und Japan weist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts große Parallelen auf. Beide Staaten waren Aggressoren und Verlierer des Zweiten Weltkriegs, verwandelten sich unter dem Schutz der USA in liberale Demokratien – und sind heute ökonomische Riesen und militärische Zwerge. Der Schock der Ukraine-Invasion führt nun in beiden Ländern zu einem Umdenken beim Militärischen, zu einer Zeitenwende...
Hidenao Yanagi: Wir verwenden das Wort Zeitenwende nicht. Weil wir schon seit über zehn Jahren in Ostasien mit Bedrohungen und Herausforderungen konfrontiert sind. Nordkorea verfolgt sein Atom- und Raketenprogramm und China dringt wiederholt in unsere Hoheitsgewässer ein. Aber ja, der Angriff auf die Ukraine hat auch bei uns dazu geführt, dass wir unsere nationale Sicherheitsstrategie erneuert haben. Wir wollen unseren Haushalt für Verteidigung bis 2027 auf dann zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts vergrößern.
WELT: Im Moment ist es nur etwa ein Prozent. Sie sagen, Sie sehen die Gefahren schon seit zehn Jahren. Haben Sie denn auch Ihre ökonomischen Abhängigkeiten gegenüber Autokratien früher reduziert als Deutschland? Die Bundesregierung hat in ihrer Russlandpolitik aus wirtschaftlichen und vermeintlich historischen Gründen lange alle Gefahren negiert.
Yanagi: Für uns ist die Abhängigkeit von China das zentrale Thema. Bei den Seltenen Erden lag sie vor einem Jahrzehnt bei 90 Prozent. Schon 2012 führten die Spannungen um die Senkaku-Inseln, die unser Territorium sind, in China zu großen Demonstrationen gegen japanische Kaufhäuser und Fabriken. Seitdem verfolgen wir die „China-plus-eins“-Politik. Jedes japanische Unternehmen soll neben China in einem weiteren Land investieren. In der Regel sind es Länder wie Thailand, Vietnam, Indien oder Indonesien.
WELT: „De-Risking“ ist auch in Deutschland das Stichwort mit Blick auf China seit der Ukraine-Invasion. Gibt es Interesse an den japanischen Erfahrungen und der „China-plus-eins“-Strategie bei der Bundesregierung?
Yanagi: Ja, absolut. Deutschlands Abhängigkeit von China bei Seltenen Erden ist ähnlich hoch wie unsere vor zehn Jahren. Zugleich reglementiert China inzwischen den Export. Weil diese Elemente für den Bau von E-Autos gebraucht werden, ist das Interesse der deutschen Firmen sehr hoch, ähnlich wie Japan nach Alternativen zu suchen.
WELT: Bis zur Ukraine-Invasion waren japanische Regierungsvertreter hinter vorgehaltener Hand nicht glücklich, dass Deutschland sehr stark auf China blickte und relativ wenig auf Japan. Hat sich das im vergangenen Jahr geändert?
Yanagi: Ich möchte nicht sagen, dass wir zuvor unglücklich waren. Aber wir begrüßen sehr, dass die Ampel schon im Koalitionsvertrag vereinbart hat, die Kooperation mit Japan und den anderen demokratischen Ländern im Indopazifik zu verstärken. Seit dem Angriff auf die Ukraine sind die Beziehungen dann sehr eng geworden. Bundeskanzler Olaf Scholz hat Japan im April 2022 als erstes Reiseziel in Fernost ausgesucht. Insgesamt war der Bundeskanzler in 13 Monaten drei Mal in Japan. Es gab im März die ersten Regierungskonsultationen zwischen unseren Ländern. So intensiv war der Austausch nie.
WELT: Deutschland steht unter dem Schock des Ukraine Krieges. In Asien hört man hingegen oft, dass es sich um einen Regionalkonflikt handle. Dass die Front des neuen Kalten Krieges durch die Taiwan Straße verlaufe. Sehen Sie das auch so?
Yanagi: Am 21. März hat unser Premierminister Fumio Kishida die Ukraine besucht. Am selben Tag stattete Präsident Xi Jinping Moskau einen Besuch ab. Die beiden Besuche zeigen nicht nur, wer in dem Konflikt auf welcher Seite steht, sondern auch, dass Sicherheit in Europa und im Indopazifik untrennbar verbunden ist. Russlands Invasion ist eben nicht nur ein Regionalproblem Europas. Der Angriff auf die freie, offene internationale Ordnung stellt ein globales Problem dar.
WELT: Wird das in Deutschland schon ausreichend gesehen?
Yanagi: Ja, ich glaube schon. Der Bundeskanzler versteht das. Er hat zuletzt in seiner Regierungserklärung am 22. Juni explizit das Ostchinesische Meer erwähnt und sehr klargemacht, dass er die Lage in Ostasien im Blick hat.
WELT: Müssten Europa und die Demokratien im Indopazifik dann nicht auch stärker bei der Verteidigung kooperieren?
Yanagi: Wir stehen hier am Anfang, aber Deutschland vertieft sein Engagement im Indopazifik. Vor zwei Jahren hat die Fregatte „Bayern“ in Japan angelegt. Vergangenes Jahr besuchten uns erstmals deutsche Kampfflugzeuge. Verteidigungsminister Boris Pistorius kam als erster deutscher Ressortchef seit 16 Jahren nach Japan. Die japanischen Luftverteidigungskräfte haben als einziges Nicht-Nato-Land am Air-Defender-Manöver der Nato teilgenommen. Beim Nato-Gipfel in Vilnius haben die AP4-Staaten teilgenommen, also Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan. Für konkrete Ergebnisse brauchen wir aber Zeit.
WELT: Die drei Pfeiler von Freiheit und Demokratie weltweit sind Ostasien, Europa und Nordamerika. Wobei die USA die Schutzmacht sind. Was, wenn Donald Trump die nächste Wahl gewinnt und sich die USA in die Isolation zurückziehen?
Yanagi: Der verstorbene japanische Premierminister Shinzo Abe hatte mit Donald Trump relativ gute Beziehungen. Man wird sehen müssen, wie es unter unserem jetzigen Premier sein wird. Wir sind nicht so pessimistisch.
WELT: Die Sicherheit Japans und Europas hängt an der Qualität der Männerfreundschaften zwischen Donald Trump und den Regierungschefs?
Yanagi: Natürlich hat Premierminister Abe eine große Rolle gespielt. Aber unabhängig von persönlichen Verbindungen: die Amerikaner haben ein großes strategisches Interesse. Der Indopazifik und China sind zentral für ihre Außenpolitik.
WELT: Und es gibt keine Alternative zu den USA als Verbündetem.
Yanagi: Nein. Natürlich sind die USA die einzige Militärmacht, die diesen Schutz für Asien und Europa gewährleisten kann. Das hat der russische Angriff auf die Ukraine deutlich gezeigt.
WELT: Ist das der japanischen und deutschen Bevölkerung ausreichend bewusst?
Yanagi: In Japan ja, in Deutschland weiß ich nicht genau, weil wir in der Trump-Zeit etwas schwierige Beziehungen gesehen haben.
WELT: Sie nehmen mehr Anti-Amerikanismus in Deutschland wahr als in Japan?
Yanagi: Sagen wir so: Das Abhängigkeitsbewusstsein ist in Deutschland weniger ausgeprägt. In Japan als direkte Nachbarn von Nordkorea, China und Russland sehen wir das Bündnis mit den USA als alternativlos.
WELT: Deutschland ist aus der Atomkraft ausgestiegen wegen eines Unfalls in Japan. Japan hält an der Atomkraft fest. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?
Yanagi: Ich kann die Politik der Bundesregierung nicht kommentieren. Was ich sagen kann: Japan strebt Klimaneutralität bis 2050 an. Aber 80 Prozent unserer Landmasse ist sehr gebirgig, und unser Meer ist sehr tief, weshalb es schwierig ist, Windkraft an Land oder auf See auszubauen. Wir gewinnen heute 20 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien, das ist vier Mal mehr als 2011. Vor Fukushima lag der Anteil der 54 Atomreaktoren an der Stromerzeugung bei rund 30 Prozent. Heute liegt der Anteil bei sieben Prozent, wir wollen sie aber auf 20 Prozent anzuheben. Lange gab es in der japanischen Bevölkerung eine Mehrheit gegen Atomkraft. Aber nach der Ukraine-Invasion mit steigenden Preisen hat sich das gedreht.
WELT: Deutschland und Japan verbindet auch die demografische Entwicklung. Nun hat Deutschland mit Kita-Ausbau und Elterngeld die Geburtenrate zumindest etwas erhöht. Japan macht momentan etwas Ähnliches...
Yanagi: In Japan schreitet die Alterung der Gesellschaft noch schneller voran als in Deutschland. Auch wir ergreifen seit gut zehn Jahren viele Maßnahmen gegen den Geburtenrückgang. Wir haben den Kita-Ausbau begonnen. Neben dem Militär ist die Steigerung der Geburtenrate der zweite Schwerpunkt unseres Haushalts.
WELT: Bisher mit wenig Erfolg.
Yanagi: Ja, es ist nicht so einfach.
WELT: Womit man zwangsläufig zum Thema Zuwanderung kommt, wo Japan extrem restriktiv ist.
Yanagi: Priorität haben die Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren. Es gibt Programme, damit mehr Frauen arbeiten. Außerdem arbeiten in Japan deutlich mehr Menschen zwischen 60 und 70 Jahren. Bei der Zuwanderung sind wir als Inselstaat zurückhaltend, Fachkräfte inklusive Familiennachzug zu akzeptieren. Aber es gibt auch Branchen, in denen der Mangel so groß ist, dass wir Einwanderung zulassen, im Pflegebereich etwa. Aber ja: Wir haben heute 126 Millionen Einwohner, der Anteil der Ausländer liegt bei nur zwei Prozent. Setzt sich die aktuelle Entwicklung fort, werden in Japan im Jahr 2070 nur noch 87 Millionen Menschen leben. Ich denke, wir müssen uns in Zukunft noch mehr öffnen. Aber noch ist es nicht so weit.
WELT: Findet man es in Japan abschreckend zu sehen, welche Probleme die Migration in Europa verursacht?
Yanagi: Also 2015/16 haben wir natürlich mit Skepsis gesehen, was geschah. Damals gab es die Terroranschläge in Paris und Brüssel, später dann auch in Berlin. In den letzten Jahren ist es anders geworden. Abschreckend möchte ich nicht sagen.
WELT: Die Frage stellt sich angesichts der Geografie ohnehin nicht, nehme ich an.
Yanagi: Nicht im selben Maße. Für Japan als Inselstaat im Pazifik ist es sicher einfacher, das zu steuern.
Quelle WELT
▹„Deutschlands Abhängigkeit von China ist ähnlich hoch wie unsere vor zehn Jahren“ (Link zur Online-Ausgabe der WELT)