Hayao Miyazaki ist inzwischen 64 Jahre alt – offensichtlich ein Alter in dem
man auf ein Lebenswerk zurückschauen und trotzdem Kind bleiben kann. Der
große alte Mann des japanischen Animationsfilms wird auf den kommenden
Filmfestspielen von Venedig mit einer Retrospektive und dem Goldenen Löwen
für sein Lebenswerk geehrt. Ich möchte mich an dieser Stelle in die Reihe
der Gratulanten einreihen und ihm danken, dass er mir immer wieder aufs neue
ein Gefühl vermittelt, das Japaner mit „natsukashii“ umschreiben – nämlich
sich sehnsuchtsvoll an etwas erinnern.
Sehe
ich Miyazakis „Wandelndes Schloss“, dann erinnere ich mich an eine Unmenge
geliebter Dinge aus meiner Kindheit und Jugend – beginnend mit dem auf einem
Hühnerbein stehenden Hexenhaus der Baba Jaga, eine fürsorglich Eier bratende
Großmutter, wunderschöne androgyne Prinzen, Alm-Idyllen, die man nur von
Postkarten kannte... Miyazaki selbst scheint es ähnlich zu gehen, er
erinnert sich viel und oft, was uns Betrachtern seiner Filme nicht verborgen
bleiben kann. Man kann ihm diese „Selbstzitate“ vorwerfen oder goutieren,
dass er sich nie wirklich wiederholt – das ist Ansichtssache. Tatsache
ist, dass, wer dem „Wandelnden Schloss“ folgt, an den vielen Parallelen zu
früheren Miyazaki-Werken wie „Nausicaa“, „Prinzessin Mononoke“ oder „Chihiros
Reise ins Zauberland“ nicht vorbeikommt. Sophie ist wie Chihiro ein kleines
starkes Mädchen, das zur unfreiwilligen Heldin wird; Hauru ist wie Haku ein
verzauberter Zauberer, der der Erlösung harrt; es gibt die vielen
wundervollen, herzerwärmenden „supporting acts“, wie den Feuerdämon Calcifer,
die Vogelscheuche, Baumgeister, kleine kurzatmige Hunde oder vielarmige
Maschinisten. Miyazakis Kreativität ist ungebrochen: die Bilder, die er
immer noch in Handarbeit schafft, haben nichts von ihrer Faszination
verloren.
Das
„Wandelnde Schloss“ beruht auf einem Märchen der britischen
Kinderbuchautorin Diana Wynne Jones („Sophie im Schloss des Zauberers“) und
entführt uns in ein kleines europäisches Städtchen. Hier lebt die
Hutmachertochter Sophie, der im Laufe eines Tages nicht nur ihr Herz, sondern
auch ihre Jugend geraubt wird. Um beides wiederzugewinnen macht sie sich auf
die Suche nach dem Zauberer Hauru, der in einem gigantischen Wohnmobil durch
die Gegend stakst, gleichsam auf der Flucht vor der Welt und sich selbst.
Gemeinsam mit dem Feuergeist Calcifer und dem jungen Markl kämpft Sophie nun
um den eitlen, narzisstischen Geliebten und um das Gute in der Welt. Wieder
ist es eine Parabel auf die allumfassende Erlöserkraft der Liebe, die
gepaart mit Verantwortung und schnöder Arbeit jedes Problem löst.
Auch dem „Wandelnden Schloss“ fehlt es nicht an einer komplexen Botschaft –
die Liebesgeschichte ist eingebettet in eine Zeit zerstörerischen Krieges. Miyazaki lässt faszinierendes Kriegsgerät vor dem feurig roten Horizont
auftauchen und unheilschwangere Kriegsgeister das Geschehen um Sophie und
Hauro bedrohen. Es wäre kein Märchenfilm, könnte nicht auch in diesem Falle
die Liebe den mörderischen Krieg beenden und uns die Illusion immerwährenden
Friedens und von Freundschaft unter den Menschen vermitteln.
Als kleiner Hinweis für Freunde japanischer Anime und insbesondere Miyazakis
Wunderwerken: Nach und nach werden die Ghibli-Perlen
„Nausicaa aus dem Tal der Winde“, „Kikis kleiner Lieferservice“, „Mein
Freund Totoro“, „Kiki“, „Laputa“, „Only Yesterday“, „Porco Rosso“ und „Pom
Poko“ auf DVD erscheinen.
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