NaJ: Die jetzige Europatournee des NHK-Symphonieorchesters
(Symphonieorchester des staatlichen japanischen Rundfunks)
führt diesmal in fünf Hauptstädte, nämlich nach Berlin, Wien, Budapest, Lissabon
und Madrid.
Das Programm heute Abend für Berlin (11. Oktober 2005) besteht aus
Beethovens Violinkonzert und der 8. Sinfonie von Schostakowitsch. Viele
japanische Orchester haben bei ihren Aufführungen in Deutschland auch Stücke
japanischer Komponisten in ihrem Repertoire. Ein solches Stück fehlt diesmal.
Stellt andererseits die Aufführung von Beethovens Violinkonzert hier in der
Berliner Philharmonie, wo es unter der Leitung von Furtwängler und Karajan
zahlreiche berühmte Aufführungen gab, für das NHK-Symphonieorchester nicht
eine große Herausforderung dar?
Hori: Ich habe
früher auch einmal hier in Deutschland Stücke von Toru Takemitsu als
Soloviolinist aufgeführt. Für unsere jetzige Tournee haben wir zwei
verschiedene Programme vorbereitet, und das andere Programm enthält auch ein
Werk von Takemitsu. Was nun die Herausforderung angeht, so sind wir in den
letzten zehn Jahren viel im Ausland gewesen, insbesondere in Europa und
Amerika. Sowohl das Publikum als auch die Kritiker sehen uns daher als
weltweit agierendes Orchester. Heute heißt es nicht mehr: „Dass ein
Orchester aus Asien so gut spielen kann.“ Es stellt also keine
Herausforderung dar; vielmehr gilt als selbstverständlich, dass man das
gleiche Stück mit der gleichen Sensitivität spielt, seien es nun die
Berliner Philharmoniker, die Wiener Philharmoniker oder das NHK-Symphonieorchester.
NaJ: Ist es dann umgekehrt ein Ausdruck
von Selbstbewusstsein, dass man nicht mehr unbedingt Werke von japanischen
Komponisten aufführt?
Hori: Ja, vielleicht. Da die Dirigenten,
die mit uns zusammenwirken, in der Regel zur ersten Garnitur in der Welt
gehören, ist es sogar eher die Ausnahme, dass ein japanischer Dirigent mit
uns zusammenarbeitet. In diesem Sinne ist es durchaus nicht mehr so, dass
wir besonderen Druck spüren, weil wir eine Tournee durch Europa unternehmen.
NaJ: Herr
Ashkenazy ist seit vergangenem Jahr Dirigent des NHK-Symphonieorchesters.
Hat seine Ankunft dem Orchester etwas Neues gebracht?
Hori: Bislang
kamen viele unserer Dirigenten aus Deutschland. Das begann mit Wolfgang
Sawallisch. Man kann sagen, dass sie uns erzogen haben. Dass Vladimir
Ashkenazy als Pianist weltweit einen ausgezeichneten Ruf genießt, ist
allgemein bekannt. Beim Dirigieren nun spiegelt sich der Charakter in der
Musik wider, und in diesem Sinne ist er ein ganz phantastischer Dirigent.
Ich möchte unser Verhältnis zu Ashkenazy so beschreiben: Seine Forderungen
in Bezug auf die Musik sind recht hoch, jedoch gibt er dem Orchester auch
Selbstvertrauen und respektiert seine Eigenständigkeit.
NaJ: Das NHK-Symphonieorchester
wurde viele Jahre von Wolfgang Sawallisch dirigiert. Kann man sagen, dass es
stark von der deutschen Tradition beeinflusst ist?
Hori: Da wir
relativ lange mit deutschen Dirigenten zusammengearbeitet haben, haben wir
über die Musik auch viel Deutsches aufgenommen. Das hat uns geprägt.
NaJ: Alle
Orchester haben jeweils ihre Besonderheit. Welche Besonderheit gibt es beim
NHK-Symphonieorchester?
Hori: Unsere
Fähigkeiten in Bezug auf die Aufführung befinden sich auf ziemlich hohem
Niveau. Besonders erwähnen sollte man unsere hohe Qualität
der Umsetzung. Damit können
wir uns weltweit messen. Allerdings rückt bei unseren Aufführungen oft das
Strenge in den Vordergrund. Wenn wir dann einmal als Kontrast ein
vergleichsweise fröhliches Stück spielen, kommt dies recht gut zum Ausdruck,
aber das wirklich Spielerische und Leichte erreichen wir vielleicht noch
nicht. Das trifft vielleicht auf Japaner insgesamt zu: positiv ausgedrückt
ist es das Seriöse und Bescheidene, negativ ausgedrückt ist es so, dass wir
für das Publikum noch verständlicher und das Gefühl noch mehr betonend
spielen sollten. In diesem Sinne könnten wir uns einschließlich des Agierens
ruhig noch ein wenig deutlicher zum Ausdruck bringen.
NaJ: Wenn man einen Vergleich mit der
Welt des Fußballs anstellt, dann zeichnet sich die japanische Elf durch ihr
hervorragendes Mannschaftsspiel aus, während man etwa das schöne Einzelspiel
der Brasilianer nicht so oft sehen kann. Trifft dies vielleicht zu?
Hori:
Diesbezüglich spielt auch der nationale Charakter eine Rolle, und auch die
Erziehung übt hier einen großen Einfluss aus. Allerdings hat unsere
Generation, mich eingeschlossen, im Ausland studiert und lange dort gelebt.
In diesem Sinne unterscheiden wird uns nicht allzu sehr von den Musikern aus
dem Westen. Richtig ist allerdings, dass wir uns durchaus noch ein wenig
mehr gehen lassen könnten. In der japanischen Gesellschaft übt man sich in
der Regel in Selbstbeherrschung und man ist der Ansicht, dass man nicht zu
ausgelassen sein sollte. Deshalb sollten wir uns zumindest bei unseren
Aufführungen noch freier und ungezwungener geben und unsere eigenen Gefühle
zum Ausdruck bringen.
NaJ: Bestehen mit
Blick auf die Ausbildung in der Musik Gemeinsamkeiten mit Deutschland?
Hori: Bezüglich
der Ausbildung gehört für die Mitglieder des NHK-Symphonieorchesters ein
Studium in Europa oder Amerika einfach dazu. Ganz anders als früher haben
wir daher auch nicht mehr das besondere Bewusstsein Japaner zu sein. Wie Sie
wissen, werden japanische Musiker in den deutschen oder amerikanischen
Orchestern durchaus anerkannt. Auch ein Blick auf die verschiedenen
Wettbewerbe zeigt, dass darunter immer auch Preisträger aus Japan sind. In
diesem Sinne kann das 21. Jahrhundert schon fast als Ära Asiens bezeichnet
werden, in dem Talente aus diesem Erdteil wie etwa aus Südkorea, China und
Japan zunehmend weltweit agieren.
NaJ: Wo Sie von
Talenten aus Asien sprechen: Das NHK-Symphonieorchester genießt bereits seit
langem auch in Europa hohes Ansehen. In jüngster Zeit treten aber auch immer
mehr Solisten aus China und Südkorea in Erscheinung. Besteht die Möglichkeit,
dass auch Orchester aus anderen asiatischen Ländern in näherer Zukunft ein
Niveau erreichen werden, das dem NHK-Symphonieorchester gleichkommt?
Hori: Die
Fähigkeiten der einzelnen Musiker in China und Südkorea sind in der Tat
außerordentlich beeindruckend. Da die technische Seite einfach zu würdigen
ist, wird dies auch ohne weiteres anerkannt. Z.B. hat ein chinesischer
Pianist den Chopin-Wettbewerb gewonnen. Bei einem Kollektiv von Fähigkeiten
wie einem Orchester reicht es hingehen nicht aus, einfach nur Personen mit
großen Fähigkeiten zu versammeln. Hier spielen verschiedene Faktoren eine
Rolle. Man muss sich gegenseitig akzeptieren, man wird geführt, nimmt sich
zurück, um dann wieder in den Vordergrund zu treten... Da bestehen sich
gegenseitig beeinflussende Beziehungen, die ein Gefühl für Ausgewogenheit
erforderlich machen. Deshalb glaube ich, dass für die Bildung eines wirklich
guten Orchesters doch einige Zeit erforderlich ist.
NaJ: Vielen Dank für dieses
Interview.
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