
Nach mehr als fünf Jahren wird die Regierung Koizumi im September Abschied
nehmen. Eines der wichtigsten Probleme, mit denen sie zu tun hatte, war die
Haushaltskonsolidierung. Koizumi selbst hat sich vor kurzem dazu geäußert: „Bei
der Aufstellung des Staatshaushalts für das nächste Haushaltsjahr habe ich
stets auch die Zeit in fünf oder zehn Jahren berücksichtigt.“ Und zu der
Frage, warum er sich von Anfang an nicht für eine Erhöhung der
Verbrauchssteuer eingesetzt habe, meinte er: „Haushaltskonsolidierung
beginnt mit Ausgabenkürzungen.“
Meiner Ansicht nach enthalten diese Äußerungen drei interessante Punkte. Der
erste ist die grundsätzliche Haltung in Bezug auf die
Haushaltskonsolidierung. Die staatliche Neuverschuldung Japans beläuft sich
auf etwa 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) jährlich. Dies ist auch
im internationalen Vergleich nicht wünschenswert und beinhaltet sogar die
Möglichkeit des Bankrotts.
Nichtsdestotrotz wurde zunächst darauf verzichtet, die Verbrauchssteuer
anzuheben. Vielmehr wurde das Jahr 2011 als das Jahr bestimmt, in dem der
Haushalt ausgeglichen sein wird, um dann das Verhältnis der Staatsschulden
gegenüber dem BIP zu verringern. Der Schwerpunkt wurde auf Ausgabenkürzungen
gelegt. Frühere Regierungen in Japan waren dagegen der Auffassung, dass die
Ausgabenpolitik gelockert werden könne und noch genügend Spielraum für
Kürzungen bestehe.
Es heißt allgemein, dass Japan während der Ära des Kalten Krieges eine „Friedensdividende“
erhielt. Japan beschränkte seine Verteidigungsausgaben auf etwa 1 Prozent
des BIP. In den USA lagen sie lange Zeit bei ca. 6 Prozent und in vielen
europäischen Staaten waren es ungefähr 3 Prozent. Nach dem Ende des Kalten
Krieges gingen die Verteidigungsausgaben sowohl in Europa als auch in den
Vereinigten Staaten zurück, während sie in Japan weiterhin bei etwa 1
Prozent des BIP lagen. Das heißt, dass die außerordentliche
Friedensdividende in den neunziger Jahren nicht mehr anfiel. Japan hätte nun
eigentlich eine so genannte „Reformdividende“ anstreben müssen.
Stattdessen weitete man während der wirtschaftlichen Rezession der neunziger
Jahre die Ausgaben aus. Die Regierung Koizumi musste daher den Kurs
verfolgen, mittels Reformen die Ausgaben zurückzufahren und die daraus
resultierende Dividende den Menschen zugute kommen zu lassen. Die
Steuerzahler in der Zukunft unter allen Umständen nicht weiter zu belasten
ist der zweite interessante Punkt. Der dritte Punkt ist die Äußerung, dass
eine mittel- und langfristige Vorstellung von der Wirtschaft erforderlich
ist.
Ich denke, man kann dies mit einem Wort als Anti-Keynes-Effekt bezeichnen.
Ministerpräsident Koizumi ist es gelungen, den Privathaushalten und
Unternehmen durch die Ausgabenkürzungen die Aussicht zu vermitteln, dass die
künftigen Belastungen nicht mehr so hoch sein werden. Das war der Grund,
warum er mit den Ausgabenkürzungen begonnen hat, obwohl die wirtschaftliche
Lage keineswegs einfach war.
Es stellt sich nun die Frage, ob dieser Kurs auch künftig fortgesetzt wird.
Koizumi hat sich dazu so geäußert: „Wenn man die Ausgaben immer weiter
zurückfährt, werden die Menschen irgendwann ‚Genug!' rufen. Dann ist die
Situation gekommen, die Steuern zu erhöhen.“ Man kann sagen, dass Japan
derzeit den Schwerpunkt auf Ausgabenkürzungen legt, dass jedoch als nächster
Schritt Steuererhöhungen anstehen.
In Deutschland wurde kürzlich beschlossen, die Mehrwertsteuer von 16 Prozent
auf 19 Prozent anzuheben. Dabei geht es einmal um die Einhaltung der
Maastricht-Kriterien. Die Diskussion innerhalb der großen Koalition hat sich
auf Steuererhöhungen und nicht auf Ausgabenkürzungen konzentriert. Werden
sich die Steuererhöhungen nachteilig auf die Wirtschaft auswirken?
Wie in Japan beginnt die Gesamtbevölkerung abzunehmen. Gerade in dieser
Situation muss man darüber nachdenken, welche Auswirkungen Steuererhöhungen
haben. Ein wichtiger Punkt, in dem sich Deutschland und Japan unterscheiden,
ist die große wirtschaftliche Diskrepanz, die zwischen den alten
Bundesländern und dem Gebiet der ehemaligen DDR besteht. Die Regierung ist
daher gezwungen, die neuen Bundesländer weiterhin mit Subventionen in
unterschiedlichster Form zu unterstützen. Es ist die Aufgabe Deutschlands,
sich diesem Problem ohne Vorbehalte zu stellen, doch es wird irgendwie
aufgeschoben. Zunächst greift man zum Mittel der Steuererhöhung. Das könnte
jedoch negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität Deutschlands,
insbesondere auf die Investitionen haben.
Schwierigkeiten hat allerdings auch Japan. Selbst wenn 2011 der Haushalt
ausgeglichen sein sollte, würde die anschließende Reduzierung der
Staatsschulden im Verhältnis zum BIP eine ehrgeizige Aufgabe darstellen.
Angesichts des Rückgangs der Bevölkerung stellt sich dann die Frage, ob
Steuererhöhungen sich nicht nachteilig auf die Wirtschaft und insbesondere
auf die Investitionstätigkeit auswirken werden. Die Erholung der japanischen
Wirtschaft seit 2003 beruht, wie Koizumi es gesagt hat, darauf, dass die
privaten Haushalte und Unternehmen, vor allem Letztere, nun wieder
optimistischer auf das mittel- und langfristige Erscheinungsbild Japans
schauen. Die Investitionen legen zu. Dies geht nun bereits drei Jahre so und
scheint auch weiter anzuhalten. Meiner Auffassung nach kann man dies als
Effekt der Koizumi-Reformen bezeichnen.
Wenn aber künftig die Diskussion um Steuererhöhungen in den Vordergrund
rückt, stellt sich die Frage, ob man die Zuversicht verliert oder nicht. Die
Erhöhung der Mehrwertsteuer in Deutschland wird zum außerordentlich
interessanten Anschauungsmaterial für künftige Steuererhöhungen in Japan.
(C) 2006 Handelsblatt
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