In
drei Jahren, im Dezember 2009, wird das Japan Institute of International
Affairs (JIIA) an einem wichtigen Meilenstein angelangt sein, nämlich dem
50. Jahrestag seiner Gründung. Als das JIIA 1959 ins Leben gerufen wurde,
war ich gerade in meinem ersten Studienjahr an der Universität. Vielleicht
war ich damals zu sehr damit beschäftigt, all meine Energie den Freuden des
Studentenlebens zu widmen. Tatsache ist, dass ich wenig von dem mitbekam,
was Shigeru Yoshida [Premierminister von 1946-47 und von 1948-54] damals
unternahm - jedenfalls weniger als das, was ich als kleiner Junge erfuhr,
als ich ihn jedes Wochenende in Oiso besuchte.
Als ich mich aber auf den heutigen Vortrag vorbereitete, bin ich mir der
damaligen Situation genau bewusst geworden. Ja, ich weiß nun: Damals hast
du, Opa Yoshida, das JIIA geschaffen.
Heute möchte ich zu Ihnen über die Themen „Werte-orientierte Außenpolitik“
sowie „der Bogen der Freiheit und Prosperität“ sprechen. Beide bilden neue
Grundlagen für unsere Außenpolitik und stellen neue Begriffe dar; und ich
hoffe sehr, dass Sie sich an diese beiden Begriffe erinnern werden, wenn Sie
nach diesem Vortrag nach Hause gehen.
Das Fundament der Außenpolitik Japans besteht in der Stärkung des
japanisch-amerikanischen Bündnisses sowie in der Stärkung der Beziehungen zu
unseren Nachbarländern wie China, Korea und Russland. Das muss hier
eigentlich nicht wiederholt werden. Was ich Ihnen heute erläutern möchte,
ist, dass wir darüber hinaus darauf abzielen, einen neuen Pfeiler
hinzuzufügen, auf den sich unsere Politik stützen wird.
Als erster Punkt nun die „Werte-orientierte Außenpolitik“, welche das
Hervorheben „allgemeingültiger Werte“ wie Demokratie, Freiheit,
Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft bei unserem
außenpolitischen Engagement beinhaltet.
Und zweitens existieren die erfolgreichen angehenden Demokratien am äußeren
Rand des eurasischen Kontinents, die wie ein Bogen aufgereiht sind. Hier
will Japan einen „Bogen der Freiheit und Prosperität“ schaffen. Tatsächlich
glaube ich fest daran, dass wir einen solchen Bogen schaffen müssen.
Ich weiß, dass es Leute gibt, die, wenn sie dies hören, der Ansicht sind,
dass dies irgendwie nach einer westlichen Vorgehensweise aussehe und nicht
zu Japan passe. Sie meinen, man solle dem Mann, der zu Hause in
traditionellen Geta-Sandalen aus Holz herumläuft, sagen, dass er sich nicht
mit einem westlichen Mantel verkleiden soll.
Auch wird es Leute geben, die sich fragen, seit wann eigentlich dieses Land,
das im Krieg eine so schwere Niederlage erlitt und so viel Widerspruch im
Innern und von außen erfuhr, plötzlich zu einem derart „tugendhaften
Bewusstsein“ gelangt ist, dass es andere belehren kann.
Darauf kann ich nur antworten, dass es nicht normal ist darauf zu bestehen,
dass das „Selbst“, das man im Spiegel sieht, nur eine Imitation oder gute
Erfindung ist; vielmehr ist das, was man sieht, wenn man in den Spiegel
schaut, real.
Sie dürfen alles andere vergessen, was Sie heute hören, außer diesen einen
Punkt: Japan ist bereits erwachsen, und wir müssen uns von einer Denkweise
verabschieden, bei der wir uns winden, wenn wir unser Abbild im Spiegel
betrachten. Wir müssen dazu in der Lage sein, uns im Spiegel zu betrachten
ohne uns zu schämen. So sehe ich die Dinge.
Ganz allgemein gesagt erscheint eine Haltung, die weder auf Arroganz noch
auf Unterwürfigkeit fußt, am angemessensten. Wenn wir die Dinge
aufgeschlossen prüfen und unsere vorgefassten Meinungen ablegen, werden wir
feststellen, dass Japan heute so ist, wie es ist, aufgrund einer langen
Abfolge von Ereignissen in seiner Geschichte.
In Bezug auf die Demokratie ist eine lange Reihe von Erfahrungen und
Fehlschlägen notwendig, damit eine Demokratie reifen kann. Im Falle Japans
sagen wir normalerweise, dass die Demokratie in der
Meiji-Zeit begann, während Konzepte wie Rechtsstaatlichkeit und das
friedliche Lösen von Gegensätzen in Japan seit langer Zeit existieren. Es
wird heftig darüber diskutiert, was als geeignetster Beginn dafür gelten
könnte - etwa die Siebzehn-Artikel-Verfassung, die seit 1400 Jahren besteht,
oder der Joei Shikimoku-Kodex, der vor rund 800 Jahren in der Kamakura-Zeit
entstand.
Jedenfalls glaube ich, dass dem Aufblühen der bürgerlichen Kultur in der
Edo-Zeit eine entscheidende Bedeutung zukommt.
Wenn man sich z. B. eine der damaligen Leihbüchereien anschaut, dann hatte
eine einzige Leihbücherei über hundert Kunden. Wenn ein neues Buch erschien,
verpackte der Betreiber der Bücherei dieses Buch sorgfältig und brachte es
dann seinen Kunden. Diese öffneten das Siegel der Verpackung, um das neueste
Buch zu lesen. Es ist kein Zufall, dass das Wort für „neueste Ausgabe“ -
fukiri - wörtlich „das Siegel aufbrechen“ bedeutet. Dieser Begriff stammt
aus der Edo-Zeit, und wir benutzen ihn bis heute, auch wenn er nun vor allem
für den Start eines neuen Kinofilms verwendet wird.
Aufgrund der Werbung, die in den damaligen Büchern enthalten war, und
anderer Hinweise wissen wir, dass der größte Teil der Bevölkerung in der
Edo-Zeit viel las. Das Publikum reichte vom Samurai bis hin zum
Stadtbewohner sowie Frauen und Kindern. Dieses Phänomen war nicht auf die
großen Städte Tokyo und Osaka sowie deren Umgebung beschränkt, vielmehr gab
es eine große Zahl von Leihbüchereien, durch die Bücher in jeden Winkel des
Landes gelangten.
Mit einem derart hohen Anteil an normalen Bürgern, die sogar in der Edo-Zeit
zu ihrer Unterhaltung lasen, ist es kein Wunder, dass Manga heute in Japan
so beliebt sind.
Jedenfalls war das Japan der Edo-Zeit eine Gesellschaft, die zu einem derart
hohen Grad durch Frieden und Harmonie charakterisiert war, dass wir das
wahrlich als außerordentlich bezeichnen können. Wenn wir dies mit der
Terminologie unserer Zeit umschreiben wollten, dann könnten wir sagen, es
war eine Gesellschaft mit einer einigermaßen guten Regierungsführung. Gerade
wegen dieser bereits bestehenden Grundlagen konnten im Falle Japans moderne
Institutionen ohne weiteres installiert werden. Das ist zumindest meine
Ansicht.
Wenn wir nun auf Freiheit und Demokratie, Menschenrechte oder
Rechtsstaatlichkeit zu sprechen kommen, dann kann kein Staat auf dieser Welt
von sich behaupten, er sei in dieser Hinsicht perfekt. Richten wir jedoch
den Blick auf die Geschichte, in der Japan diese allgemeingültigen Werte
respektierte, dann erkennen wir, dass unser Land auf diesem Gebiet wirklich
als einer der Veteranen zu gelten hat.
Darüber hinaus hat sich Japan seit dem Ende des Krieges um den Pazifismus
verdient gemacht, so dass niemand mehr mit dem Finger auf unser Land zeigen
kann. Man nenne mir bitte ein anderes Land, das eine Organisation wie die
japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte hat, die in sechzig Jahren keine
einzige Granate, ja nicht einmal eine einzige Gewehrpatrone abgefeuert haben.
In jüngster Zeit haben Angehörige der Selbstverteidigungsstreitkräfte im
Irak und an anderen Orten weltweit Großartiges geleistet. Dank dieses
Engagements hat sich das Bild der Japaner in Uniform erheblich gewandelt.
Die Vorstellung vom furchteinflößenden Japaner in Uniform ist verschwunden,
an dessen Stelle ist vielmehr das Bild eines lächelnden und enthusiastischen
Japaners getreten. Die Japaner werden heute als Menschen betrachtet, die der
Bevölkerung vor Ort zur Seite stehen und Hand in Hand mit ihr zusammenwirken.
Wenn wir vor dem Hintergrund solcher Leistungen über „allgemeingültige Werte“
sprechen, die in der ganzen Welt gelten - seien es Demokratie, Frieden,
Freiheit oder Menschenrechte - dann wird Japan nicht länger zögern seine
Ansichten darzulegen. Dies ist es, worauf ich mich beziehe, wenn ich von
Werte-orientierter Außenpolitik spreche; und meine heutigen Ausführungen
stellen sowohl eine Verkündigung unserer Qualifikationen als auch den
Ausdruck unserer Entschlossenheit dar.
Als Nächstes möchte ich Ihren Blick auf den äußeren Rand Eurasiens lenken
und Sie bitten, einmal dieser ganzen Linie entlang zu folgen. Dieser Gürtel
hat mit dem Ende des Kalten Krieges einen großen Wandel erfahren, als der
Vorhang über die Konfrontation zwischen Ost und West fiel.
Es sind diese Staaten, bei denen wir hoffen, bei der Gestaltung des von mir
angeführten „Bogens der Freiheit und Prosperität“ mitzuwirken, über die ich
nun sprechen möchte.
Sie mögen fragen: Warum nicht Afrika? Oder was ist mit Lateinamerika?
Zweifellos auch dies eine wichtige Region, könnten Sie sagen und den Blick
auf andere Teile des Globus richten.
Ich möchte mich darüber später noch ausführlicher auslassen, aber ein Punkt,
den Japan berücksichtigt, ist, dass wir danach streben, unsere
Zusammenarbeit mit der EU und der NATO auszubauen. Was mich auf ganz
natürliche Weise dazu veranlasst, diese Tatsache anzuführen, ist das Band
von Staaten, die diesen ansprechenden Bogen bilden. Diese Region umfasst
Staaten, deren Systeme mit dem Ende der Konfrontation zwischen Ost und West
einen großen Wandel erfuhren. Was ich erklärt habe, ist, dass wir diese
Region zu einem „Bogen der Freiheit und Prosperität“ gestalten sollten.
Nun liegt auch der Mittlere Osten in diesem Bogen. Ich glaube, dass ich
einen weiteren kompletten Vortrag benötigte, um unsere Politik in Bezug auf
den Mittleren Osten zu erläutern, daher werde ich diese Frage nicht im
Detail behandeln.
Ganz konkret denke ich jetzt z.B. an Kambodscha, Laos und Vietnam, die einen
Gürtel bilden, und auf die manchmal mittels ihrer Initialen als „CLV“ Bezug
genommen wird. Zusätzlich gibt es das Beispiel der zentralasiatischen
Staaten und der Länder der Kaukasusregion wie Georgien und Aserbaidschan,
die wegen ihrer natürlichen Ressourcen für die Welt von außerordentlich
großer Bedeutung sind. Dann gibt es die Ukraine, die ich im Sommer besuchte,
und deren Hauptstadt Kiew die Atmosphäre der Stadt einer Großmacht
verbreitet.
Japan strebt regelmäßiges Interagieren mit diesen Staaten an, z.B. durch
Zusammenkünfte der Außenminister. Durch solche Anstrengungen ist es sehr
viel einfacher, die aktuelle Situation in diesen Staaten zu erkennen.
Wenn ich die Situation mit einem Bild beschreiben sollte, dann würde ich
sagen, dass
viele Staaten nun den Weg in Richtung „Frieden und Glück durch
wirtschaftliche Prosperität und Demokratie“ beschreiten. Und ich sage es
gern: Genau dies ist der Weg, den auch Japan selbst nach dem Krieg
eingeschlagen hat, und den auch die Mitglieder der ASEAN derzeit beschreiten.
Allerdings ist Demokratie ein nie endender Marathon, und es sind die ersten
fünf Kilometer, die allgemein als der schwierigste Teil der ganzen Strecke
bezeichnet werden.
In diesem ersten Abschnitt produzieren junge Demokratien enorme Mengen an
dem, was man „Wachstumshormone“ nennen könnte. Diese können durch das
Schaffen von Systemen kanalisiert werden, welche die Gesellschaft zur Ruhe
kommen lassen. Aber innerhalb dieser frühen Jahre gibt es durchaus auch
Fälle, bei denen der Impuls zur Zerstörung vorherrscht.
Damit möchte ich keineswegs mit dem Finger auf jemand anderen zeigen. Vor
einem Jahr führte ich in einem Vortrag über Japans Asienpolitik aus, dass
auch Japan sowohl vor als auch nach dem Krieg Phasen durchlief, in denen das
Pendel der Ereignisse heftig ausschlug, und dass diese Erfahrungen es
unserem Land ermöglichten, die ruhige Stabilität zu erreichen, an der es
sich heute erfreut.
Ich möchte nun als Außenminister von Japan bezüglich dieser Staaten eine
öffentliche Verpflichtung eingehen.
Ich werde mich dafür einsetzen sicherzustellen, dass in diesem Bogen, der
sich von Nordostasien über Zentralasien, den Kaukasus, die Türkei, über
Mittel- und Osteuropa bis zu den baltischen Staaten erstreckt, Japan künftig
als ein „begleitender Läufer“ fungieren wird, um diese demokratischen
Staaten zu unterstützen, die gerade erst diesen nie endenden Marathonlauf
begonnen haben.
Mögen die Länder in dieser lang gestreckten Region, die diesen Bogen bildet,
ihre Freiheit und Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und die
Achtung der Menschenrechte Stück für Stück ausweiten und auf die gleiche
Weise wachsen wie ein Riff, das mit der Zeit zu einer Insel und später zu
einem gewaltigen Gebirge wird.
Indem es diese Staaten bei ihrem Weg nach vorne unterstützt, strebt Japan
die Schaffung einer ausgeglichenen und friedlichen Weltordnung an.
Japan ist eine der führenden Mächte, deren vitale Interessen sich auf der
Stabilität des weltweiten Systems gründen. Es ist offensichtlich, dass für
ein Land von der Größe Japans kein Ereignis in der Welt als bedeutungslos
oder als nicht von Interesse für uns gelten kann, während Japan seine drei
wichtigsten nationalen Interessen, nämlich sein Überleben, seine Stabilität
und Prosperität sichert.
Dies im Hinterkopf behaltend, bin ich davon überzeugt, dass Japan seine
Bande zu befreundeten Nationen, die mit uns die gleichen Ansichten und
Interessen teilen, noch enger gestalten muss. Dies gilt insbesondere sowohl
in Bezug auf die Vereinigten Staaten als auch auf Australien, Indien sowie
die Mitgliedsstaaten der EU und NATO. Zugleich müssen wir mit diesen
Freunden bei der Gestaltung und Ausweitung des „Bogens der Freiheit und
Prosperität“ zusammenwirken.
Erlauben Sie mir hier eine kleine erläuternde Anmerkung. Japans Beziehungen
zu Indien sind z.B. im Vergleich zu seinen Beziehungen zu China eindeutig
noch wenig ausgebildet. Wenn wir uns den Personenaustausch zwischen unseren
Ländern anschauen, dann reisen jährlich 4,17 Mio. Menschen zwischen Japan
und China hin und her, während es zwischen Japan und Indien nur 150.000 sind.
Und während jedes Jahr rund 80.000 Studierende aus China in Japan studieren,
beträgt die Zahl der Studierenden aus Indien nur einen Bruchteil davon,
nämlich ca. 400. Ein weiteres Beispiel: Die Zahl der Direktflüge zwischen
Japan und China beläuft sich derzeit auf 676 Flüge in der Woche, während es
nur elf Direktflüge zwischen Japan und Indien gibt. Daher bin ich der
Auffassung, dass wir Schritte unternehmen müssen, um diese Situation in den
nächsten Jahren erheblich zu verbessern.
Ich denke, dass Sie nun verstehen, was ich mit der Gestaltung eines „Bogens
der Freiheit und Prosperität“ meine. Allerdings glaube ich, dass sich nun
von selbst die Frage ergibt, welche Anstrengungen wir dafür unternehmen
müssen.
Keine dieser Anstrengungen sollte so aufgefasst werden, als nähme Japan nur
irgendeine dramatische Pose ein ohne jede wirkliche Leistung, die dem
zugrunde liegt.
Vor zehn Jahren, beim G8-Gipfel in Lyon im Jahre 1996, verkündete Japan die
„Partnership for Democratic Development“, abgekürzt PDD, wie sie damals vom
Außenministerium benannt wurde. Die PDD ist ein Mittel, um junge Demokratien
beim Aufbau ihrer Regierungsmechanismen zu unterstützen.
In Bezug auf diese Partnerschaft kann Japan auf eine ganze Reihe von
Erfolgen zurückblicken, indem es gezielt Unterstützung bei der Bildung der
Grundlagen für den Aufbau staatlicher Institutionen leistet, insbesondere
bei der Schaffung des Rechtssystems und der Justiz in Ländern wie Kambodscha,
Laos und Vietnam, aber auch in der Mongolei und Usbekistan. All diese
Staaten haben die Schwierigkeiten bei der Demokratisierung und beim Übergang
zur Marktwirtschaft erfahren. Allerdings stellt diese Art der Unterstützung
nur einen kleinen Teil der PDD dar. Wenn Sie nicht wissen, welche sonstigen
Maßnahmen diese Partnerschaft umfasst, dann ist dies ein Hinweis darauf, wie
schlecht wir unsere Botschaft öffentlich dargestellt haben.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, nämlich unserer ungenügenden
öffentlichen Darstellung, noch einen Punkt zu erwähnen. Unmittelbar nach dem
Ende des Kalten Krieges gewährte Japan den Ländern Osteuropas umfassende
Unterstützung. Darüber möchte ich Ihnen heute mehr erzählen.
Im Sommer 1989 stand die Berliner Mauer zwar noch, aber mit jedem Tag
mehrten sich die Anzeichen für einen tiefgreifenden Wandel. Damals ergriff
die Regierung von Japan die Gelegenheit zur Veranstaltung des „Arch Summit“
(Gipfeltreffen des Bogens), um den Vorschlag zu unterbreiten, man sei bereit,
Polen und Ungarn mit umfangreichen finanziellen Mitteln unter die Arme zu
greifen.
Im Januar 1990 gab Ministerpräsident Toshiki Kaifu während eines Besuchs in
Berlin, das gerade erst den Fall der Mauer erlebt hatte, bekannt, man werde
Polen und Ungarn mit insgesamt 1,95 Mrd. US-Dollar unterstützen und erfüllte
so die zuvor gegebene Zusage.
In Bezug auf Bosnien-Herzegowina gab Japan 1995, gleich nach Ende des
Konflikts, die Zusage, 500 Mio. US-Dollar als finanzielle Hilfe zur
Verfügung zu stellen. Dies war der zweitgrößte bilaterale Beitrag nach dem
Beitrag der Vereinigten Staaten, und die Reaktion war damals, das man sich
allgemein fragte, warum Japan einen derart großen Betrag zu leisten bereit
war. Heute hingegen ist man dort der Auffassung, das Japan die nützlichste
Unterstützung von allen gewährt hat.
Wenn dies kein Beispiel für „Werte-orientierte Außenpolitik“ ist, was, bitte
schön, dann? Japan kann bei seinem Beitrag für die Bildung eines „Bogens der
Freiheit und Prosperität“ auf eine ganze Reihe lobenswerter Leistungen
zurückblicken, und dieser Beitrag bestand schon lange, bevor irgend jemand
das Konzept dieses Bogens explizit formuliert hat.
Auch Japans Leistungen in Asien sind, wie ich finde, besonders erwähnenswert.
Von 1997 bis 1998 litten Korea und die führenden ASEAN-Mitgliedsstaaten
gleichzeitig unter einer Währungskrise. Damals befand sich Japan auf dem
Höhepunkt einer deflationären Rezession. Nichtsdestotrotz stellte es im
Oktober 1998 diesen Staaten eine finanzielle Unterstützung in Höhe von
insgesamt 30 Mrd. US-Dollar zur Verfügung. Davon gingen 8,4 Mrd. US-Dollar
an Korea, drei Mrd. US-Dollar an Indonesien usw. Seitdem sind knapp zehn
Jahre vergangen, und heute stehen Korea und die ASEAN an der Spitze des „Bogens
der Freiheit und der Prosperität“.
Mit anderen Worten: Dieser neue Pfeiler unserer Außenpolitik, von dem ich
heute spreche, ist für Japan nichts Neues. Er ist in Wirklichkeit nichts
anderes als die Bezeichnung der außenpolitischen Leistungen mit einem Namen,
die Japan eine nach der anderen in genau diesem Bereich während der letzten
16 oder 17 Jahre erzielt hat; zugleich erhält diese Strategie damit eine
neue Position innerhalb unserer gesamten Außenpolitik.
Ohne eine solche Benennung werden wir uns der tieferen Bedeutung dessen, was
wir selbst tun, kaum richtig bewusst. Maßnahmen ohne eine eingängige
Bezeichnung sind in der Öffentlichkeit größtenteils schnell vergessen, und
zwar sowohl im Inland als auch im Ausland. Aus diesem Grund ist ein Name
sehr wichtig. Dass wir uns dieser Tatsache erneut bewusst geworden sind und
dieser Außenpolitik einen eingängigen Namen geben, sind eigentlich die
wirklich „neuen“ Bestandteile dieses neuen außenpolitischen Pfeilers, über
den ich heute zu Ihnen spreche.
Der Gipfel zwischen den CLV-Staaten und Japan sowie die Zusammenkunft der
Außenminister der CLV und Japans, der Dialog zwischen Zentralasien und Japan
und die Dialoge der Visegrad Four, der Gruppe der „V4“, nämlich der
Tschechischen Republik, Ungarn, Polen und der Slowakei, gehören zu den
wichtigsten Zusammenkünften, die bislang durchgeführt wurden. Japan misst
dem Dialog mit diesen Gruppen große Bedeutung bei, wozu auch dessen
regelmäßige Durchführung gehört, und strebt die volle Realisierung des
Potentials der Dialogforen an, die bereits auf regelmäßiger Basis
stattfinden. Dabei wird zunächst und vor allem sichergestellt, dass die
Zusammenkünfte mit den entsprechenden Staaten häufig stattfinden. Auf
bilateraler Ebene hat Japan diesen Prozess bereits mit Afghanistan
eingeleitet.
Der beste Weg für uns, diese Verbindungen zu gestalten, besteht darin, sich
auf die Länder in der Nähe zu stützen, die bereits ein tiefes Verständnis
für Japan entwickelt haben. Als Beispiele dafür fallen mir auf Anhieb die
Türkei - ein wahres Schatzhaus an Wissen über den Mittleren Osten und
Zentralasien - sowie Polen ein, das für unser eigenes Verständnis für die
Ukraine von großer Bedeutung ist.
Leider hatte ich bisher nicht das Glück, Polen einen Besuch abstatten zu
dürfen, jedoch besuchte der vormalige Ministerpräsident Junichiro Koizumi
dieses Land im August 2003. Er konnte erfreut feststellen, dass Polen sehr
viel mehr ist als das Land Chopins.
Andrzej Wajda, der bekannte Regisseur von Filmen wie Asche und Diamant,
verwendete das Preisgeld, das er bei der Verleihung des Kyoto-Preises durch
Dr. Kazuo Inamori von der Kyocera Corporation erhielt, um in Krakau das
Manggha Centre of Japanese Art und Technology ins Leben zu rufen. „Manggha“
im Namen des Zentrums bezieht sich auf nichts anderes als die Manga von
Hokusai, und das Zentrum selbst beherbergt Ukiyoe, die Wajda schon als
junger Mann zu sammeln begonnen hatte.
Das Ausmaß der Beliebtheit moderner japanischer Manga im heutigen Polen ist
wirklich erstaunlich. In meiner eigenen Manga-Sammlung habe ich ein Exemplar
der polnischen Ausgabe von Inu Yasha, die ich vom polnischen Außenminister
geschenkt bekam.
In Polen gibt es eine Hochschule, die in ihrem Namen das Wort „Japan“
enthält, nämlich das Polnisch-Japanische Institut für
Informationstechnologie. Diese Hochschule hat in Zusammenarbeit mit dem
United Nations Development Programme (UNDP) finanzielle Unterstützung in
Höhe von insgesamt ca. 35.000 US-Dollar aus Japan erhalten. Diese Mittel
werden als Grundlage für das Projekt „Transfer von IT-Technologie in die
Ukraine“ verwendet. Dieses Projekt strebt unter Verwendung von
Spitzentechnologie den Aufbau eines Fernstudiumprogramms an.
Mit anderen Worten: Wir versuchen unsere Zusammenarbeit mit Staaten
auszubauen, die über ein tiefes Verständnis für Japan verfügen. Dies hat
sowohl geographische als auch kulturelle Vorteile bei der strategischen
Vergabe von Unterstützung an vielversprechende Staaten innerhalb des „Bogens
der Freiheit und Demokratie“. Die Zusammenarbeit mit Staaten in der
entsprechenden Situation, wie z.B. Polen, hat sich als ganz außerordentlich
motivierend herausgestellt.
Viele ehemalige sozialistische Staaten wie Polen, Ungarn und die drei
baltischen Staaten sind im Mai 2004 in die Europäische Union aufgenommen
worden. Dadurch wandelten sie sich plötzlich von Staaten, die bislang Hilfe
empfingen, zu solchen, die nun Hilfe gewähren.
Mit der Ausweitung des „Bogens der Freiheit und Prosperität“ bis an die
Ostsee, damit so keine Lücken innerhalb dieses Gürtels entstehen, ist es
ebenfalls von großer Bedeutung, auch den so genannten „GUAM“-Staaten,
nämlich Georgien, Ukraine, Aserbeidschan und Moldawien, zur Stabilität zu
verhelfen.
Es war diese Einsicht, welche die Ukraine, Georgien, Litauen und Rumänien
vor einem Jahr zur Bildung der „Community of Democratic Choice“ (CDC)
veranlasste. Das Ziel dieser Gemeinschaft ist die Ausbildung stärkerer
Wurzeln für die Demokratie sowohl in der Region Ostsee-Schwarzes Meer, als
auch in der Region des Kaspischen Meeres, also exakt in der Region, für die
ich die Vision vom „Bogen der Freiheit und Prosperität“ aufgestellt habe.
Japan ist der Auffassung, dass wir so viele Gelegenheiten wie nur möglich
für Kontakte zur CDC und auch zu den GUAM-Staaten entwickeln sollten. Um
noch einmal einen Punkt zu wiederholen, den ich vorhin bereits angeführt
habe: Wir halten es in solchen Fällen für das Beste, die Zusammenarbeit mit
Staaten zu suchen, die in der Lage sind, als Partner Japans zu wirken.
Zufälligerweise setzt sich Japan derzeit dafür ein, als Teil seiner
Anstrengungen für eine größere außenpolitische Effektivität sowohl die Zahl
seiner Auslandsvertretungen als auch die Zahl der Mitarbeiter seines
Auswärtigen Dienstes erheblich aufzustocken. Meiner Ansicht nach verfügt
Japan gegenwärtig nicht über ausreichende diplomatische Funktionen in den
GUAM-Staaten, die ich vorhin nannte oder in bestimmten anderen Regionen. Es
ist unerlässlich, dass wir das entsprechende Niveau in diesen Regionen rasch
anheben.
Am Ende meines heutigen Vortrags möchte ich Ihnen noch einige abschließende
Überlegungen mit auf den Weg geben.
Wir alle kennen den folgenden Ausspruch des englischen Dichters Kipling: „Ost
ist Ost, und West ist West, und beide kommen nur schwer zusammen.“ Man
könnte diesen Ausspruch ein wenig umschreiben und sagen, dass Ost und West
nicht viele Gelegenheiten haben, um zusammenzukommen.
Im Mai dieses Jahres besuchte ich das NATO-Hauptquartier in Brüssel, wo ich
einen recht detaillierten Vortrag hielt. Zusammengefasst führte ich aus,
dass die Selbstverteidigungsstreitkräfte Japans und die NATO sehr
wahrscheinlich die Gelegenheit erhalten werden, die Bandbreite ihrer
Kooperation mit Blick auf Konfliktverhütung und Friedensschaffung weltweit
auszuweiten. Als Vorgriff darauf schlug ich vor, in naher Zukunft ein enges
Zusammenwirken einzuleiten.
Auf diese Weise wendet sich der Osten nach Westen und der Westen nach Osten,
und mit diesen sich ausbreitenden Schwingen wird es nicht mehr länger ein
seltener Anblick sein, wenn Japan und die NATO Seite an Seite zusammenwirken
und sich gemeinsam in Regionen vom Indischen Ozean bis nach Afghanistan
engagieren.
Ich habe heute zu Ihnen über Japans Enthusiasmus bei der Gestaltung eines „Bogens
der Freiheit und Prosperität“ entlang des äußeren Randes des eurasischen
Kontinents mittels einer Außenpolitik gesprochen, die den Schwerpunkt auf
Werte legt.
Japan steht bei der Aufrechterhaltung der Werte von Freiheit, Demokratie,
Wahrung der Menschenrechte sowie Rechtsstaatlichkeit hinter niemandem zurück.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Japan sich in der ersten Hälfte des 21.
Jahrhunderts dazu verpflichten könnte, zusammen mit anderen Staaten, welche
mit uns dieselben Überzeugungen teilen, sinnvolle Aufgaben in Angriff zu
nehmen. Diese Staaten würden selbstverständlich die Vereinigten Staaten,
Australien und höchstwahrscheinlich in zunehmendem Maße auch Indien sowie
u.a. auch die Mitgliedsstaaten der EU und der NATO umfassen.
Wenn Sie nun zu der Ansicht gelangt sind, dass Taro Aso nichts anderes als
ein Hirngespinst ersonnen hat, dann möchte ich Ihnen zwei abschließende
Überlegungen mit auf den Weg geben. Die erste ist, dass Sie dies für ein
Hirngespinst halten mögen, jedoch hört sich fast jede wirkliche Vision
zunächst wie ein Hirngespinst an. Und, liebe Freunde, die japanische
Außenpolitik braucht eine Vision.
Der Grund dafür ist mein zweiter Schlussgedanke, nämlich dass Japans
außenpolitische Vision auch die Vision der Menschen in Japan ist. Nämlich
eine Vision, die jede Bürgerin und jeder Bürger Japans respektiert und auf
die sie bzw. er stolz sein kann.
Eine der Aufgaben der Außenpolitik besteht darin, in den Menschen des
eigenen Landes einen fundierten, realistischen und gelassenen Sinn für
Selbstachtung zu fördern. Als Außenminister suche ich nach Wegen, um den
Menschen in Japan Enthusiasmus und Zuversicht zu vermitteln, und aus diesem
Grund hoffe ich, weiterhin Anmerkungen machen zu können, die zu solcher
Energie und Zuversicht führen. Erlauben Sie mir, dass ich mit diesem
Gedanken für heute schließe.
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