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Neues aus Japan Nr.56 Juli 2009

Japanische Popkultur 4:

Manga in Deutschland

Interview mit Dr. Joachim Kaps, Managing Director der deutschen Niederlassung von TOKYOPOP® K.K. Japan

In dieser Ausgabe von Neues aus Japan bringen wir ein Interview mit Dr. Kaps, einem der engagiertesten Förderer und versiertesten Kenner von Manga hierzulande, der sich seit vielen Jahren für die Erschließung des deutschen Marktes für die Manga-Kultur einsetzt.

Dr. Joachim Kaps

 

Dr. Joachim Kaps (Jahrgang 1964) studierte in Marburg europäische Kulturwissenschaften, Neue Deutsche Literatur und Graphikdesign. 1996 kam er zum Carlsen Verlag, wo er bereits zwei Jahre später Chefredakteur wurde. 2001 war er schließlich Verlagsleiter des Geschäftsbereichs Comic. Unter seiner Federführung wurden zahlreiche erfolgreiche Manga-Serien in Deutschland eingeführt, darunter Dragon Ball, One Piece, Neon Genesis Evangelion oder Angel Sanctuary. Auch wirkte er bei der Entwicklung der Manga-Magazine BANZAI! und DAISUKI mit. 2004 erfolgte dann der Wechsel zu TOKYOPOP.

 

 

Manga - Dynamik des Erzählens in Bildern

Neues aus Japan:
Was ist für Sie das Besondere an Manga und was macht ihren Charme aus?

Dr. Kaps:
Die unerschöpfliche Vielfalt der Themen, die konsequente Gestaltung in Schwarzweiß, die Dynamik des Erzählens in Bildern, die hohe Effizienz bei der Ausgestaltung des Bildes im Dienste einer Geschichte und ihrer Charaktere – all das fasziniert mich nach wie vor sehr.
Ein wichtiger Faktor für mein persönliches Interesse an Manga war zudem, dass sehr schnell deutlich wurde, dass sich Kinder und Jugendliche dank Manga wieder für das Erzählen in Bildern begeistern ließen. Die französischen und amerikanischen Comics hatten über die Jahre eine gewisse thematische und grafische Überalterung erfahren und waren für junge Leser eher uninteressant geworden. Aber Manga wurden von ihnen akzeptiert. Warum das möglich war, hat wohl auch den Kulturwissenschaftler in mir interessiert.

Neues aus Japan:
Sie haben europäische Kulturwissenschaften, Neue Deutsche Literatur und Graphikdesign studiert. Als Sie begannen, sich mit Manga zu befassen, waren Manga in Deutschland noch kaum verbreitet. Wie haben Sie persönlich Manga kennengelernt, und was hat Sie dazu veranlasst, Manga nach Deutschland zu holen?

Dr. Kaps:
Bei dieser Frage muss ich zunächst mit einem Vorurteil aufräumen, das immer wieder kursiert, obwohl ich ihm oft widersprochen habe: Es war zu Beginn meiner Laufbahn gar nicht meine Initiative, Manga in das Programm des Carlsen Verlages zu holen, sondern die von Andreas C. Knigge, mit dem ich für einige Zeit bei Carlsen zusammen arbeiten durfte, und von dem ich viel gelernt habe. Ich habe in der Zeit meiner Verantwortung bei Carlsen lediglich fortgeführt und weiter ausgebaut, was er zuvor begonnen hatte. Später habe ich mich dann dazu entschlossen, mit der deutschen Niederlassung von TOKYOPOP den einzigen deutschen Verlag mit ins Leben zu rufen, der sich auf Manga spezialisiert hat. Kurzum: Ich habe nicht Manga nach Deutschland geholt, sondern durfte nur meinen Beitrag dazu leisten, sie weiter zu etablieren.
Meine Beschäftigung mit Manga begann aber in der Tat, bevor ich für den Carlsen Verlag zu arbeiten begann. Der Anstoß dazu kam ursprünglich aus dem französischen und amerikanischen Markt. Ich habe mich Zeit meines Lebens mit Comics beschäftigt und diese Form der Literatur immer besonders gemocht. Als dann die ersten Manga in französischen und englischen Ausgaben erschienen, war ich fasziniert davon, dass sie praktisch alles in Frage stellten, was man bei uns in Europa zuvor über Comics dachte und wusste.
Der Wunsch, diese überraschende Leseerfahrung besser zu verstehen und einen kleinen Beitrag dafür zu leisten, dass diese wunderbare Erzählform möglichst vielen Lesern begegnet, hat mich seitdem immer wieder angetrieben.

 

Wachsende Bedeutung von Manga für Leserinnen

Neues aus Japan:
Wie ist die aktuelle Marktsituation für Manga in Deutschland? Wie groß ist der deutsche Markt? Welche Art von Manga verkaufen sich besonders gut?

Dr. Kaps:
Über die Größe des deutschen Marktes gibt es keine wirklich verlässlichen Daten. Wir gehen derzeit davon aus, dass im deutschsprachigen Markt im laufenden Jahr zwischen 5 und 6 Millionen Manga verkauft werden. Das ist kein riesiger Markt, aber einer, der ohne Frage interessant genug ist, wenn man bedenkt, dass er im Wesentlichen von nur drei Verlagen gestaltet wird. Frankreich hat deutlich höhere Manga-Verkäufe, sie werden aber von rund 30 Manga-Verlagen generiert. Dies muss man bei der Beurteilung solcher Daten bedenken.
Bezüglich der Themen waren in den frühen Jahren des Marktes die großen aben­teuerlichen Serien dominierend, die von Jungs und Mädchen gleichermaßen begeistert gelesen werden. Dragon Ball, Inu Yasha oder One Piece sind Beispiele für solche Stoffe. In jüngerer Zeit beobachten wir eine wachsende Bedeutung von Manga für Leserinnen. Zum einen durch Alltagsgeschichten oder märchenhafte Fantasy für jüngere Mädchen, wie sie etwa durch Shinshi Doumei Cross oder Rockin’ Heaven repräsentiert werden. Zum anderen haben Boys Love-Manga* (NaJ: Mädchen-Manga mit männlichen homosexuellen Hauptfiguren), von den älteren Mädchen und jungen Frauen gelesen, sehr an Popularität gewonnen.

 

„Neue Erfolge im Manga lassen sich nur bedingt planen.“

Neues aus Japan:
Man hat ein wenig den Eindruck, dass der Manga-Boom in Deutschland schon wieder schwächer wird. Trifft das zu?

Dr. Kaps:
Manga stellen allen Unkenrufen zum trotz noch immer rund 70 % der in Deutschland über den Buchhandel vertriebenen Comics. Allerdings ist auch richtig, dass das Lesen von Büchern im Allgemeinen in der Mediennutzung junger Menschen zurzeit nicht gerade ein Wachstum zu verzeichnen hat. Somit hat auch der Absatz von Manga nicht mehr so starke Wachstumsraten zu verzeichnen wie in den späten 80er und frühen 90er Jahren.
Hierbei muss man aber auch bedenken, dass der Markt seit einigen Jahren keine zusätzlichen Anstöße von außen mehr bekommt, wie es sie zuvor durch die Ausstrahlung von Anime im Fernsehen oder populäre Kartenspiele wie Yu-Gi-Oh! gab. Schließlich sind seit 2008 auch weniger neue Titel erschienen als in den Jahren zuvor, da der vertreibende Handel seine Aufnahmegrenzen erreicht hatte und einige Verlage darauf reagiert haben.
So erleben wir derzeit zwar erstmals seit Beginn des Siegeszuges der Manga in Deutschland eine leichte Welle nach unten, aber sie gilt nicht für alle Verlage. Für TOKYOPOP kann ich zumindest festhalten, dass unsere Umsätze mit Manga nach wie vor steigen. Und auch der Markt insgesamt wird sicher wieder eine Bewegung nach oben sehen, wenn ein neuer Hit vom Format eines Naruto erscheint. Aber solche Erfolge lassen sich eben nur bedingt planen – im Manga so wenig wie im Buch oder im Film.

Neues aus Japan:
Wer liest in Deutschland besonders gerne Manga? Eher junge Frauen oder Männer? Kinder oder Erwachsene?

Dr. Kaps:
Der Schwerpunkt liegt eindeutig bei Kindern und Jugendlichen. Allerdings ist auch ein Teil der Manga-Leser und -Leserinnen der frühen Phase in der Entstehung des Marktes nach wie vor am Medium interessiert und sieht sich nach Stoffen für ältere Leser um. So erfreut sich etwa das Werk von Taniguchi-san* (NaJ: Jiro Taniguchi) derzeit einer wachsenden Aufmerksamkeit. Hinsichtlich der Geschlechter nimmt der Anteil der Leserinnen – wie beim Buch ganz allgemein – in den letzten Jahren zu.

 

„Nicht alle in Japan erfolgreichen Manga finden auch bei uns ein Publikum.“

Neues aus Japan:
Nach welchen Kriterien wählt Ihr Unternehmen Manga für den deutschen Markt aus? Verlassen Sie sich auf Ihre Intuition oder nehmen Sie Vorschläge von Manga-Fans auf?

Dr. Kaps:
Feste Kriterien lassen sich hier gar nicht benennen. Wir beobachten den japanischen Markt so gut wir können und versuchen das Gesehene immer wieder aufs Neue zu unseren Erfahrungen im deutschen Markt in Beziehung zu setzen. Beide Märkte wandeln sich ständig. Was heute keine Chance hat, mag in einigen Jahren genau der Titel sein, den das Publikum erwartet. Daher kann unsere Beurteilung immer nur eine von begrenzter Haltbarkeit sein.
Nicht alle Manga, die in Japan erfolgreich sind, finden auch bei uns ein entsprechend großes Publikum. Diese Erfahrung mussten alle Verlage über die Jahre sammeln. So ist es bislang etwa außerordentlich schwer, Manga mit einem hohen Humoranteil erfolgreich bei uns zu etablieren.
Natürlich spielen neben den verlegerischen Überlegungen aber auch immer wieder die Hinweise der LeserInnen eine Rolle. So hätten die Verlage wohl kaum dem bei uns zunächst völlig unbekannten Genre der Boys Love-Manga eine Chance gegeben, wenn die Nachfrage der Fans nicht unüberhörbar gewesen wäre.

 

„Die Fans sind auf vorbildliche Weise vernetzt.“

Neues aus Japan:
Existiert in Deutschland eine Art Manga-Netzwerk aus Unternehmen oder Organisationen? Gibt es eine Zusammenarbeit mit Fernsehsendern, die Anime zeigen, und Verlagen, die Manga publizieren?

Dr. Kaps:
Leider nein. Ich habe zu meiner Zeit bei Carlsen immer wieder einmal versucht, engere Bindungen zu TV-Sendern herzustellen, die Anime ausgestrahlt haben. Das Interesse der anderen Seite war aber eher verhalten. Dagegen haben wir über die Jahre eine sehr gute Zusammenarbeit und einen guten Austausch mit Kollegen aus der Spielebranche, hier allen voran Nintendo, aufbauen können. So sollen im Herbst bei TOKYOPOP Manga erscheinen, die auf einem großen Spiele-Erfolg basieren. Wir sind sehr gespannt darauf, was wir hier gemeinsam werden bewegen können.
Im Gegensatz zu den Unternehmen sind die Fans übrigens auf vorbildliche Weise vernetzt und haben mit Plattformen wie Animexx, AnimeY oder Pummeldex im Internet einen unglaublich regen und intensiven Austausch. Vielleicht lernen wir ja – wie schon oft zuvor – in der Branche hier noch einiges von ihnen.

 

„In Deutschland gibt es noch immer Vorurteile gegenüber Manga.“

Neues aus Japan:
Was ist notwendig, um noch mehr qualitativ hochwertige Mangas in Deutschland zu publizieren?

Dr. Kaps:
Meiner Auffassung nach sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung über die Welt der Manga. Auch so viele Jahre nach Dragon Ball und Sailor Moon gibt es in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft leider noch immer viele Vorurteile gegenüber Manga, die meistens auf fehlender Kenntnis von der wunderbaren Vielfalt der Manga basieren. Nicht nur bei Erwachsenen, auch bei manchen Jugendlichen werden Manga in der Wahrnehmung völlig zu Unrecht auf große Augen oder Action reduziert. Wenn man sie dann aber über die vielen großartigen Spielformen der Manga aufklärt, sind sie oftmals zuerst überrascht, dann fasziniert und bald schon begeistert.

 

Grimms Märchen als Manga

Neues aus Japan:
Verlegt Ihr Unternehmen bereits Manga aus der Feder deutscher KünstlerInnen?

Dr. Kaps:
Ja, und wir sind sehr froh darüber, dass manche von ihnen mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern begeisterte Leser gefunden haben. Gothic Sports von Anike Hage, Stupid Story von Anna Hollmann oder auch Yonen Buzz von Christina Plaka sind wunderbare Beispiele hierfür. Bei diesen Projekten ist es uns wichtig, dass die AutorInnen, die wir verlegen,  nicht einfach japanische Manga kopieren, sondern ihren eigenen lokalen Zugang zum Thema finden. Zusammen mit der japanischen Künstlerin Kei Ishiyama haben wir sogar Grimms Märchen in Manga überführt, in jüngerer Zeit mit David Füleki den Struwwelpeter in einem Manga neu belebt.
Ich glaube fest daran, dass deutsche Manga irgendwann so selbstverständlich sein werden wie es deutscher Hip-Hop heute schon ist. Manga ist eine bestimmte Art, die Welt zu betrachten und sich in gezeichneten Bildern mit ihr auseinanderzusetzen. Dies können sich junge Künstler zu eigen machen, ganz gleich, wo sie geboren sind.

Neues aus Japan:
Welcher Manga ist Ihr persönlicher Favorit?

Dr. Kaps:
Die Antwort auf diese Frage auf einen zu beschränken, würde der zuvor erwähnten Vielfalt der Manga nicht gerecht. Ganz sicher wird Dragon Ball für mich immer eine ganz besondere Bedeutung haben, weil ich diese Serie als Redakteur bei ihrer Einführung in Deutschland betreuen durfte und sie mir in vielerlei Hinsicht die Augen über die Möglichkeiten des Erzählens in Bildern neu geöffnet hat. Von Death Note war ich – aus ganz ähnlichen Gründen – in jüngerer Zeit aber ebenso begeistert. Und als Tipp für alle, die die weniger bekannten Seiten des Manga erleben wollen, empfehle ich zurzeit gerne die Werke von Hideo Azuma. Eine sehr schöne deutsche Ausgabe von Der Ausreißer hat Schreiber & Leser herausgegeben.

 

Neue Vertriebswege für ein neues Publikum

Neues aus Japan:
Was denken Sie, wie sich der Manga-Markt in Deutschland zukünftig entwickeln wird?

Dr. Kaps:
Ich sehe die Zukunft recht optimistisch. Wir befinden uns derzeit in einer gewissen Phase der Umstrukturierung des Marktes. Solche Phasen rufen oftmals auch neue Anbieter und neue Angebote auf den Plan, die wiederum neue Interessen bedienen und zu einer größeren Vielfalt des Angebotes führen.
Auch tun sich mit Mobile Manga ganz neue Vertriebswege auf, mit denen man ein neues Publikum erreichen kann.
Comics und Manga haben in allen Ländern eine sehr lange Tradition und wurden – wie das Lesen selbst – von Pessimisten schon so oft als durch die neuen Medien gefährdet angesehen. Und dennoch haben Phänomene wie Harry Potter oder Dragon Ball bewiesen, dass sich Massen immer wieder neu für das Buch begeistern lassen, wenn der richtige Inhalt zur richtigen Zeit auf die Bühne tritt. Ich wüsste nicht, warum sich daran in Zukunft etwas ändern sollte.

Neues aus Japan:
Vielen Dank für dieses Interview.

 


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