
Einführung des Saiban-in-Systems in Japan
Beitrag von Tsuyoshi YUKAWA, Justizattachée der Botschaft von Japan in Berlin
Am 21. Mai 2009 trat in Japan das Gesetz über das Saiban-in System (japanisches Schöffensystem) in Kraft. Damit beteiligen sich bei Strafprozessen aus allen Bürgerinnen und Bürgern ausgewählte Saiban-in zusammen mit Berufsrichtern an der Verhandlung, an der Entscheidung über Schuld oder Unschuld sowie an der Festlegung des Strafmaßes.
Zwar gab es in Japan vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs für einige Jahre ein Geschworenensystem, jedoch wurden nach dem Krieg Urteile in Prozessen ausschließlich von Berufsrichtern gefällt. Ein System von ehrenamtlichen Richtern oder Schöffen wie in Deutschland gab es nicht.
Warum wurde das Saiban-in-System eingeführt?
Bislang standen bei Prozessen in Japan Rechtsexperten wie Richter, Staatsanwälte sowie Rechtsanwälte im Mittelpunkt. Dadurch wurde einerseits eine gründliche und umsichtige Untersuchung gewährleistet, andererseits führte die allzu große Berücksichtigung fachlicher Korrektheit dazu, dass die Verhandlungen und Urteile für die Bürgerinnen und Bürger zunehmend schwer zu verstehen waren. Auch erfordert ein kleiner Teil der behandelten Fälle eine längere Verhandlungsdauer, so dass der Eindruck entstand, Strafprozesse seien insgesamt eine schwer zugängliche Angelegenheit. Zudem bestehen heute in zahlreichen Ländern Systeme, mit denen eine unmittelbare Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Strafprozessen gewährleistet wird. Dies trägt in erheblichem Maße dazu bei, das Verständnis der Menschen für die Justiz zu verbessern.
Daher wurde auch in Japan die Einführung eines Systems geprüft, das eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Justiz ermöglicht. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass dadurch, dass Richter und aus der Bevölkerung ausgewählte Saiban-in ihre jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen zur Anwendung bringen und gemeinsam Urteile fällen, die Prozesse so gestaltet werden können, dass sie von den Menschen leichter zu verstehen sind. Dies führte schließlich zur Einführung des Saiban-in-Systems.
Wie sieht das Saiban-in-System aus?
(1) Behandelte Fälle
Das neue Gesetz über das Saiban-in-System gelangt bei besonders schweren Straffällen zur Anwendung, wie z.B. Mord oder Raub, der schwere Körperverletzung zur Folge hat. Auch in Deutschland richtet sich die Entscheidung, ob eine Anklage zunächst vor dem Amtsgericht oder dem Landgericht erfolgt, nach der Schwere des Verbrechens. Deshalb ist es vielleicht am verständlichsten, wenn man sagt, dass die Fälle, bei denen in Deutschland die Anklage vor einem Landgericht erfolgt, in Japan in einem Verfahren unter Mitwirkung von Saiban-in verhandelt werden.
(2) Auswahl der Saiban-in
Im japanischen System erfolgt die Auswahl der Saiban-in für jeden Fall gesondert. Wird dagegen in Deutschland jemand als Schöffe ausgewählt, so ist er während des Zeitraums seiner Schöffentätigkeit mit mehreren Fällen befasst. Dies ist der große Unterschied zwischen den Systemen in Japan und in Deutschland.
In Japan werden die Kandidaten für eine Tätigkeit als Saiban-In einmal im Jahr aus den Wählerverzeichnissen nach dem Zufallsverfahren ausgewählt und eine entsprechende Liste erstellt. Tritt nun ein Fall auf, bei dem die Beteiligung von Saiban-in vorgesehen ist, wählt das Gericht aus der vorliegenden Liste die Kandidaten für diesen Fall zufällig aus. Sollte einer dieser Kandidaten, z.B. ein Staatsanwalt oder Rechtsanwalt sein oder mit einem der Verfahrensbeteiligten bekannt sein, darf er selbstverständlich nicht als Saiban-In wirken. Personen, die z.B. über siebzig Jahre alt sind oder denen es aufgrund einer Krankheit nicht ohne Weiteres möglich ist, beim Gericht zu erscheinen, können von dem Amt zurücktreten.
Letztendlich werden für einen Fall sechs Saiban-in ausgewählt, die zusammen mit drei Berufsrichtern an der Verhandlung teilnehmen. Dies sind mehr Personen als in Deutschland. Ausgehend von der Zahl der in Japan auftretenden Fälle heißt es, dass pro Jahr aus rund 5000 Wahlberechtigten eine Person ausgewählt wird, die als Saiban-in an einem Prozess beteiligt ist.
(3) Verhandlung
An der Verhandlung eines Falls nehmen drei Berufsrichter und sechs Saiban-in teil. Berufsrichter und Saiban-in beraten gemeinsam über die Entscheidung über Schuld oder Unschuld und auch über das Ausmaß der Strafe. Kann keine Einstimmigkeit erzielt werden, wird entsprechend der einfachen Mehrheit entschieden. Allerdings ist in den Fällen, in denen eine Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten gefällt wird, die Zustimmung mindestens eines Berufsrichters zu dieser Entscheidung erforderlich. (D.h., wenn alle sechs Saiban-in auf schuldig erkennen, sämtliche Berufsrichter jedoch auf unschuldig, wird der Angeklagte freigesprochen.)
Bislang kam es vor, dass bei Strafprozessen in Japan bis zu einem Urteil ein außerordentlich langer Zeitraum verging. Für die Saiban-in, die jeweils für einen Fall ausgewählt werden, würde dies eine große Belastung bedeuten, z.B. weil sie über längere Zeit ihren Beruf nicht ausüben könnten. Aus diesem Grund wurde festgelegt, dass Prozesse mit Saiban-in innerhalb eines kurzen Zeitraums an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen intensiv verhandelt werden. Im Großen und Ganzen wird davon ausgegangen, dass in siebzig Prozent der Fälle, an denen Saiban-in beteiligt sind, von der Eröffnung der Verhandlung bis zum Urteil nur drei Tage vergehen.
Ausblick
Auch wenn das Gesetz über das Saiban-in-System mittlerweile in Kraft getreten ist, kann es nur auf Fälle angewendet werden, bei denen nach dem Datum des Inkrafttretens Anklage erhoben wurde. Derzeit kann man davon ausgehen, dass die ersten Prozesse unter Beteiligung von Saiban-in frühestens Anfang August stattfinden werden.
Es steht zu hoffen, dass mit Hilfe dieses Systems auch die Bürgerinnen und Bürger vertrauter mit Prozessen werden, dass die Inhalte der Prozesse besser verständlich werden und dass zudem ihre Dauer beschleunigt wird.