
Bericht eines Teilnehmers am JET-Programm:
Mit Beethoven in Naruto
Jedes Jahr Anfang August machen sich junge deutsche Hochschulabsolventen auf den Weg nach Japan, um sich für die Internationalisierung Japans zu engagieren. Dies geschieht im Rahmen des Japan Exchange and Teaching (JET) Programms, mit dem jährlich ca. 4500 junge Menschen aus fast 40 Ländern hauptsächlich als Assistenz-Sprachlehrer in Schulen arbeiten bzw. in Rathäusern oder Präfekturverwaltungen außerhalb der großen Zentren wie Tokyo oder Osaka im Bereich Internationale Beziehungen assistieren.
Zur Zeit arbeiten zwei Assistenz-Deutschlehrer und 11 deutsche Koordinatoren für Internationale Beziehungen (CIR) in Japan. Inzwischen gibt es aber auch schon über 240 ehemalige deutsche Teilnehmer am JET-Programm.
Diesen Monat stellen wir Ihnen den Bericht von Mattias Hirschfeld vor, der von 2004 bis 2006 als CIR in Naruto in der Präfektur Tokushima tätig war, eine Präfektur die mit Niedersachsen eine Partnerschaft pflegt, welche er inzwischen übrigens von deutscher Seite aus betreut …
Warum steht eine Beethoven-Statue am Fuße des Ôasa-Berges in der Präfektur Tokushima auf Shikoku, weit entfernt von den japanischen Kulturmetropolen? In zwei Jahren als „Koordinator für internationale Beziehungen“ (CIR) der Stadt Naruto hatte ich Gelegenheit, dies herauszufinden.
Kriegsgefangenenlager Bandô und Deutsches Haus
Beethoven steht vor dem „Deutschen Haus“, das von der Stadt Naruto errichtet worden ist, um die Erinnerungen an das Kriegsgefangenenlager Bandô und den Austausch mit Deutschland zu pflegen, und das für zwei Jahre mein Arbeitsplatz wurde. In Bandô waren von 1917 bis 1920 rund 1000 deutsche Soldaten interniert, die zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Tsingtau (Qingdao) gefangengenommen worden waren. Im Unterschied zu anderen Lagern damals und heute wurden die Deutschen in Bandô vom Lagerleiter Oberst Matsue respektvoll behandelt. Sie konnten ihre Berufe ausüben (die meisten waren Reservisten gewesen) und verwandelten das Barackenlager in eine komplette deutsche Kleinstadt mit Kegelbahn und Bäckerei. Matsue genehmigte ihnen auch das Arbeiten für und mit der lokalen Bevölkerung, wovon noch heute Steinbrücken, eine deutsche Farm oder eine Bäckerei in Naruto künden. Im Kampf gegen die Langeweile stellten die Deutschen ein beeindruckendes Bildungs- und Kulturprogramm auf die Beine. Eines der Konzerte war Ludwig van Beethovens „Sinfonie Nr. 9“ gewidmet, die am 1. Juni 1918 erstmals in ganz Asien in voller Länge aufgeführt wurde. Ein historisches Ereignis, auch wenn sich mein Bedauern darüber, dass keine Tonaufzeichnung existiert, aufgrund der schwierigen Aufführungsbedingungen (teilweise selbstgebastelte Instrumente, für Männerstimmen umgeschriebener Chor) in Grenzen hält. Nach dem Zweiten Weltkrieg jedenfalls knüpfte die Stadt Naruto an das deutsche Erbe an und schloss mit der Sta
dt Lüneburg 1974 eine partnerschaftliche Verbindung.
Diese zu unterstützen war meine Hauptaufgabe. So durfte ich die jährlichen Delegationsbesuche in beide Richtungen vorbereiten und begleiten, aber auch den Oberbürgermeister alleine bei seiner 14-Termine-in-5-Städten-in-3-Tagen-Rundfahrt durch Deutschland. Daneben half ich bei der Organisation von Sonderausstellungen oder Konzerten im Deutschen Haus (z.B. für ein Orchester aus Dresden mit Glockenspiel aus Meißner Porzellan), hielt Vorträge vor Zuhörern vom Kindergarten bis zum Rentenalter, zeigte wie man Ostereier färbt, veranstaltete einen Kurs über „Deutschland heute“… kurz, das ganze Spektrum der CIR-Aufgaben, mit Highlights wie einem Tag als „Ehren-Postamtschef“ oder dem Herumtollen bei deutschen Kinderspielen im Ôtsuka-Kunstmuseum.
Mein erster Besuch im Deutschen Haus lag bei Dienstantritt als CIR schon länger zurück: Im März 2003 hatte ich als Sänger des Madrigalchor Kiel in Naruto einen Auftritt, bei dem uns mein Vorgänger die Ausstellung zeigte und ich viele Menschen traf, die später Kollegen und Freunde werden sollten. Auch die Beethoven-Statue als Symbol hatte mich schon länger beschäftigt. Meine Abschlussarbeit über die Einführung und Verbreitung westlicher Musik in der japanischen Gesellschaft veröffentlichte ich 2005 unter dem Titel „Beethoven in Japan“.
Die Umgebung von Naruto ist sehr ländlich, und ich genoss die morgendliche Fahrradfahrt zur Arbeit, vorbei an Lotus- und Süßkartoffelfeldern. Immerhin bietet die Präfektur von Wildwasserrafting bis zu schönen Stränden einiges, und mit den JET-Kollegen verbrachte ich manchen Feierabend in Tokushima-City. Bekannt ist Tokushima für den Awa-Tanz im August, ein Riesenspektakel, das ich dreimal miterleben konnte, und für die ersten Stationen des 88-Tempel-Pilgerrundwegs der um ganz Shikoku führt – den habe ich leider nicht geschafft. Regelmäßige Onsen-Besuche und Badminton-Treffs füllten meine Abende, und wenn mehrere Tage frei waren war ich viel in Japan unterwegs. Beeindruckt hat mich aber bei all dem die Gastfreundschaft und Aufgeschlossenheit vieler Menschen, die ich in Naruto kennen- und schätzen lernte.
Deutschland in Naruto
Drei Ereignisse prägten meine beiden Jahre in Naruto besonders:
Im Jahr „Deutschland in Japan“ 2005/06 genoss das Deutsche Haus Naruto als eine der wenigen speziell Deutschland gewidmeten Einrichtungen in Japan besondere Aufmerksamkeit. Wir hatten deutlich mehr Besucher und Veranstaltungen. Der DAAD hielt sein Lektorenseminar bei uns ab, Generalkonsul und Botschafter und viele Gruppen besuchten das Haus.
Die in Deutschland weitgehend unbekannte Geschichte des Kriegsgefangenenlagers Bandô wurde in einer aufwändigen Produktion mit Ken Matsudaira und Bruno Ganz in den Hauptrollen verfilmt. Dafür wurde das Lager unweit des Deutschen Hauses nachgebaut. Ich konnte die gesamte Produktion begleiten und bei den Dreharbeiten im Dezember selbst als Statist in der Schlussszene, der Aufführung der Neunten Sinfonie, die Geige in die Hand nehmen. Der Film „Ode an die Freude“ (jap.: Baruto no gakuen) lief im Sommer 2006 in Japan sehr erfolgreich in den Kinos; in Deutschland hingegen wurde er nach einer Premiere in Hamburg vom Verleih ziemlich schnell eingemottet.
Im Oktober 2004 besuchte der japanische Kronprinz das Deutsche Haus. Der immense personelle und protokollarische Aufwand für den 53-minütigen Besuch war kurios. Nachdem der Prinz mich bei der Verabschiedung kurz angesprochen hatte, musste ich anschließend darüber einen Bericht für das Kaiserliche Haushofamt ausfüllen.
Der Besuch des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff mit Delegation in Tokushima im Juni 2005 wiederum war mit viel Arbeit verbunden, eröffnete aber neue Verbindungen zwischen Land und Präfektur, die über die Städtepartnerschaft hinausgingen. Die Delegation besuchte auch das jährliche Konzert mit Beethovens Neunter Sinfonie, zu dem am ersten Junisonntag ein Chor mit Sängern aus ganz Japan zusammenkommt. 2005 durfte ich mitsingen, 2006 auf der Geige mitspielen.
Partnerschaft Niedersachsen – Tokushima
Als am 13. September 2007 der Niedersächsische Ministerpräsident und der Gouverneur der Präfektur Tokushima in Hannover eine Partnerschaftserklärung unterzeichneten, konnte ich in meiner neuen Funktion als Referent in der Niedersächsischen Staatskanzlei dabei sein. Mein Arbeitsgebiet hier ist deutlich breiter als in Naruto, aber da auch die Beziehungen mit Japan und die Partnerschaft mit Tokushima dazugehören, kann ich oft an mein „Vorleben“ anknüpfen. So z.B. bei der Vorbereitung und Begleitung der Reise des Ministerpräsidenten mit Delegation nach Japan im März 2009, wo Tokushima als erste Station auf dem Programm stand, und auch bei der Koordinierung von Projekten und Austausch im Rahmen der Partnerschaft. In Niedersachsen ist seit August eine Japanischlehrerin aus Tokushima tätig, der Tokushima Jugendchor hat den Mädchenchor Hannover kennengelernt, eine Judogruppe ist im Oktober nach Tokushima eingeladen, Kontakte zwischen Schulen und Hochschulen entwickeln sich…
Der Japanische Botschafter in Deutschland, Dr. Shinyô, würdigte den Austausch zwischen Niedersachsen und Tokushima sowie zwischen Naruto und Lüneburg mit einer besonderen Geste: Er lud die Delegation aus Naruto, die gerade zu Besuch in der deutschen Partnerstadt war, sowie Vertreter des Landes Niedersachsen am 24. August 2009 zu einem Empfang in seine Residenz ein.
Das große Erbe, das durch die beispielhafte Menschlichkeit des japanischen Lagerleiters Matsue begründet wurde, hat für den deutsch-japanischen Austausch Wege in die Zukunft eröffnet – und Beethoven lächelt dazu.