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Neues aus Japan Nr.59 Oktober 2009

Kyôgen
- die klassische Komödienkunst Japans

Eine Einführung und ein Interview mit dem Kyôgen-Meister Chûzaburo Shigeyama

Kyôgen ist eine traditionelle Form des ursprünglichen japanischen Theaters und hat sich zusammen mit dem Nô-Theater Mitte des 14. Jahrhunderts entwickelt. Der heitere, meist satirische Grundcharakter der Kyôgen-Stücke steht in bewusstem Gegensatz zu Nô-Dramen mit ihren ernsten und idealisierenden Themen. Kyôgen-Stücke werden als selbständige Zwischeneinlagen zwischen zwei Nô-Stücken gespielt. Beide Theaterformen kommen mit einer spärlich ausgestatteten Bühne aus, alles Weitere bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen.

Im Oktober gastiert einer der bedeutendsten Kyôgen-Schauspieler in Deutschland.

Der in Japan als „Bewahrer eines bedeutenden immateriellen Kulturguts“ (Lebender Nationalschatz) verehrte 81-jährige Schauspieler Chûzaburo Shigeyama, der die Tradition des Kyôgen-Theaters bereits in der 4. Generation fortführt, wird in Frankfurt am Main, Berlin, Leipzig und Innsbruck auftreten. Er wird begleitet von seinem Sohn Yoshinobu Shigeyama und weiteren Ensemblemitgliedern.


Chuzaburo Shigeyama

In diesem Beitrag möchte Neues aus Japan seine Leserinnen und Leser diesen repräsentativen Bestandteil der klassischen Künste Japans vorstellen. Im Rahmen dieses Beitrags geben wir auch ein Interview mit dem erfahrenen Kyôgen-Meister Chûzaburo Shigeyama wieder.

Was ist Kyôgen überhaupt? Beginnen wir mit einem Rückblick auf seine Geschichte.

Im 8. Jh. vermischten sich die in Japan bestehenden Bühnenkünste mit neuen Formen, die vom chinesischen Festland stammten. Diese nahmen sodann in Japan eine eigenständige Entwicklung. Im 12. Jh. schließlich hatte sich so die Grundlage des Nô und Kyôgen entwickelt, nämlich die Bühnenkunst des „Sarugaku“. Aus dem Sarugaku gingen nun einerseits das Nô, das vorwiegend von ernsten Inhalten geprägt ist, sowie das Kyôgen hervor, das sich vor allem mit lustigen Imitationen, satirischen Darstellungen oder komischen Misserfolgen befasst, über die das Publikum lachen kann. Seit dem 14. Jh. wurden bei Aufführungen Nô- und Kyôgen-Stücke im Wechsel auf der selben Bühne gezeigt, so dass beide Bühnenkünste seit dieser Zeit eng miteinander verbunden sind.

Im Gegensatz zum Nô, bei dem der Musik eine zentrale Rolle zukommt, ist Kyôgen eher eine Form des Sprechtheaters, bei der aber auch Gesang, Tanz sowie Musikinstrumente zum Einsatz kommen. Diese Instrumente sind Flöten sowie Trommeln in verschiedenen Größen, die von kleinen Exemplaren bis hin zur großen Taiko-Trommel reichen. Der Gesang unterscheidet sich sowohl hinsichtlich der Melodie als auch hinsichtlich der Stimmgebung erheblich vom westlichen Gesang.

Kyôgen ist die älteste Form des Sprechtheaters in Japan, und es gibt zahlreiche Textbücher, die über viele Jahrhunderte hinweg unverändert überliefert wurden. In diesen Textbüchern hat sich die gesprochene Sprache des 14. Jh. erhalten, und auch die auftretenden Figuren geben die Sitten und Bräuche der damaligen Zeit wieder. Wie bereits angedeutet handeln im Gegensatz zum Nô-Theater mit seinen vorwiegend tragischen Inhalten die Stücke des Kyôgen vor allem von komödienhaften Geschichten, in denen der Alltag der Menschen, ihre Widersprüche sowie die satirische und komische Darstellung dominieren. Im Vergleich zum Nô agieren die Schauspieler auch realistischer und förmlicher. Die meisten Kyôgen-Stücke kommen mit zwei oder drei Schauspielern aus und dauern in der Regel etwa eine halbe Stunde.

Chuzaburo, Taro KanjaDie auftretenden Figuren sind ganz normale Menschen, in die sich das Publikum leicht hineinversetzen kann. Eine Figur, die in den Kyôgen-Stücken häufig auftritt, ist „Taro Kaja“. Er stellt einen Diener, ein Mitglied des Gefolges eines Herrn dar, und mit seiner Liebe zum Reiswein, seiner Liebenswürdigkeit und seinem ausgeprägten Sinn für Humor steht er stellvertretend für die einfachen Menschen. Neben diesen einfachen Menschen treten auch Herren oder Priester (sogenannte Yamabushi) auf, die sich zwar würdevoll geben, aber von ihren Untergebenen stets hintergangen  oder verspottet werden. So entpuppen sich auch diese Figuren letztendlich als  Menschen mit ganz normalen Schwächen. Darüber hinaus gibt es auch Stücke, in denen Tiere, etwa Pferde oder Ochsen, oder auch übernatürliche Wesen auftreten.

Der Kyôgen-Meister Chûzaburo Shigeyama, der auf eine fast 80-jährige Erfahrung als Schauspieler zurückblicken kann, sagt, das Wesen des Kyôgen bestehe aus „Lachen“. So bleibt auch nach einer viele Jahrhunderte dauernden Entwicklung das Eigentliche des Kyôgen unverändert: nämlich in der menschlichen Psyche sowie in den sich daraus ergebenden Wechselwirkungen das Komische zu suchen und herauszuarbeiten. Kyôgen verleiht diesem herausgearbeiteten Komischen in Gestalt einer klassischen Bühnenkunst Ausdruck. Als größte Schwierigkeit des Kyôgen bezeichnet es Meister Shigeyama auch nach vielen Jahrzehnten der Praxis, den richtigen „Zwischenraum“ zwischen dem Text des Partners und dem eigenen Text zu finden.

Eine Besonderheit der gesellschaftlichen Strukturen innerhalb der klassischen Künste Japans bildet das sogenannte Iemoto- oder Meister-System. Dieses System existiert in so gut wie allen Bereichen der klassischen Künste Japans, z.B. in den Künsten Ikebana, Teezeremonie, traditionelle japanische Musik (Hôgaku), Butô-Tanz, Nô oder eben auch Kyôgen. Der Meister stellt die korrekte Überlieferung der Traditionen seiner Schule sicher, indem er sein Wissen und seine Kunst an eines seiner Kinder oder an einen begabten Schüler übergibt, der dann die Erlaubnis erhält, die Schule mit dem Namen des Meisters weiterzuführen. Zudem erteilt der Meister Schülern die Genehmigung, im Namen seiner Schule eigene Schüler zu unterweisen.

Auch Chûzaburo Shigeyama ist Meister einer bedeutenden Schule des Kyôgen: „Von meinem Urgroßvater über meinen Großvater und Vater wurde die Kunst des Kyôgen-Spiels über Generationen hinweg in der Familie an mich weitergegeben. Mit der Ausbildung habe ich etwa im Alter von zwei Jahren begonnen. Ich bin bereits das vierte Oberhaupt meiner Familie.“ Aufgrund dieser Erfahrungen stand Shigeyama bereits mit vier Jahren erstmals auf der Bühne: „Da ich noch sehr jung war, bin ich zusammen mit meinen Vater aufgetreten und habe ein Lied gesungen.“ Seine Ausbildung erhielt er von klein auf von seinem Vater. Shigeyama erinnert sich: „Gleich nach dem Aufstehen und Waschen stellten sich mein Bruder und ich nebeneinander auf, und wir begannen mit dem ‚Koutai‘, einer Übung zur Stimmbildung. Wenn diese Übung zur Zufriedenheit unseres Vaters beendet war, bestand meine tägliche Aufgabe darin, das Wasser auf dem kleinen Shinto-Schrein und auf dem buddhistischen Hausaltar zu erneuern.“



Auch wenn Kyôgen zu den „klassischen“ Bühnenkünsten Japans zählt, wirkte Shigeyama auch an Aufführungen für Radio und Kino mit. So kann er auch auf Erfahrungen im Bereich des modernen Theaters sowie in der Welt des Films verweisen. Es bestand eine Bekanntschaft mit dem bekannten japanischen Filmregisseur  Kenji Mizoguchi, und von dessen Kameramann Kazuo Miyagawa erhielt Shigeyama eine Ausbildung. Auch in dem Nô-Film „Shishi no za“ (Der Löwenthron) des Regisseurs Daisuke Itô aus dem Jahr 1953 wirkte er mit.

Schließlich gibt Meister Shigeyama noch Antwort auf die Frage, worauf man achten sollte, wenn man zum ersten Mal ein Kyôgen-Stück anschaut, um diese Bühnenkunst wirklich genießen zu können: „Tauchen Sie ganz in die Atmosphäre des Spiels ein. Wenn es lustig ist, lachen Sie einfach. Überlassen Sie sich ganz der Atmosphäre auf der Bühne. Am besten wäre es, wenn der Zuschauer das Gefühl hätte, er stehe dann selbst auf der Bühne. Jemandem, der zum ersten Mal ein Kyôgen-Stück sieht, empfehle ich, bei der Einführung gut zuzuhören, auf die besondere Art und Weise des Sprechens der Texte zu achten, den Bewegungen der Schauspieler zu folgen sowie einmal aus sich herauszugehen und richtig zu lachen.“

 

Chûzaburo Shigeyama
Chuzaburo ShigeyamaVom Minister für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie mit dem Titel „Bewahrer eines bedeutenden immateriellen Kulturguts“ (Lebender Nationalschatz) ausgezeichnet, ist Shigeyama in vierter Generation Meister einer Kyôgen-Schule, die bis in die Edo-Zeit zurückreicht. Geboren 1928 in Kyoto, begann er seine professionelle Karriere als Kyôgen-Schauspieler im Alter von vier Jahren. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und unterrichtet in ganz Japan Schüler in der Kunst des Kyôgen-Spiels.
Über das Ideal seiner Schauspielkunst sagt Shigeyama selbst: „Eine gewichtige und stämmig wirkende Kunst. Eine Kunst, die sozusagen Erdgeruch vermittelt und doch nicht bäurisch wirkt. Eine Kunst, die Gesang und Tanz schult und die auch eine Schönheit der Form schätzt, ohne in realistische Darstellung zu münden.“


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