
Japanische Küche 3:
Wagashi – traditionelle Süßigkeiten aus Japan
Nun, wo Weihnachten immer näher rückt, nimmt auch die Gelegenheit zu, sich an weihnachtlichem Gebäck wie Kekse, Stollen, Dominosteine oder Zimtsterne zu erfreuen. In Deutschland kommt in diesen traditionellen Süßigkeiten auch das besondere Gefühl für die bald beginnende winterliche Jahreszeit zum Ausdruck. Auch die traditionellen japanischen Süßigkeiten (Wagashi) sind eng mit den verschiedenen jahreszeitlichen Ereignissen und Bräuchen verknüpft, und sie bilden einen festen Bestandteil des Alltagslebens und der Kultur in Japan. Als Zutaten für die Wagashi werden Reis- und Weizenmehl, Stärkemehl aus der Wurzel der Kuzupflanze, rote Azuki-Bohnen und Esskastanien, Sojamehl und Sesam sowie auch Kräuter und Blüten der jeweiligen Jahreszeit verwendet. Es besteht eine große Vielfalt nicht nur in Bezug auf den Geschmack, sondern auch hinsichtlich der Formen und Farben, und jede Region, ja jeder Hersteller und jeder einzelne Meister sind stolz auf ihre eigenen Wagashi-Kreationen. Im Rahmen unserer Serie über die japanische Esskultur haben wir bereits Soba und Kushiage vorgestellt. Heute nun präsentieren wir Ihnen sozusagen als Dessert die Wagashi, die als „Blüte der japanischen Esskultur“ gelten.
Wagashi als Kunstwerke aus den Händen der Wagashi-Meister
Die traditionellen handwerklichen Techniken, die die äußere Erscheinung der Wagashi ausmachen, tragen dazu bei, sie als Blüte der japanischen Cuisine zu gestalten. Kleine Werkzeuge wie Bambusspatel usw. werden für diese Techniken als Hilfsmittel genutzt, allerdings ist der Druck der einzelnen Finger das am meisten genutzte und beste „Werkzeug“ für die Herstellung der traditionellen Wagashi. Wagashi sind ein Spiegelbild der unterschiedlichen jahreszeitlichen Landschaften in Miniaturformat. Einer der Vorzüge dieser handwerklichen Techniken besteht darin, dass der Meister seinen eigenen Gefühlen und Ideen freien Lauf lassen kann, während er die einzelnen Wagashi formt und dekoriert. Dies ist auch der Grund für die große Zahl an Variationen hinsichtlich Farbe, Form und Größe, die man finden kann. Der künstlerische Eifer, der in jedes einzelne Werk einfließt, kann durchaus mit einem Gemälde oder einem getöpferten Gegenstand verglichen werden. Aus diesem Grund kann man Wagashi auch als Kunstwerke bezeichnen.
Die Kunst des Genießens von Wagashi
Wagashi gelten als „Kunstwerke für die fünf Sinne“. An das Auge appelliert die fein abgestimmte Farbgestaltung sowie die Form. In ihnen kommt die Jahreszeit zum Ausdruck. So kann jedes einzelne Wagashi wie ein kleines Kunstwerk genossen werden. Den Tastsinn spricht das Gefühl an, wenn man die Wagashi mit einem kleinen Bambusstift schneidet, wenn man sie in die Hand nimmt, wenn sie auf der Zunge vergehen und wenn man sie hinterschluckt. Mit dem Geschmackssinn schmeckt man die unterschiedlichen Zutaten heraus und freut sich, wenn der Wohlgeschmack der Süßigkeit dem gewählten Thema (z.B. die Jahreszeit) entspricht. An den Geruchssinn appelliert der natürliche und feine Duft. Z.B. der feine Hauch von Azuki-Bohnen, Reis, Ingwer, Yuzu-Zitrone sowie von Blüten und Blättern, den man erst wahrnehmen kann, wenn man die Süßigkeit zum Mund führt. Beim Trinken des Tees sollte der Duft der Wagashi den Duft des Tees nicht stören, sich vielmehr still, aber beharrlich behaupten. Das Gehör schließlich fühlt sich angesprochen vom Namen der Süßigkeit. Die Namen wecken Assoziationen an Topoi der klassischen japanischen Literatur, die vier Jahreszeiten, Waka- und Haiku-Gedichte, Ereignisse aus der Geschichte oder bestimmte Landschaften. Beim Hören des Namens tritt umgehend ein Gefühl für die jeweilige Jahreszeit zutage und im Innern entsteht ein bestimmtes Bild, dessen Bedeutung und Nachhall zum Genießen der Wagashi unbedingt dazugehört. In diesem Sinne erfüllen Wagashi das ganze Herz, und sie stellen „kleine Kunstwerke dar, die alle fünf Sinne ansprechen“.
Geschichte der Wagashi
Im Altertum dienten in Japan die Früchte der Natur wie Beeren, Nüsse und Obst als Süßigkeiten. Später entstanden dann die Verarbeitungstechniken für Getreideprodukte, so dass man begann, Klöße und Kuchen wie z.B. Mochi und Dango herzustellen. Aus eingekochten Hortensienranken gewann man dann ein erstes Süßmittel, und es wurden nun auch aus Reis und Kokosnüssen Süßigkeiten hergestellt. Im 7. und 8. Jh. gelangte schließlich auch die Technik der Herstellung chinesischer Süßigkeiten vom asiatischen Festland her nach Japan, wobei man das Mehl knetete und in heißem Öl buk. Etwa zur selben Zeit kam auch der Tee nach Japan, wo sich allmählich der Brauch des Teetrinkens verbreitete. In der Folge entwickelten sich Tee und Wagashi gemeinsam weiter, wobei das eine vom anderen nicht mehr zu trennen war. Insbesondere die Entstehung der Teezeremonie ab dem 14. Jh. trug zu einer sprunghaften Entwicklung der Konditoreitechniken bei. Da innerhalb der Teezeremonie dem Erfreuen und Bewirten der Gäste eine zentrale Rolle zukommt, bemühten sich Meister, die bereits über hohe Fertigkeiten verfügten, immer wieder neue und besonders ausgefallene Wagashi-Kreationen zu schaffen. Auch die im 16. Jh. nach Japan gekommenen Techniken für die Herstellung westlicher Süßigkeiten trugen zur weiteren Entwicklung der japanischen Süßigkeiten bei. Während der Edo-Zeit, in der es seit längerer Zeit erstmals keine größeren Kämpfe gab und die Menschen in den Genuss einer Periode verhältnismäßigen Friedens kamen, entwickelte sich schließlich die städtische Kultur. In einigen Regionen Japans wie Kyoto und Matsue, Kanazawa und Edo (Tokyo) erfuhr die Technik der Herstellung von Wagashi einen rasanten Fortschritt, wobei sich die einzelnen Regionen gegenseitig anspornten. Nach der Meiji-Restauration erfuhren die Wagashi gegen Ende des 19. Jh. erneut großen Einfluss durch westliche Süßigkeiten. Nichtsdestotrotz gelang es, die eigenständige Kultur und Tradition Japans in diesem Bereich zu wahren und die Wagashi zu der heute bestehenden großen Vielfalt weiterzuentwickeln. Betrachtet man diesen Prozess einmal genauer, so erkennt man, dass die Menschen in Japan zunächst neue Techniken aus dem Ausland aufnahmen und sich diese aneigneten, um sie schließlich so umzuformen, dass daraus neue eigenständige Techniken entstanden.
Somit sind die traditionellen Wagashi ein ausgezeichnetes Beispiel für die besondere Empfindsamkeit der japanischen Kultur, in denen zugleich der große Reiz dieser Kultur zum Ausdruck kommt. Auf diese Weise beweist die Welt der Wagashi eine erstaunliche Tiefe.
(Für diesen Beitrag dienten verschiedene Angaben der Japan Wagashi Association als Vorlage.)