
Traditionelles Theater in Manga
- Japans klassisches Theater als Comic
Die traditionelle Bühnenkunst Japans wie Kabuki oder Noh, die von der UNESCO als „immaterielles Kulturerbe“ anerkannt ist, steht in letzter Zeit im Zentrum eines Booms, der sich durch eine Flut von sehr erfolgreichen Manga bemerkbar macht, die in der Welt des klassischen Theaters spielen.
Junge Japaner neigen ein wenig dazu, Kabuki oder Noh für mehr oder weniger unverständlich und unzugänglich zu halten. Versuche, jungen Leuten mit Hilfe von Manga einen Zugang zu diesen Formen der traditionellen Bühnenkunst zu vermitteln, sind nicht neu – aber die Comics, die im Mittelpunkt des derzeitigen Booms stehen, unterscheiden sich von ihren Vorgängern doch ganz erheblich. In den jüngsten Manga dieser Art finden sich die Leser mitten in einer Geschichte voller Abenteuer mit jungen Protagonisten wieder, die im selben Alter sind wie sie und auch über den gleichen Hintergrund verfügen. Auf diese Weise lernen sie die Welt des traditionellen Theaters quasi im Vorbeigehen kennen. Diesen Manga gelingt es erfolgreich, die klassischen Künste sehr anschaulich zum Leben zu erwecken und sie durch die Augen junger Menschen zu präsentieren, die mit den Traditionen vollkommen vertraut sind und welche die kontinuierliche Bedeutung von Kabuki und Noh als lebendige Formen der Kunst hervorheben.
Die Welt der Traditionen umkrempeln
Kabuki entstand als Kunstform für die Massen in den ersten Jahren der Edo-Zeit (1603-1868). Der Ursprung des Wortes stammt von dem Verb kabuku, mit dem ein Verhalten bezeichnet wird, das mit Blick auf die Normen der Mehrheit der Gesellschaft als ausgefallen und unerhört gilt. Kabukumon (Der Abweichler), in der Originalfassung von David Miyahara und in der Manga-Fassung von Akio Tanaka, erzählt die Geschichte von Shinkuro Ichisaka, einem jungen Mann, dem es gefällt, andere zu schockieren und der einen Frontalangriff auf die altehrwürdige und etwas verstaubte Welt des Kabuki unternimmt.
Zu Beginn des Manga engagiert sich Shinkuro beharrlich in Straßen-Kabuki. Er steht dem heutigen Kabuki, wie es von den alteingesessenen Theatern mit ihren stolzen Traditionen und ihrem Prestige aufgeführt wird, extrem kritisch gegenüber. Kabuki war ursprünglich eine Kunst für die Massen, und laut Shinkuro sollte dies auch heute noch so sein. Er erschüttert die traditionelle Welt des Kabuki in ihren Grundfesten und begeistert das Publikum mit seiner mutigen und neuen Form dieses Theaters. Mit dem Publikum auf seiner Seite wird Shinkuro immer ambitionierter und radikaler. Seine Aufführungen sind aber auch mehr als reine Provokation: Vielmehr sind sie erfüllt von derselben einfachen Kraft, die das ursprüngliche Kabuki in seinen Anfängen so attraktiv machte.
Das Kabuki-Theater ist eine abgeschlossene Welt des Erbes und der Traditionen, die seit der Edo-Zeit oft von denselben Familien sowie Lehrer-Schüler-Beziehungen dominiert wird. Als Emporkömmling ohne den richtigen familiären Hintergrund schockiert Shinkuro die Nachfahren dieser alteingesessenen Familien und ihre Stars, indem er sich ihnen gegenüber als gleichwertig betrachtet und einen frischen Wind in diese Welt der respektablen Traditionen bringt. Die Stücke, die im Verlauf der abenteuerlichen Geschichte aufgeführt werden, werden bis ins Detail ausführlich beschrieben; auf diese Weise wird der Leser unwiderstehlich in die Welt der klassischen Künste hineingezogen.

Kunisaki Izumo no Jijo (Die Gegebenheiten von Izumo Kunisaki) von der Zeichnerin Aya Hirakawa) ist eine Liebeskomödie. Die Hauptperson ist Izumo Kunisaki, ein hübscher junger Mann, der in eine Familie von Kabuki-Schauspielern hineingeboren wurde. Im Kabuki werden alle Frauenrollen von männlichen Schauspielern übernommen, den onnagata. Die Geschichte handelt von Izumos Abenteuern, während er die ersten Schritte auf dem Weg zu einer glänzenden Karriere als onnagata unternimmt. Auch diese Geschichte behandelt viele der bekanntesten Stücke der Kabuki-Tradition, und der Leser wird hier ebenfalls unaufhaltsam in die faszinierende Welt dieser klassischen Theaterform hineingezogen.
Nichts geht über das Noh-Theater
Das Noh-Theater ist ein Maskenschauspiel, das während der Muromachi-Zeit (1333-1568) zu voller Reife gelangte. Es erfreute sich insbesondere unter den Angehörigen der Samurai-Elite großer Beliebtheit. Für die heutigen Japaner ist diese Form des Theaters sogar noch unzugänglicher als Kabuki, und normalerweise muss man sich lange mit dieser Kunstform beschäftigen, um einen wirklichen Einblick in die Welt dieses Theaters zu erhalten. Hana yori mo hana no gotoku (Mehr blumenhaft als eine Blume) von Minako Narita geht allerdings einen völlig anderen Weg. Ohne jegliches Fachwissen betritt der Leser mit den Augen eines jungen Schauspielers, der als Protagonist der Geschichte fungiert, unvoreingenommen die Welt des Noh. In der Art eines shojo manga für Mädchen konzentriert sich die Geschichte ganz unspektakulär auf die Beziehungen innerhalb der Familie und die romantischen Wirrungen des jungen Helden, während er sich anschickt, ein richtiger Noh-Schauspieler zu werden. Aber die Sorgfalt, mit der die Kostüme der Schauspieler und ihre Bewegungen auf der Bühne wiedergegeben werden, macht zweifelsohne deutlich, dass sich die Autorin mit großem Fleiß mit der Welt des Noh beschäftigt hat, bevor sie ihre Geschichte schrieb. Dieses Manga gibt die Welt des Noh so getreulich wieder, dass selbst Fachleute beeindruckt sind.


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