
Vortrag von Außenminister Seiji Maehara
Vortrag vor dem Foreign Correspondents' Club of Japan am 05.10.2010

1. Außenwirtschaftspolitik
Mit Blick auf meine Ernennung zum Außenminister durch Premierminister Kan möchte Ihnen zunächst darlegen, mit welchen Überlegungen ich die Außenpolitik in Angriff zu nehmen gedenke. Selbstverständlich werde ich dabei die Themen, an denen Sie besonders interessiert sind, nicht auslassen (lacht). Das Wichtigste ist, dass bei der Außenpolitik nach dem Potential eines Landes gefragt wird. Ich bin der Auffassung, dass eine Außenpolitik, welche die eigenen Fähigkeiten übersteigt, grundsätzlich nicht möglich ist.
Man spricht mit Blick auf Japan von zwei verlorenen Jahrzehnten. Angesichts der Beschränkungen, denen mein Land unterworfen ist – seit 2004 verzeichnet Japan einen Bevölkerungsrückgang und es hat die höchste Staatsverschuldung unter den Industrienationen – ist die Antwort auf die Frage, was Japan jetzt tun muss, denkbar einfach: nämlich schlicht und ergreifend das Wirtschaftswachstum fördern. Natürlich sind auch Themen wie Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung, Klimawandel, ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder Entwicklungshilfe alles wichtige Bereiche, allerdings müssen wir unter dem Aspekt, dass, wenn wir das Potential Japans nicht steigern, eine richtige Außenpolitik nicht möglich ist, die Priorität darauf legen, wie wir die japanische Wirtschaft voranbringen können. Und ich denke, dass es unsere wichtigste Aufgabe ist zu überlegen, was wir im Bereich der Außenpolitik für dieses Ziel tun können.
Ich kündige hier an, dass ich persönlich die Außenwirtschaftspolitik als Grundlage der Außenpolitik meines Landes voranbringen werde. Diese Außenwirtschaftspolitik ruht auf drei wichtigen Pfeilern: Erstens das Engagement zur Gestaltung eines noch freieren Handelssystems, zweitens eine Diversifizierung mit Blick auf die Rohstoffe und Nahrungsmittel, um die diesbezüglichen Risiken zu minimieren, und drittens schließlich der weltweite Export der hochwertigen Technologien Made in Japan bzw. der entsprechenden Infrastruktur.
Wenn man Südkorea, eines unserer wichtigsten Nachbarländer, mit Japan vergleicht, so besteht beim Engagement für den freien Handel ein erheblicher Unterschied. Während im Falle Japans gerade einmal 16,5% seines Außenhandelsvolumens durch Freihandelsabkommen (FTA) oder Economic Partnership Agreements (EPA) abgedeckt sind, beläuft sich der entsprechende Anteil bei Südkorea auf 36%. Japan steht derzeit vor einer ganzen Reihe wirtschaftlicher Schwierigkeiten, und wenn man einmal die Unterschiede zu Südkorea anführt, dann beläuft sich die Körperschaftssteuer dort auf 20-22%, während sie in Japan 40% beträgt. Hinzu kommt ein niedriger Won- und ein hoher Yen-Kurs, und – wie gerade bereits angeführt – eine doppelt so hohe Quote, was die Abdeckung durch FTA/EPA anbelangt, wie in Japan. Wenn man dies bedenkt, dann wird klar, dass die japanischen Produkte gegenüber den Produkten Südkoreas im Ausland nicht wettbewerbsfähig sind. Ich denke, es war das Unvermögen unserer bisherigen Politik, das zu dieser Situation geführt hat.
Ich möchte die bilateralen Verhandlungen über FTA/EPA vorantreiben und zusammenfassen. Gleichzeitig bildet, da Japan derzeit auch den Vorsitz der APEC innehat, die konkrete Gestaltung der von Premierminister Kan in seiner Regierungserklärung vorgeschlagenen Trans-Pacific Partnership einen wichtigen Prüfstein für uns.
Mit Blick auf die Rohstoffe, Nahrungsmittel und den Export von Infrastruktur ist es wichtig, dass das Außenministerium durch seine diplomatischen Vertretungen im Ausland genaue Informationen darüber sammelt, welcher Bedarf weltweit besteht bzw. welche Länder in Bezug auf Rohstoffe und Nahrungsmittel welche Besonderheiten haben oder wer über welche Rohstoffe verfügt. Es ist wichtig, dass mein Ministerium dabei mit den anderen Ministerien und Behörden zusammenwirkt und strategische Zielvorgaben erstellt. Um eine Außenpolitik mit Blick auf Rohstoffe und Nahrungsmittel umzusetzen, habe ich eine Neuorganisation des Außenministeriums angeordnet; derzeit laufen die Vorbereitungen, damit ein neues einheitliches Gremium die Präsenz im Ausland, den Export der Infrastruktur und die Außenpolitik mit Blick auf Rohstoffe und Nahrungsmittel umsetzt.
2. Japanisch-amerikanische Beziehungen
Ebenfalls notwendig es, das strategische Umfeld, in dem Japan sich befindet, zu stabilisieren sowie über die Fähigkeiten zu verfügen, um auf eine Krise reagieren zu können. In diesem Sinne stellt die Vertiefung der japanisch-amerikanischen Bündnisbeziehungen eine außerordentlich wichtige Aufgabe dar.
In den vergangenen zwölf Monaten gab es bezüglich der Verlegung des US-Flugplatzes Futenma auf Okinawa innerhalb der Regierung eine Reihe von Fehleinschätzungen. Wir werden jedoch die gewissenhafte Umsetzung der Übereinkunft vom 28. Mai zwischen Japan und den Vereinigten Staaten fest im Blick behalten. Auf der anderen Seite konzentrieren sich, seit Okinawa von den USA an Japan zurückgegeben wurde, rund 75% der Einrichtungen der US-Streitkräfte in Japan auf Okinawa, das gerade einmal 0,6% der Fläche Japans ausmacht, so dass wir uns hierfür bei den Menschen dort entschuldigen müssen. Im letzten Wahlkampf haben wir gesagt, dass wir für den oben genannten Flugplatz mindestens einen neuen Standort außerhalb der Präfektur und wenn möglich sogar außerhalb Japans finden wollen. Nun wurde als neuer Standort Henoko bei Nago ausgewählt. Auch hierfür möchte ich mich bei den Menschen in der Präfektur Okinawa entschuldigen, und ich halte es für meine wichtige Aufgabe, die entsprechenden Verhandlungen geduldig und beharrlich weiterzuführen, um das Verständnis der Menschen zu erlangen.
Beim japanisch-amerikanischen Außenministertreffen in New York sowie beim Gipfeltreffen zwischen Premierminister Kan und US-Präsident Obama sind beide Seiten übereingekommen, die japanisch-amerikanischen Beziehungen weiter zu vertiefen. Wir müssen auch die Entwicklungen in Bezug auf eine mögliche Machtübergabe in Nordkorea sorgfältig beobachten. Und um auf die Veränderungen im strategischen Umfeld der Region Ostasien einschließlich der zunehmenden Präsenz Chinas zu reagieren, müssen wir unser Bündnis neu überprüfen und unsere Beziehungen entschlossen ausbauen.
Bei meiner Unterredung mit US-Außenministerin Clinton habe ich die Formulierung gewählt, dass das Konzept der ostasiatischen Gemeinschaft die USA nicht ausschließe. Premierminister Kan hingegen wählte die Formulierung, die ostasiatische Gemeinschaft schließe auch die USA mit ein. Ob nun konkret Japan und die Vereinigten Staaten übereinkommen, Konsultationen über ein freieres Handelssystem zwischen beiden Ländern aufzunehmen, oder ob sie darüber beraten, zunächst in einen multilateralen Rahmen wie die gerade genannte Trans-Pacific Partnership einzutreten – meiner Auffassung nach kommt, auch damit Japan und die USA ein noch freieres Handelssystem gestalten, der Vertiefung der beiderseitigen Bündnisbeziehungen eine große Bedeutung zu.
Von ganz entscheidender Bedeutung für die Sicherheit Japans ist zudem nicht nur, dass Japan und die USA eine Kooperation mit Blick auf Ostasien gestalten, sondern auch, dass beide übereingekommen sind, ihre Zusammenarbeit auch mit Blick auf andere Regionen wie Pakistan, Afghanistan oder Iran weiter zu vertiefen. Während Japan nicht nur mit den Vereinigten Staaten, sondern auch mit anderen Ländern, die unsere Werte teilen, die Kooperation ausbauen wird, strebt die Regierung Kan eine stabile Grundlage dafür an, damit Japan in bewährter Weise seine Außenpolitik entlang der Achse des japanisch-amerikanischen Bündnisses weiter vorantreibt.
3. Japanisch-chinesische Beziehungen
Schließlich möchte ich auch noch auf die japanisch-chinesischen Beziehungen zu sprechen kommen. Ich möchte Ihnen ein wenig den historischen Hintergrund in Bezug auf den jüngsten Zwischenfall bei den Senkaku-Inseln erläutern.
Um 1885 herum wurde festgestellt, dass es keine Spuren für eine Beherrschung der Senkaku-Inseln durch einen anderen Staat gibt. Nachdem man rund zehn Jahre lang weitere Untersuchungen vorgenommen hatte, wurden die Senkaku-Inseln am 14. Januar 1895 per Kabinettsbeschluss japanisches Territorium. Nach seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg hat mein Land den Vertrag von San Fransisco unterzeichnet. Art. 2 dieses Vertrages bestimmt, dass Japan auf Taiwan und die Pescadoren-Inseln verzichtet. Art. 3 enthält Bestimmungen zu Okinawa, und laut diesem Artikel wurde Okinawa unter amerikanische Kontrolle gestellt, wozu auch die Senkaku-Inseln gehören. Als 1972 Okinawa an Japan zurückgegeben wurde, kehrte auch diese Inselgruppe zu Japan zurück.
China oder Taiwan haben bis zu diesem Zeitpunkt niemals behauptet, dass die Senkaku-Inseln zu ihrem Territorium gehören. Vielmehr hieß es in einem Zeitungsartikel der Renmin Ribao aus dem Jahr 1953 „Ryukyu und die Senkaku-Inseln“. Letztere wurden nicht als zu „China gehörend“ bezeichnet. Und in einer 1960 herausgegebenen Karte Chinas gehören die Senkaku-Inseln ebenfalls nicht zu China. Dabei handelt es sich übrigens um eine von China erstellte Karte.
Seit vermutet wird, dass unter dem Boden dieser Meeresregion Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas vorhanden sein könnten, behauptet China, dass diese Inseln sein Territorium sind. 1971 behauptete die chinesische Regierung erstmals offiziell, dass die Senkaku-Inseln zu China gehören.
Der jüngste Zwischenfall ereignete sich zu einer Zeit, als ich als Minister für Land, Infrastruktur und Verkehr tätig war, der auch die japanische Küstenwache befehligt. Der jetzige Zwischenfall unterscheidet sich von früheren Vorkommnissen durch seine außerordentliche Schwere.
Die Gewässer um die Senkaku-Inseln sind auch reich an Fischvorkommen, so dass relativ häufig auch Fischerboote aus China und Taiwan hier fischen. Ich selbst habe bis jetzt drei Mal in einem Patrouillenflugzeug der Küstenwache die Senkaku-Inseln von der Luft aus besichtigt. Tatsächlich ist es fast alltägliche Routine, dass Fischerboote aus China oder Taiwan in japanische Gewässer einzudringen versuchen und von Patrouillenbooten unserer Küstenwache abgedrängt werden müssen. Bei Bedarf werden diese Fischerboote auch inspiziert; in diesem Jahr wurden solche Inspektionen bereits über zehn Mal durchgeführt.
Bei dem jüngsten Zwischenfall aber hat ein Fischerboot Patrouillenboote der Küstenwache absichtlich gerammt, so dass es sich um einen schweren Fall handelt, der zu einer Verhaftung des Kapitäns führte. Wie bereits gesagt sind die Senkaku-Inseln japanisches Territorium, und die Inseln wurden bislang noch nie von einem anderen Staat beherrscht. Es gibt daher kein Territorialproblem im Ostchinesischen Meer. Mit Blick auf die Zukunft ist es meiner Ansicht nach notwendig, dass Japan und China ihre Weisheit zusammenführen und eine Vereinbarung treffen, damit eine Wiederholung solcher Zwischenfälle vermieden werden kann. Wir haben die Tür nicht geschlossen, und sie steht für Verhandlungen immer offen.
Beim jüngsten Asien-Europa-Gipfel (ASEM) haben Premierminister Kan und Ministerpräsident Wen Jiabao etwa 25 Minuten lang miteinander gesprochen. Ich bin sehr zufrieden darüber, dass Premierminister Kan bei dieser Zusammenkunft die Position Japans in Bezug auf die Senkaku-Inseln deutlich gemacht und dazu aufgerufen hat, hochrangige Konsultationen für strategische Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen durchzuführen. Ministerpräsident Wen soll sich in der gleichen Art und Weise geäußert haben. Bislang fanden auf verschiedenen diplomatischen Kanälen Gespräche statt, aber ich werde mich nach der Rückkehr des Premierministers nach Japan über den konkreten Inhalt dieser Unterredung informieren und mich als Außenminister auch für die Neugestaltung strategischer Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen zwischen beiden Ländern einsetzen.
Vielen Dank.
(Der anschließende Frage und Antwortteil wurde gekürzt.)