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Neues aus Japan Nr.81 August 2011

Aus Japan für Japan

- Volunteer-Bericht des JET-Teilnehmers Sascha Klinger aus der Präfektur Miyazaki

 

Ich erinnere mich noch sehr genau an den 11. März 2011. Es war nachmittags, wir waren gerade mit den Vorbereitungen eines Festivals der Internationalen Gesellschaft Miyazaki City beschäftigt, als eine meiner Kolleginnen plötzlich nervös auf ihr Handy starrte. Sie winkte mich heran, und auf dem Display lief ein Nachrichtenvideo. Ich sah eine schwarze Lawine, die Autos und Häuser verschlang, und meine Kollegin redete etwas von Erdbeben, Tsunami. Das Ausmaß der Katastrophe wurde erst in den nächsten Tagen klar, als dann auch noch die Havarie in Fukushima hinzukam. Ich war zutiefst erschüttert, und wollte etwas für die Menschen in Tôhoku tun. An dieser Stelle werde ich etwas über meine Aktivitäten zur Katastrophenhilfe berichten. Dieser Text orientiert sich hauptsächlich an Artikeln aus meinem Blog, in dem weitere Details zu meinen Aktivitäten in Japan zu finden sind.

 

Hilfe aus der Ferne

Miyazaki, wo ich als Teilnehmer des JET-Programms am Rathaus arbeite, ist über 1800 Autobahnkilometer, ca. 30 Fahrtstunden, von Tôhoku (die Region, in der das Katastrophengebiet liegt) entfernt, und trotzdem mittendrin. Dies wurde unter anderem klar, als es für einige Tage kein Wasser mehr zu kaufen gab und sich die Benzinpreise schlagartig erhöhten.
In den ersten Wochen benötigten die Katastrophenopfer vor allem Lebensmittel und Hygieneartikel. Meine Familie in Deutschland hatte Spendengelder gesammelt, wovon ich im Supermarkt Hilfsgüter kaufte und dann nach Tôhoku sendete.


Anfang April organisierte ich dann mit einigen Freunden eine erste Benefiz-Veranstaltung. Dort begegnete ich dem Bau-Unternehmer Herrn Satô, der schon einmal im Katastrophengebiet war. Bei der Katastrophe waren Angehörige von einem seiner Angestellten ums Leben gekommen, was ihn dazu bewegt hatte, zu helfen. Er entschloss sich, mit dem Firmen-Lastwagen Hilfsgüter zu transportieren, und fragte im Katastrophengebiet nach, was gebraucht wird. Ihm wurde gesagt, dass es nichts gibt, um die Toten zu bedecken, es würden dringendst Tücher und Decken benötigt.
Tief bewegt von seinen Eindrücken aus Tôhoku hatte er beschlossen, nachhaltig Hilfe zu leisten, und bei seiner nächsten und übernächsten Fahrt war ich mit dabei.

 

Mein erster Volunteer-Einsatz: Schlamm Schaufeln (4.-10. Mai)

Gemeinsam mit Herrn Satô und einigen anderen Leuten aus Miyazaki fuhren wir in die Stadt Ishinomaki (Präfektur Miyagi), wo wir Kontakt zu einem Volunteer-Zentrum hatten. Dieses war in der Minato Grundschule, welche gleichzeitig als Notunterkunft genutzt wird.

 

 

Direkt nach der Katastrophe bot die Minato Grundschule 1200 Menschen Unterkunft, zum Zeitpunkt meines Aufenthalts waren es noch ca. 200, hauptsächlich ältere Menschen. Das Besondere an der Minato Grundschule war, dass sie gleichzeitig als Notunterkunft und als Volunteer-Zentrum genutzt wurde. Das war relativ selten, und bot uns Helfern die Möglichkeit, direkt mit den Katastrophenopfern in Kontakt zu kommen. In jedem Klassenzimmer lebten um die 25 Leute, die meistens aus einer Nachbarschaft kamen. Obwohl alle schlimme Erfahrungen gemacht haben, war die Atmosphäre freundlich und die Stimmung positiv.

 


Die Bewohner der umliegenden Häuser registrierten sich im Volunteer-Zentrum, und gaben an, welche Arbeit zu verrichten ist. Diese Aufträge wurden dann der Reihenfolge nach von den Volunteers abgearbeitet. Jeden Morgen versammelten wir uns auf dem Schulhof und wurden von den Einheimischen abgeholt, zu deren Haus wir dann gingen, um zu arbeiten. Die Arbeitseinsätze waren von Tag zu Tag unterschiedlich. Meistens schaufelten wir Schlamm aus Gärten, Häusern und Wasserrinnen, und einmal räumten wir Möbel aus einem verwüsteten Haus. Die Leute, die wir trafen, trugen ihr Schicksal mit Fassung. „Es war eine Naturkatastrophe. Es gibt niemanden, auf den man böse sein könnte“, sagte jemand.

 


Musik war ein wichtiger Bestandteil unseres Aufenthalts. Mein Kumpel John hatte seine Klampfe dabei, und die bearbeitete er bei jeder Gelegenheit, was nicht nur den Bewohnern der Notunterkunft, sondern auch den anderen Freiwilligen viel Freude bereitete.
Das tägliche Schlammschaufeln war eine Schinderei. Aber selbst, wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, so habe ich doch das Gefühl, dass ich ein wenig helfen konnte.

 

Volunteer Einsatz Nr. 2: Grillen im Trümmerfeld (22.-29. Mai)

Mein zweiter Aufenthalt zwei Wochen später sah völlig anders aus. Miyazakis Agrarindustrie hatte durch die Ausbrüche von Maul- und Klauenseuche und eines Vulkans schwere Schläge erlitten, und unser Plan war es, „Hilfe für zwei Katastrophengebiete“ zu leisten, also gleichzeitig Miyazakis Wirtschaft und die Katastrophenregion zu unterstützen. Deshalb hatten wir beschlossen, für die Menschen in Tôhoku Fleisch und Gemüse aus Miyazaki zu grillen.
Wir veranstalteten insgesamt 6 Grillpartys mit zwischen 20 und 60 Teilnehmern, jedes Mal an einem anderen Ort. Meistens in Notunterkünften, einmal im Haus eines Club-Besitzers, einmal in einem Schrein, der als Volunteer-Zentrum dient.

 


Bei unserem Projekt kam es weniger darauf an, die Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern vielmehr durch hochwertiges Grillgut in entspannter Atmosphäre ein besonderes kulinarisches Erlebnis zu ermöglichen und ihnen damit ein wenig Freude in ihrer zerstörten Welt zu schenken. „Hier gibt es jeden Tag nur Reisbällchen, Brot und Fertigsuppen. Seit dem Erdbeben habe ich das erste Mal wieder Fleisch gegessen“, und ähnliche Kommentare zeigten uns, dass unser Vorhaben erfolgreich war, und wir vielen Leuten neue Kraft und positive Energie geben konnten.
Nach einer solchen Grillparty zeigte uns einer der Bewohner, wo sein Haus gestanden hatte. Es war gerade noch der Grundriss zu erkennen. „Hier war der Eingang, hier die Treppe zum zweiten Stock“. Als er das sagt, zeigt er ins Leere.

 


Durch meine beiden Aufenthalte konnte ich das Ausmaß der Katastrophe mit meinen eigenen Augen sehen, und mir wurde bewusst, dass viele Menschen im Katastrophengebiet noch über Monate und Jahre hinweg Hilfe brauchen werden, nicht nur in materieller, sondern besonders auch in psychischer Hinsicht. Inzwischen liegt der 11. März schon einige Monate zurück, und langsam scheint die Not der Menschen in Tôhoku aus der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit zu verschwinden. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen, dass auch jetzt noch und auch von Deutschland aus jede Hilfe willkommen ist. Ich selbst werde auch weiterhin von Miyazaki aus aktiv sein. Wer Kontakte ins Katastrophengebiet (Ishinomaki) sucht, kann sich gern bei mir melden: sascha.klinger[at]googlemail.com.

 

 


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