
Filme aus Japan
Like Someone in Love
(Frankreich/Japan, 2012, 108 Minuten)

Als der irische Dramatiker und Schriftsteller Brendan Behan zu Lebzeiten von einem Journalisten befragt wurde, was denn die Botschaft seiner Stücke sei, antwortete er der Überlieferung nach: “What do you think I am, a feckin’ telegraph pole?” Gern übersetzt mit: „Wofür halten Sie mich? Für einen Postboten?“ Altmeister Abbas Kiarostami sieht das vermutlich ähnlich. Er bietet uns in seinen Filmen keine Erklärungen der uns umgebenden Welt. Er erklärt nicht, er beobachtet. Das ist gut zu wissen, so man einen seiner Filme besucht, sonst wird man um eine gewisse Ratlosigkeit nicht herumkommen.
Kiarostami ist einer der renommiertesten iranischen Regisseure. Mit über vierzig Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen hat sich der 72jährige Künstler, der Kurosawa und Ozu zu seinen Vorbildern zählt, einen Namen als Poet des modernen Kinos gemacht. „Like Someone in Love“, das im März in unsere Kinos kam, ist erst sein zweiter Film, der außerhalb des Iran spielt. Und zwar in Tôkyô.
Die Soziologiestudentin Akiko (Rin Takahashi) verdingt sich des Nachts als Callgirl. Wir lernen sie in einer schummrigen Bar kennen – vorerst ohne sie zu sehen, wir hören sie nur am Telefon sprechen, offenbar in dem müßigen Versuch, ihren eifersüchtigen Freund (Ryo Kase) zu besänftigen. Sie wirkt erschöpft und seltsam teilnahmslos, als sie in ein Taxi gesetzt und somit auf den Weg zu ihrem nächsten Freier gebracht wird, dem pensionierten Professor Watanabe (Tadashi Okuno). Der wohlsituierte gebildete ältere Herr, der sie vermutlich mehr aus Einsamkeit denn aus erotischer Abenteuerlust geordert hat, scheint nur mäßig enttäuscht, dass sie seine Suppe und seinen Wein verschmähend nach kurzer Zeit in seinem Bett einschläft. Er wird sie am nächsten Morgen in die Universität fahren und für die kurze Zeit, die wir den beiden zusehen dürfen, eine großväterliche Beschützerrolle übernehmen.
Vieles bei Kiarostami besteht aus Andeutungen und Unschärfen; Wolfram Schüttle nannte es im Flyer zum Film „Kiarostamis Ästhetik der Uneigentlichkeit“. Er zeigt sich selbst entfremdete Protagonisten, die sich in Handlungen spiegeln, die man als Zuschauer mit mildem Staunen verfolgt. Wenn Akiko sich im Taxi mehrmals um einen Platz fahren lässt, auf dem ihre eigens aus dem Heimatdorf angereiste Großmutter traurig und müde auf sie wartet, ohne letztendlich auszusteigen, dann ist das in seiner Resignation wunderschön und schmerzlich anzusehen. Sowieso scheint Kiarostami der Meister der Darstellung des Autos im Film – das wandernde Neonlicht der Straßenlaternen über die im Taxi schlafende Akiko hat eine geradezu kontemplative Wirkung. Ehe ein falscher Eindruck aufkommt – es wird viel gesprochen in diesem Film. Viele Fragen werden gestellt, wenige Antworten gegeben. Aber das war offenbar auch nicht das Anliegen.
Fazit:
Panorama menschlicher Irrungen und Wirrungen im Tôkyô unserer Tage. Minimalistisch entschleunigtes Kammerspiel um Liebe, Lügen und Vertrauen. Und wenn der Film doch eine Botschaft hat, dann die, dass man nicht alles wissen wollen sollte.
*J.G. (Diese Rezension stellt eine individuelle Meinung dar und vertritt nicht die offizielle Haltung der Botschaft von Japan)