Botschaft von Japan

Kultur

Das Vermächtnis der Farben Japans

Autorin: KITAMURA Hitomi (Kuratorin, National Crafts Museum)

Die Bezeichnungen der traditionellen Farben Japans beinhalten oft Bezüge zu kunsthandwerklichen Gegenständen oder verweisen auf eine tiefe Verbindung zu ihrer Herstellung. Diese geistreichen Namen offenbaren einen besonderen Scharfsinn und eine große Achtsamkeit, die die Menschen in Japan gegenüber den Farben in ihrem Umfeld besitzen. In unserer modernen Gesellschaft, in der wir zunehmend von anorganischen identischen Dingen wie z.B. Fernsehern, Computern oder Mobiltelefonen umgeben sind, erlangen die feinen Texturen und tiefen Farbtöne von Produkten traditioneller Handwerkskunst, die im Laufe unserer Geschichte kultiviert wurden, in den letzten Jahren eine zunehmend stärkere Präsenz in unserem Alltagsleben. Dieser Beitrag richtet den Fokus auf die besondere Sensibilität der Menschen in Japan in Bezug auf Farben, die durch Gegenstände der Handwerkskunst – über Generationen bewahrte Schätze – vermittelt wird.

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Schwarz und Rot: Die klassischen Farben japanischer Lackkunst

Wenn man die einzigartigen Farben der japanischen Lackkunst beschreibt, kommen einem sofort Schwarz und Rot in den Sinn. Die ersten Lackwaren, die nach Japan gelangten, hatten die Farbe Rot – dies war vor rund 9.000 Jahren während der frühen Jomon-Zeit (vor ca. 7.000 bis 12.000 Jahren). Rot war die Farbe des Feuers, des Blutes sowie der Sonne und galt daher als heilig. In der Jomon-Zeit erhielten Kämme und Gefäße aufgrund magischen Denkens mehrere Schichten von rotem urushi (Japanischer Lack, der aus einem aus Pflanzensaft gewonnenen natürlichen Harz besteht). In der späteren Yayoi-Zeit (100-300 n. Chr.) wurde vorwiegend schwarzer urushi verwendet, wahrscheinlich weil die vom magischen Denken geprägten Vorstellungen der Jomon-Zeit bereits verblasst waren und die Menschen nun größere Bedeutung auf die Formen und Funktionen der Gefäße legten.

Es gibt zwei Gruppen von rotem urushi, die sich durch den Ursprung der Farbpigmente unterscheiden. Eine Gruppe ist Zinnober, das rote Pigmente zusammen mit Quecksilbersulfid als Hauptbestandteil verwendet. Die andere Gruppe ist Bengala, ein bräunliches Rotpigment, das durch Erhitzen von eisenoxidhaltigem rotem Ton gewonnen wird. Bengala-Pigment wird nicht allein für japanische Lackwaren, sondern auf für die Bemalung von Keramiken und Gebäuden genutzt.

Schwarzer urushi wird gewonnen, indem man Eisenpulver und Ruß hinzufügt; letzterer besteht aus feinem Kohlenstaub und entsteht durch unvollständiges Verbrennen von Pinienharz, Ölen, Fetten usw. Mumyoi-Lackwaren, die auf der Insel Sado in der Präfektur Niigata hergestellt werden, sind Keramiken, für die ein vor Ort gewonnener eisenhaltiger roter Ton verwendet wird. ITO Sekisui V., ein zeitgenössischer Meister der Töpferkunst, verwendet Ton von lebhafter roter Farbe sowie gelblichen Ton aus Sado, um Werke mit feinen Farbabstufungen zu kreieren, die an Textilien erinnern. Die kraftvolle Vitalität, die die Menschen im Altertum wahrscheinlich in der Farbe Rot spüren konnten, scheint dabei ganz tief in den prachtvollen Mustern zu pulsieren.

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Bild: TSUISHU Yozei XX.: Niedriger Tisch mit aus sechs Blütenblättern bestehendem Blumenmuster, 1915, National Crafts Museum. Bei diesem Werk wurden das einzigartige Rot und Schwarz des urushi in großartiger Weise kombiniert. Während er einerseits die traditionelle Technik des Schnitzens von Mustern in urushi, der in mehreren Schichten aufgetragen wird, nutzte, fügte Tsuishu seinen Werken zudem ein modernes Verständnis von Form hinzu.

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Bild: ITO Sekisui V.: Mumyoi Neriage-Platte mit Blütenmuster, 2015, Privatsammlung.

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Bild: Roter Ton aus Sado, der in der Nähe des Gold- und Silberbergwerks Aikawa gewonnen wird.

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Blau: Zu sehen in der Töpfer-, Färbe- und Webkunst

Die Farben der Glasur auf Töpferwaren unterscheiden sich vor und nach dem Brennen ganz erheblich. Die Glasur wird gewonnen, indem man Ton in Wasser löst und anschließend mit Asche von Holz und Stroh oder metallischen Elementen zur Färbung mischt. Aus diesem Grund ist die flüssige Glasur vor dem Brennen grau und trüb. Nachdem sie aber auf das Gefäß aufgetragen und im Töpferofen gebrannt wurde, zeigt sie in bemerkenswerter Weise Farbtöne wie z.B. in ein klares Blau, Jadegrün oder sogar ein blasses Rosa. Die Töpfer führen viele Male Brennversuche im Ofen durch, um so kleinste Veränderungen in den Farbtönen zu erreichen.

Eine Sorte von Keramik, die viele Töpfer fasziniert, ist Seladon. Das Eisen (Eisenoxid) in der Glasur reagiert mit dem Feuer und nimmt eine Farbe an, die von einem leuchtenden Hellblau bis zu Grünblau reicht. Seladon von einem kristallklaren Blau ähnlich der Farbe des klaren Himmels nach einem Regen ist besonders begehrt und gilt unter Sammlern als wertvoller Schatz. Weil perfekt gebranntes Seladon früher nur Personen von hohem Stand zugänglich war, galt die Farbe von Seladon auch als hisoku (verborgene Farbe) in der Bedeutung, dass sie außerhalb der Reichweite der allgemeinen Bevölkerung war und nicht von jedermann betrachtet werden konnte.

Zur Verehrung dieser Bedeutung des Begriffs hisoku betrachtet die Färbe- und Webkünstlerin SHIMURA Fukumi diese Farbe im Kontext von Textilien und verbindet diese mit Indigo-Farbtönen, die durch den Prozess des Indigo-Färbens hervorgebracht werden. Gegen Ende des als aidate bezeichneten Fermentationsprozesses von Indigo zur Vorbereitung des Färbens der Fäden usw. wird das Indigo schwächer und verliert seine blaue Farbe, während andere Fäden in einer Mischung aus Ultramarin und Pastellblau (ein mittlerer Farbton zwischen tiefem Purpurblau und einem weichen weißlichen Blau) nur kurz gefärbt werden. Aidate bildet somit eine Analogie zum Leben eines Menschen von der Geburt über das Erwachsenenleben bis ins hohe Alter hinein. Erst wenn wir den letzten Abschnitt sicher erreicht haben, können wir die „tiefe enigmatische Farbe“ erblicken, die die Künstlerin so sehr schätzt (Shimura Fukumi, 1982, One Color, One Life, Verlag Kyuryudo).

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Bild: SHIMIZU Uichi: Große Schale, Seladon, 1973, National Crafts Museum. Zahllose kleine Risse (Krakelee) entwickeln sich zu einer Glasur, die einen unbeschreiblich anmutigen Effekt erzeugt.

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Bild: Färbelösung für das Färben mit Indigo. Foto: amanaimages

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Bild: SHIMURA Fukumi: Kimono „Lapislazuli blau“, Tsumugi-Seide, 1976, National Crafts Museum. Der Kimono weist helle und dunkle Blautöne auf, die mittels aidate erzielt wurden.

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Braun und Violett: Die Modefarben von Edo

Die Farben Braun und Grau, die während der Edo-Zeit (1603-1868) en vogue waren, lagen in so zahlreichen Varianten von Abstufungen vor, dass sie umgangssprachlich als shijuhatcha-hyakunezumi (wörtlich: „48 Brauns, einhundert Graus“) bezeichnet wurden. Da seinerzeit strenge Vorgaben in Bezug auf die Kleidung entsprechend dem jeweiligen sozialen Status bestanden, war ein Auslöser für das Kreieren delikater und subtiler Farben das starke Verlangen unter denjenigen, die Mode liebten, sich über diese strengen Vorgaben hinwegzusetzen. Die Techniken und die Empfindsamkeit in Bezug auf Farbtöne, die sich nur in Nuancen voneinander unterschieden, waren im Laufe der Geschichte Japans bereits seit dem Altertum immer weiter verfeinert worden.

Beispielsweise hatte Violett in der Zeit der Kaiserin Suiko (sie regierte von 592-628) die höchste Stellung inne und durfte nur mit Erlaubnis der Kaiserin getragen werden. Im Engishiki, einem Werk der Heian-Zeit (794-1185) über Gesetze und Bräuche, das im Jahr 927 fertiggestellt wurde, war diese Farbe nicht nur in Hell- und Dunkelviolett unterteilt, sondern zusätzlich noch in ein gräuliches Dunkelviolett. Selbst die für das Färben bestimmten Stoffe waren bis ins Detail geregelt. In der Edo-Zeit war die Bedeutung von Violett als zum Kaiserhof gehörend zunehmend verblasst und diese Farbe wurde in einem breiten Spektrum verwendet, z.B. gab es ein lebhaftes Violett (als Färbemittel wurden Steinsamen-Wurzeln verwendet), ein rötlich-violettes Kyoto-Violett oder ein bläulich-violettes Edo-Violett, die sowohl von den Samurai als auch von den Stadtbürgern gleichermaßen gern getragen wurden.

Die japanische Empfindsamkeit zur Unterscheidung subtiler Farbabstufungen gilt nicht nur für Kleidung, sondern auch für winzige ornamentale Details. So entstanden Techniken, die vor allem entwickelt wurden, um Metalleinlagen von Schwertern zu färben, die an der Hüfte getragen wurden, und die auf diese Weise die ganz spezifischen Eigenschaften der Schwerter hervorhoben. Beispielsweise war man nun in der Lage, Legierungen aus Silber und Kupfer in unterschiedlichen Abstufungen von Grau anzufertigen, indem man den Silberanteil veränderte. Dies wurde dazu verwendet, um dem Metall z.B. das Aussehen von Vogelfedern zu verleihen sowie auch um monochrome Landschaften zu schaffen, als seien sie mit Tusche auf Papier gemalt. Diese Techniken erfuhren besonders ab der Meiji-Zeit (1868-1912) auf dem Gebiet des für den Export bestimmten Kunsthandwerks eine große Blüte.

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Bild: MIYAGAWA Kozan I.: Vase mit Dekor von Japanischer Iris, Unterglasur mit emailliertem Dekor, ca. 1897-1912, National Crafts Museum. Iris-Blau ist eine der traditionellen Farben Japans.

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Bild: SUZUKI Chokichi: Zwölf Bronzefalken, Falke Nr. 8, 1893, Bedeutendes Kulturgut, National Crafts Museum. Die Farben unterscheiden silberne Federn auf dem Rücken und kupferfarbene Federn von der Unterseite des Nackens bis zum Bauch.

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Weiß: Ein schlichter Farbausdruck

Übrigens ist es unmöglich, aufgrund der Eigenschaften des Lacks rein weißen urushi herzustellen. Wenn man Weiß verwenden will, wird stattdessen die besondere Funktion von urushi als Bindemittel genutzt, indem man den Lack außen auf Materialien wie z.B. Muschel- oder Eierschalen aufträgt. Bei der Verwendung von Muschelschalen werden die Innenseiten mit der Perlmuttschicht und ihren regebogenartigen Farbreflektionen in dünne Scheiben geschnitten. Indem man mineralische oder andere Farben im Hintergrund aufträgt, scheinen diese Farben durch die Muschelschalen hindurch wie durch einen Vorhang in einem weichen Licht. Diese Technik wird fusezaishiki (wörtlich „verschleierte Farbe“) genannt und wurde z.B. verwendet, um Spiegel und Messer zu dekorieren, die bis heute im antiken kaiserlichen Schatzhaus Shosoin in Nara aufbewahrt werden.

Verfahren ähnlich dem fusezaishiki wurden auch für japanische Gemälde und Keramiken verwendet. Damit wird deutlich, dass die Menschen in Japan an dieser Art von besonderem Effekt stets sehr interessiert waren. Die tief verborgene Präsenz wird auf enigmatische Weise durch das weiße Leuchten der Muschelschalen angedeutet. Dies ist ein eindeutiges Beispiel für die besondere Empfindsamkeit der Menschen in Japan, die Raffinesse als Tugend betrachten.

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Bild: ITAYA Hazan: Vase mit eingeschnittenem Päonien-Dekor, farbige Unterglasur mit Mattglasur, 1922, National Crafts Museum. Die Farben treten unter der durchscheinenden Glasur hervor.

Fotos: PIXTA

Die Autorin: KITAMURA Hitomi, Kuratorin und Leiterin der Abteilung Kunsthandwerk, National Crafts Museum. Ihr Fachgebiet ist die Geschichte des modernen Kunsthandwerks. Von ihr gestaltete Ausstellungen in den letzten Jahren waren u.a. „Marcel Breuer’s furniture: Improvement for good“ (The National Museum of Modern Art, Tokyo 2017) und „Masterpieces of Modern Cratfs from the Museum Collection – Special Display: Modern Tea Caddies” (Crafts Gallery, The National Museum of Modern Art, Tokyo, 2018).

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