Botschaft von Japan
.Neues aus Japan Nr.                            August 2005

 

 

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Interview mit dem Dirigenten Koji Kawamoto


 

 

 

 

 

 

In dieser Ausgabe stellt Neues aus Japan den japanischen Künstler Koji Kawamoto vor, der als Erster Kapellmeister am Theater Vorpommern wirkt. Der aus der Präfektur Shimane stammende Kawamoto strahlt trotz seines jungen Alters (er beging erst im Juni seinen 33. Geburtstag) eine freundliche Würde aus. Nachfolgend geben wir eine Zusammenfassung des ca. vier Stunden währenden Interviews wieder, in dem der Künstler unsere Fragen mit großer Aufgeschlossenheit beantwortete.
 


NaJ: Herr Kawamoto, mit vier Jahren haben Sie begonnen, an einer Yamaha-Musikschule Harmonium und Elektronische Orgel zu lernen. In der Grund- und Mittelschule spielten Sie dann in der Blasinstrumente-AG Posaune. Können Sie uns etwas darüber sagen, wie Sie Dirigent geworden sind?

Kawamoto: Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, aber als ich etwa drei Jahre alt war, nahm mich mein Vater zu einem Spaziergang mit. Wie er mir später erzählte, sang er mir dabei den Song „Do-Re-Mi“ aus dem Musical „Sound of Music“ vor. Anscheinend sang er dabei nicht ganz richtig, denn ich soll dann gesagt haben: „Dein ‚Do’ ist ja gar kein richtiges ‚Do’!“ Wie es mit der Musik bei mir angefangen hat, ist mir nicht mehr so bewusst, aber vielleicht hatte ich damals schon so etwas wie das absolute Gehör.

NaJ: Ein Jahr später haben Sie dann mit dem Harmonium-Unterricht begonnen, nicht wahr?

Kawamoto: Genau. Meinen Eltern zufolge habe ich mit dem Unterricht auf eigenen Wunsch begonnen. Ich denke heute, ich hatte Glück, daß meine Annäherung an die Musik aus eigenem Antrieb erfolgte. Später, als ich in die Grundschule kam, interessierte ich mich dann eher für Jazz.

NaJ: Welche Jazz-Musik haben Sie gehört?

Kawamoto: Ich mochte nicht Jazz im Allgemeinen, sondern beschränkte mich auf Glenn Miller, Benny Goodman oder Duke Ellington. Besonders gern hörte ich z.B. Dixie Jazz, New Orleans Jazz oder Bing Band Jazz ohne elektronische Instrumente. Das hat mich dann auch bewogen, Mitglied der Blasinstrumente-AG zu werden. Grundsätzlich mag ich elektronisch erzeugte Klänge schon seit meiner Grundschulzeit nicht besonders.

NaJ: Trotzdem haben Sie weiter Elektronische Orgel gespielt ...

Kawamoto: Das stimmt, aber für mich war das Interessante an der Elektronischen Orgel, dass man damit ganz allein sogar die Klänge eines kompletten Orchesters produzieren kann. Wenn ich eben elektronische Klänge sagte, dann meine ich damit hauptsächlich E-Gitarre.

NaJ: Wenn ich mir den Grund anhöre, weshalb Sie so gern Elektronische Orgel spielten, habe ich den Eindruck, daß Sie bereits in frühen Jahren den Wunsch hatten, Dirigent zu werden. Stimmt das?

Kawamoto: Eigentlich wollte ich Arzt werden, aber während der Mittelschule hat mich mein Musiklehrer überzeugt, und so habe ich mich neu orientiert. Nachdem ich dann Seiji Ozawas Buch „Meine Askese als Musik-Krieger“ gelesen hatte, in dem er sein Studium im Ausland beschreibt, stand mein Entschluss fest.

NaJ: Ihr Musiklehrer in der Oberschule soll zu Ihnen gesagt haben: „Für das Fach Dirigieren an der renommierten ‚GEIDAI’ bist du nicht gut genug. Aber schließlich steht es jedem frei, die Aufnahmeprüfung zu versuchen!“ Dass Sie die harten Worte Ihres Lehrers ins Positive gewendet haben, ist sehr beeindruckend. Vielleicht ist dies der Beweis dafür, dass zwischen Ihnen in gewissem Sinne ein Vertrauensverhältnis bestand. Hat Ihr damaliger Lehrer Sie in irgendeiner Hinsicht in Ihrem heutigen Umgang mit den Orchestermitgliedern beeinflußt? Wenden auch Sie ab und zu einmal – aus einem Gefühl der Zuneigung heraus – härtere Worte an? Wie ist die Reaktion, wenn das Orchester aus deutschen Musikern besteht?

Kawamoto: Grundsätzlich denke ich, dass ich dass, was ich sagen will, auch sagen muss. Allerdings möchte ich das nicht auf die Art und Weise der Deutschen sagen, umgekehrt aber auch nicht wie die Japaner, die Dinge eher indirekt zum Ausdruck bringen, um andere nicht zu verletzen. Hier spielt die emotionale Hingabe weniger eine Rolle. Viel wichtiger ist es, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern, um mehr Überzeugungskraft zu erlangen.

Vielleicht waren auch die Mitglieder unseres Theaters anfangs der Ansicht, dass westliche Musik für mich als Japaner einfach nicht zu bewältigen sei. Aber wenn man nur den festen Willen hat, sein Schicksal zu verändern und weiter an seinen Fähigkeiten arbeitet, dann wird man irgendwann ernstgenommen. Wenn man die anderen erst einmal von dem überzeugt hat, was man selbst bislang aufgebaut hat, dann kann man mit ganz wenigen Worten Wesentliches zum Ausdruck bringen. Man muss nicht auf seine bisherigen Leistungen pochen, sondern es reicht aus, wenn man den richtigen Zeitpunkt findet, zu dem man gehört werden will und dann in Worte fasst, was man in sich hat. Meine Art ist nicht der Befehlston, der mit Gewalt „Zuhören!“ verlangt, aber ich bitte auch nicht, mir zuzuhören, sondern gestalte einfach ein Umfeld, in dem es leicht ist, mir aufmerksam zuzuhören. Wenn ich sage: „Dieser Ton ist noch nicht lang genug“, dann bringe ich die Musiker dazu, zuzugeben: „Ah, der hat wirklich Talent.“ Das hat nichts mit japanischer Mentalität, deutscher Mentalität, Hautfarbe oder Sprache zu tun. Selbstverständlich klappt das nicht von Anfang an.

NaJ: Sie sagen, dass Sie in den drei Jahren an der Oberschule von Ihrem Musiklehrer die grundsätzliche Haltung eines Musikers gelernt haben. Wie kommt diese Philosophie konkret zum Ausdruck?

Kawamoto: Wenn ich es sagen soll: es ist die sogenannte „Führungstechnik“. Kurz gesagt, eine Art Lehre für Führungspersönlichkeiten (lacht).

NaJ: Also der Charakter eines Dirigenten, nicht wahr?

Kawamoto: Das mag sein (lacht). Letztendlich ist das, was man sagt, eine Methode, Menschen anzuregen oder ein Werkzeug zur Übermittlung.

NaJ: Normalerweise bekommt man eine solche Technik nicht beigebracht, oder?

Kawamoto:
Ja, das stimmt.

NaJ: Trotzdem hat Ihr Lehrer sie Sie gelehrt?

Kawamoto: Er hat sie mich nicht mit Worten gelehrt, sondern er hat mir eine Lebensweise aufgezeigt.

NaJ: Und Sie haben sie sich angeeignet.

Kawamoto: Das ist vielleicht der beste Ausdruck dafür. Wichtig war aber, dass mein Lehrer dieses gewisse Etwas hatte, was ich mir dann aneignen konnte.

NaJ: Würde es Ihnen etwas ausmachen, diese Lehre für Führungspersönlichkeiten mit Worten zu erläutern?

Kawamoto: Bei dieser sogenannten Lehre für Führungspersönlichkeiten lernt man u.a., „Fernes aus der Nähe“ und „Nahes aus der Ferne“ zu betrachten. Wenn einem z.B. etwas Leckeres vorgesetzt wird, dann ruft jemand, der diese Lehre durchlaufen hat, nicht unwillkürlich laut „Aah!“, sondern sagt: „Das sieht durchaus lecker aus.“ Wenn umgekehrt in der Ferne etwas Schönes ist, dann berichtet man den Menschen davon, dass es etwas so Schönes auf dieser Welt gibt. Man muss es beschreiben können, als hielte man es in der eigenen Hand. Die Lehre für Führungspersönlichkeiten, die ich erlernt habe, ist aber eine andere. Ich habe vielmehr gelernt, nahe Dinge noch näher heranzurücken und ferne Dinge in der Ferne zu belassen. Wenn ich z.B. einem Orchester mit fünfzig Musikern gegenüberstehe, dann müssen diese fünfzig Personen mir zuhören und ihre Aufmerksamkeit schenken. Damit das geschieht, muss in mir selbst etwas vorhanden sein, das das Interesse der anderen auf mich lenkt, denn innerhalb der zur Verfügung stehenden begrenzten Zeit kann man nicht die Meinung jedes Einzelnen hören. Ich muss aus der Stimmung des Orchesters erkennen, was ich ihm konkret bieten muß, um sein Interesse zu gewinnen.

NaJ: Das ist wirklich hochinteressant!

Kawamoto: Auch wenn fünfzig Musiker sich zur Probe versammeln, ist es keineswegs so, dass sich alle innerlich auf die Probe vorbereitet haben. Bestimmt gibt es jemanden, der in der Nacht zuvor nicht geschlafen hat oder ein anderer hat einen Kater. Um diese Menschen auf Anhieb in die vorhandene Atmosphäre einzugliedern, benötigt man eine Art Lehre für Führungspersönlichkeiten. Das ist sehr wichtig.

NaJ: Jemand, der einen Blick für das Ganze haben muss, darf sich nicht mit einzelnen Mitgliedern des Orchesters allzu sehr einlassen, nicht wahr?

Kawamoto: Das ist der nächste Schritt. Kurz gesagt, man muss das, was in der Ferne ist, in der Ferne belassen. Wenn ich zu einer Party eingeladen werde, gehe ich zwar hin, aber ich muss den anderen zeigen, dass sie in der gleichen Position sind wie alle anderen auch.

NaJ: Denken Sie von sich selbst, dass Sie diese Theorie gut umsetzen?

Kawamoto: In der Realität ist das schwierig, aber ich bemühe mich. Gerade weil dies nicht einfach ist, gehört es zur Lehre für Führungskräfte (lacht).

NaJ: Sie sind nun bereits seit dreieinhalb Jahren am Theater Vorpommern tätig. Besteht eigentlich ein Unterschied beim Niveau zwischen dem eher ländlichen Publikum Ostdeutschlands und dem städtischen Publikum in Westdeutschland?

Kawamoto:
Ich denke, grundsätzlich unterscheidet sich das Niveau kaum. Denn anders als Japaner haben alle Deutschen genaue Vorstellungen davon, was gut und was schlecht ist. Allerdings spüre ich, dass es bei der Beliebtheit der Stücke Unterschiede zwischen Ost und West gibt. Beispielsweise kamen Operetten in Stralsund nicht so gut an wie erwartet. Mit anderen Worten: im Osten besteht womöglich ein anderer Sinn für Humor als im Westen. Auch wenn alle behaupten, dass das nicht stimme, glaube ich persönlich das doch.

NaJ: Wird das Bernstein-Musical „West Side Story“, das Sie im August dirigieren werden, für das Stralsunder Publikum nicht ein Kulturschock sein?

Kawamoto: In „West Side Story“ kommen Ausdrücke vor, die jemanden, der in Amerika gelebt hat und gut Englisch spricht, viel Anlass zum Lachen geben. Da Amerikaner z.B. auch diskriminierende Ausdrücke, die in Stücken vorkommen, ganz nüchtern betrachten, ist auch die Grundlage zu ihrer Tolerierung vorhanden. Im Gegensatz dazu zeigen manche Menschen in dieser Stadt aufrichtig ihre Abneigung, wenn sie die gleichen diskriminierenden Ausdrücke hören. Die Deutschen im Westen sind da nicht so extrem. Man darf das Verwenden dieser Ausdrücke nicht an sich schon interessant finden, aber in Bezug auf die Geisteshaltung, ob man es beim Nachdenken darüber, warum diese Ausdrücke benutzt werden, interessant findet oder nicht, spüre ich doch Unterschiede zwischen Ost und West. Die Menschen in den neuen Bundesländern sind da vielleicht ernsthafter.

NaJ: Glauben Sie, dass Unterschiede bestehen zwischen der westlichen Musik, die Japaner aufführen, und der westlichen Musik, die von Menschen aus dem Westen gespielt wird?

Kawamoto: Da gibt es zweifellos ganz deutliche Unterschiede. Ich denke, es gibt in allen Ländern gute und schlechte Traditionen. Das einzige Mittel, über das wir Japaner verfügen, um die Vorurteile der Deutschen zu widerlegen, ist, dass wir Japaner sind. Wir Japaner neigen dazu, unsere eigenen Traditionen weitgehend kritiklos als etwas Unveränderliches aufzufassen, aber bei den Traditionen anderer Länder sind wir sehr wohl in der Lage zu erkennen, ob es sich dabei um eine gute oder eine schlechte Tradition handelt, und es genügt, wenn wir allein die guten Traditionen in uns aufnehmen. Das heißt, es ist ausreichend, wenn wir uns auf unsere Stärke verlassen, bestimmte Dinge einfach deshalb zu erkennen, weil wir eben Japaner sind.

NaJ: Vielen Dank.

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