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In dieser Ausgabe stellt Neues aus Japan den japanischen Künstler Koji
Kawamoto vor, der als Erster Kapellmeister am Theater Vorpommern wirkt. Der
aus der Präfektur Shimane stammende Kawamoto strahlt trotz seines jungen
Alters (er beging erst im Juni seinen 33. Geburtstag) eine freundliche Würde
aus. Nachfolgend geben wir eine Zusammenfassung des ca. vier Stunden
währenden Interviews wieder, in dem der Künstler unsere Fragen mit großer
Aufgeschlossenheit beantwortete.
NaJ:
Herr Kawamoto, mit vier Jahren haben Sie begonnen, an einer
Yamaha-Musikschule Harmonium und Elektronische Orgel zu lernen.
In der Grund- und Mittelschule spielten Sie dann in der Blasinstrumente-AG
Posaune. Können Sie uns etwas darüber sagen, wie Sie Dirigent geworden sind?
Kawamoto:
Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, aber als ich etwa drei Jahre
alt war, nahm mich mein Vater zu einem Spaziergang mit. Wie er mir später
erzählte, sang er mir dabei den Song „Do-Re-Mi“ aus dem Musical „Sound of
Music“ vor. Anscheinend sang er dabei nicht ganz richtig, denn ich soll dann
gesagt haben: „Dein ‚Do’ ist ja gar kein richtiges ‚Do’!“ Wie es mit der
Musik bei mir angefangen hat, ist mir nicht mehr so bewusst, aber vielleicht
hatte ich damals schon so etwas wie das absolute Gehör.
NaJ:
Ein Jahr später haben Sie dann mit dem Harmonium-Unterricht begonnen, nicht
wahr?
Kawamoto:
Genau. Meinen Eltern zufolge habe ich mit dem Unterricht auf eigenen Wunsch
begonnen. Ich denke heute, ich hatte Glück, daß meine Annäherung an die
Musik aus eigenem Antrieb erfolgte. Später, als ich in die Grundschule kam,
interessierte ich mich dann eher für Jazz.
NaJ:
Welche Jazz-Musik haben Sie gehört?

Kawamoto:
Ich mochte nicht Jazz im Allgemeinen, sondern beschränkte mich auf Glenn
Miller, Benny Goodman oder Duke Ellington. Besonders gern hörte ich z.B.
Dixie Jazz, New Orleans Jazz oder Bing Band Jazz ohne elektronische
Instrumente. Das hat mich dann auch bewogen, Mitglied der Blasinstrumente-AG
zu werden. Grundsätzlich mag ich elektronisch erzeugte Klänge schon seit
meiner Grundschulzeit nicht besonders.
NaJ:
Trotzdem haben Sie weiter Elektronische Orgel gespielt ...
Kawamoto:
Das stimmt, aber für mich war das Interessante an der Elektronischen Orgel,
dass man damit ganz allein sogar die Klänge eines kompletten Orchesters
produzieren kann. Wenn ich eben elektronische Klänge sagte, dann meine ich
damit hauptsächlich E-Gitarre.
NaJ:
Wenn ich mir den Grund anhöre, weshalb Sie so gern Elektronische Orgel
spielten, habe ich den Eindruck, daß Sie bereits in frühen Jahren den Wunsch
hatten, Dirigent zu werden. Stimmt das?
Kawamoto:
Eigentlich wollte ich Arzt werden, aber während der Mittelschule hat mich
mein Musiklehrer überzeugt, und so habe ich mich neu orientiert. Nachdem ich
dann Seiji Ozawas Buch „Meine Askese als Musik-Krieger“ gelesen hatte, in
dem er sein Studium im Ausland beschreibt, stand mein Entschluss fest.
NaJ:
Ihr Musiklehrer in der Oberschule soll zu Ihnen gesagt haben: „Für das Fach
Dirigieren an der renommierten ‚GEIDAI’ bist du nicht gut genug. Aber
schließlich steht es jedem frei, die Aufnahmeprüfung zu versuchen!“ Dass Sie
die harten Worte Ihres Lehrers ins Positive gewendet haben, ist sehr
beeindruckend. Vielleicht ist dies der Beweis dafür, dass zwischen Ihnen in
gewissem Sinne ein Vertrauensverhältnis bestand. Hat Ihr damaliger Lehrer
Sie in irgendeiner Hinsicht in Ihrem heutigen Umgang mit den
Orchestermitgliedern beeinflußt? Wenden auch Sie ab und zu einmal – aus
einem Gefühl der Zuneigung heraus – härtere Worte an? Wie ist die Reaktion,
wenn das Orchester aus deutschen Musikern besteht?
Kawamoto:
Grundsätzlich denke ich, dass ich dass, was ich sagen will, auch sagen muss.
Allerdings möchte ich das nicht auf die Art und Weise der Deutschen sagen,
umgekehrt aber auch nicht wie die Japaner, die Dinge eher indirekt zum
Ausdruck bringen, um andere nicht zu verletzen. Hier spielt die emotionale
Hingabe weniger eine Rolle. Viel wichtiger ist es, die eigenen Fähigkeiten
zu verbessern, um mehr Überzeugungskraft zu erlangen.
Vielleicht waren auch die Mitglieder unseres Theaters anfangs der Ansicht,
dass westliche Musik für mich als Japaner einfach nicht zu bewältigen sei.
Aber wenn man nur den festen Willen hat, sein Schicksal zu verändern und
weiter an seinen Fähigkeiten arbeitet, dann wird man irgendwann
ernstgenommen. Wenn man die anderen erst einmal von dem überzeugt hat, was
man selbst bislang aufgebaut hat, dann kann man mit ganz wenigen Worten
Wesentliches zum Ausdruck bringen. Man muss nicht auf seine bisherigen
Leistungen pochen, sondern es reicht aus, wenn man den richtigen Zeitpunkt
findet, zu dem man gehört werden will und dann in Worte fasst, was man in
sich hat. Meine Art ist nicht der Befehlston, der mit Gewalt „Zuhören!“
verlangt, aber ich bitte auch nicht, mir zuzuhören, sondern gestalte einfach
ein Umfeld, in dem es leicht ist, mir aufmerksam zuzuhören. Wenn ich sage:
„Dieser Ton ist noch nicht lang genug“, dann bringe ich die Musiker dazu,
zuzugeben: „Ah, der hat wirklich Talent.“ Das hat nichts mit japanischer
Mentalität, deutscher Mentalität, Hautfarbe oder Sprache zu tun.
Selbstverständlich klappt das nicht von Anfang an.
NaJ:
Sie sagen, dass Sie in den drei Jahren an der Oberschule von Ihrem
Musiklehrer die grundsätzliche Haltung eines Musikers gelernt haben. Wie
kommt diese Philosophie konkret zum Ausdruck?
Kawamoto:
Wenn ich es sagen soll: es ist die sogenannte „Führungstechnik“. Kurz
gesagt, eine Art Lehre für Führungspersönlichkeiten (lacht).
NaJ:
Also der Charakter eines Dirigenten, nicht wahr?
Kawamoto:
Das mag sein (lacht). Letztendlich ist das, was man sagt, eine Methode,
Menschen anzuregen oder ein Werkzeug zur Übermittlung.
NaJ:
Normalerweise bekommt man eine solche Technik nicht beigebracht, oder?
Kawamoto:
Ja, das stimmt.
NaJ:
Trotzdem hat Ihr Lehrer sie Sie gelehrt?
Kawamoto:
Er hat sie mich nicht mit Worten gelehrt, sondern er hat mir eine
Lebensweise aufgezeigt.
NaJ:
Und Sie haben sie sich angeeignet.
Kawamoto:
Das ist vielleicht der beste Ausdruck dafür. Wichtig war aber, dass mein
Lehrer dieses gewisse Etwas hatte, was ich mir dann aneignen konnte.
NaJ:
Würde es Ihnen etwas ausmachen, diese Lehre für Führungspersönlichkeiten mit
Worten zu erläutern?
Kawamoto:
Bei dieser sogenannten Lehre für Führungspersönlichkeiten lernt man u.a.,
„Fernes aus der Nähe“ und „Nahes aus der Ferne“ zu betrachten. Wenn einem
z.B. etwas Leckeres vorgesetzt wird, dann ruft jemand, der diese Lehre
durchlaufen hat, nicht unwillkürlich laut „Aah!“, sondern sagt: „Das sieht
durchaus lecker aus.“ Wenn umgekehrt in der Ferne etwas Schönes ist, dann
berichtet man den Menschen davon, dass es etwas so Schönes auf dieser Welt
gibt. Man muss es beschreiben können, als hielte man es in der eigenen Hand.
Die Lehre für Führungspersönlichkeiten, die ich erlernt habe, ist aber eine
andere. Ich habe vielmehr gelernt, nahe Dinge noch näher heranzurücken und
ferne Dinge in der Ferne zu belassen. Wenn ich z.B. einem Orchester mit
fünfzig Musikern gegenüberstehe, dann müssen diese fünfzig Personen mir
zuhören und ihre Aufmerksamkeit schenken. Damit das geschieht, muss in mir
selbst etwas vorhanden sein, das das Interesse der anderen auf mich lenkt,
denn innerhalb der zur Verfügung stehenden begrenzten Zeit kann man nicht
die Meinung jedes Einzelnen hören. Ich muss aus der Stimmung des Orchesters
erkennen, was ich ihm konkret bieten muß, um sein Interesse zu gewinnen.
NaJ:
Das ist wirklich hochinteressant!
Kawamoto:
Auch wenn fünfzig Musiker sich zur Probe versammeln, ist es keineswegs so,
dass sich alle innerlich auf die Probe vorbereitet haben. Bestimmt gibt es
jemanden, der in der Nacht zuvor nicht geschlafen hat oder ein anderer hat
einen Kater. Um diese Menschen auf Anhieb in die vorhandene Atmosphäre
einzugliedern, benötigt man eine Art Lehre für Führungspersönlichkeiten. Das
ist sehr wichtig.
NaJ:
Jemand, der einen Blick für das Ganze haben muss, darf sich nicht mit
einzelnen Mitgliedern des Orchesters allzu sehr einlassen, nicht wahr?
Kawamoto:
Das ist der nächste Schritt. Kurz gesagt, man muss das, was in der Ferne
ist, in der Ferne belassen. Wenn ich zu einer Party eingeladen werde, gehe
ich zwar hin, aber ich muss den anderen zeigen, dass sie in der gleichen
Position sind wie alle anderen auch.
NaJ:
Denken Sie von sich selbst, dass Sie diese Theorie gut umsetzen?
Kawamoto:
In der Realität ist das schwierig, aber ich bemühe mich. Gerade weil dies
nicht einfach ist, gehört es zur Lehre für Führungskräfte (lacht).
NaJ:
Sie sind nun bereits seit dreieinhalb Jahren am Theater Vorpommern tätig.
Besteht eigentlich ein Unterschied beim Niveau zwischen dem eher ländlichen
Publikum Ostdeutschlands und dem städtischen Publikum in Westdeutschland?
Kawamoto:
Ich denke, grundsätzlich unterscheidet sich das Niveau kaum. Denn anders als
Japaner haben alle Deutschen genaue Vorstellungen davon, was gut und was
schlecht ist. Allerdings spüre ich, dass es bei der Beliebtheit der Stücke
Unterschiede zwischen Ost und West gibt. Beispielsweise kamen Operetten in
Stralsund nicht so gut an wie erwartet. Mit anderen Worten: im Osten besteht
womöglich ein anderer Sinn für Humor als im Westen. Auch wenn alle
behaupten, dass das nicht stimme, glaube ich persönlich das doch.
NaJ:
Wird das Bernstein-Musical „West Side Story“, das Sie im August dirigieren
werden, für das Stralsunder Publikum nicht ein Kulturschock sein?
Kawamoto:
In „West Side Story“ kommen Ausdrücke vor, die jemanden, der in Amerika
gelebt hat und gut Englisch spricht, viel Anlass zum Lachen geben. Da
Amerikaner z.B. auch diskriminierende Ausdrücke, die in Stücken vorkommen,
ganz nüchtern betrachten, ist auch die Grundlage zu ihrer Tolerierung
vorhanden. Im Gegensatz dazu zeigen manche Menschen in dieser Stadt
aufrichtig ihre Abneigung, wenn sie die gleichen diskriminierenden Ausdrücke
hören. Die Deutschen im Westen sind da nicht so extrem. Man darf das
Verwenden dieser Ausdrücke nicht an sich schon interessant finden, aber in
Bezug auf die Geisteshaltung, ob man es beim Nachdenken darüber, warum diese
Ausdrücke benutzt werden, interessant findet oder nicht, spüre ich doch
Unterschiede zwischen Ost und West. Die Menschen in den neuen Bundesländern
sind da vielleicht ernsthafter.
NaJ:
Glauben Sie, dass Unterschiede bestehen zwischen der westlichen Musik, die
Japaner aufführen, und der westlichen Musik, die von Menschen aus dem Westen
gespielt wird?
Kawamoto:
Da gibt es zweifellos ganz deutliche Unterschiede. Ich denke, es
gibt in allen Ländern gute und schlechte Traditionen. Das einzige Mittel,
über das wir Japaner verfügen, um die Vorurteile der Deutschen zu
widerlegen, ist, dass wir Japaner sind. Wir Japaner neigen dazu, unsere
eigenen Traditionen weitgehend kritiklos als etwas Unveränderliches
aufzufassen, aber bei den Traditionen anderer Länder sind wir sehr wohl in
der Lage zu erkennen, ob es sich dabei um eine gute oder eine schlechte
Tradition handelt, und es genügt, wenn wir allein die guten Traditionen in
uns aufnehmen. Das heißt, es ist ausreichend, wenn wir uns auf unsere Stärke
verlassen, bestimmte Dinge einfach deshalb zu erkennen, weil wir eben
Japaner sind.
NaJ:
Vielen Dank.
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