Am 14. Dezember 2005, zwei Tage nach dem jährlich stattfindenden
ASEAN+3-Gipfel, kamen die zehn Mitgliedsstaaten der ASEAN sowie Australien,
China, Indien, Japan, Korea (Republik Korea) und Neuseeland zum historischen ersten
Ostasiengipfel zusammen. Dieser Beitrag behandelt den Hintergrund dieser
beiden Gipfeltreffen und analysiert den künftigen Weg für den Aufbau einer
ostasiatischen Gemeinschaft.
Der Weg zum Ostasiengipfel
Die Idee für einen Ostasiengipfel entsprang der Kooperation im Rahmen der
ASEAN+3. Das Gipfeltreffen der ASEAN+3 besteht seit 1997 als informelle
Zusammenkunft zwischen den Führern der ASEAN, Chinas, Japans und Koreas.
Seitdem hat es sich zu einem jährlichen Treffen entwickelt, das zeitgleich
mit dem ASEAN-Gipfel stattfindet. Aus dem Rahmen der ASEAN+3 ist eine ganze
Reihe von Initiativen zur regionalen Kooperation hervorgegangen. Die
Mitgliedsstaaten haben verschiedene Dokumente erstellt, die den Schlüssel
für den Aufbau einer regionalen Gemeinschaft bilden. Das wichtigste davon
ist der Bericht von 2001 über eine Gruppe für eine Ostasiatische Vision mit
dem Titel „In Richtung einer Ostasiatischen Gemeinschaft: eine Region des
Friedens, Wohlstands und Fortschritts“, in dem die Gründung eines
Ostasiengipfels empfohlen wurde.
Nachdem dieser Bericht veröffentlicht worden war, schlugen die Führer
einiger ASEAN-Mitglieder vor, der Aufbau einer Gemeinschaft könne am besten
im Rahmen der ASEAN+3 vor sich gehen, indem man den ASEAN+3-Gipfel einfach
in einen Ostasiengipfel umwandle. Der Vorschlag sah vor, dass die dreizehn
Mitglieder der ASEAN+3 sich beim Vorsitz des Gipfels jeweils abwechseln
sollten. Jedoch widersprachen Führer anderer ASEAN-Staaten, da sie der
Auffassung waren, dass ein erweitertes Forum die Stimmen der ASEAN-Staaten
schwächen würde, die sehr viel schwächer seien als ihre nordostasiatischen
Partner. Die ASEAN-Mitglieder entschieden schließlich, den ASEAN+3-Gipfel
beizubehalten und getrennt davon einen Ostasiengipfel durchzuführen.
Japans Position in Bezug auf den Ostasiengipfel
Bei seinen Diskussionen mit der ASEAN betonte Japan die große Bedeutung
der Entwicklung eines klaren Konzepts für einen Ostasiengipfel und schlug
einen zweistufigen Ansatz vor, der sich auf den Stärken sowohl der ASEAN+3
als auch der Partner in der Region gründet. Da die ASEAN+3 ein wesentliches
Element beim Aufbau einer ostasiatischen Gemeinschaft bilden, sind die
japanischen Vertreter der Auffassung, dass ihre Integrität nicht allein um
den Preis einer größeren Mitgliederzahl beeinträchtigt werden sollte.
Stattdessen argumentierten sie, dass die ASEAN+3 den Kern beim Aufbau einer
ostasiatischen Gemeinschaft bilden sollten - zusammen mit einem erweiterten
regionalen Forum wie dem Ostasiengipfel, an dem sich Staaten wie Australien,
Neuseeland und Indien beteiligen - und auf diese Weise ein einschließendes
und ergänzendes Element der regionalen Integration bilden.
Es ist klar, dass die ostasiatischen Länder heute nicht über die Bedingungen
verfügen, eine regionale Gemeinschaft ähnlich der Europäischen Union zu
schaffen. Für Ostasien lautet die Kernfrage daher nicht, wie die
Mitgliedschaft der Gemeinschaft zu definieren ist, sondern vielmehr, wie ein
angemessenes Forum geschaffen werden kann, das die funktionale Kooperation
in der Region fördert. Dieses Forum sollte im Idealfall die politische und
wirtschaftliche Reife der ostasiatischen Länder fördern, während es zugleich
den Blick auf den Ausbau der regionalen Integrität als Bestandteil des
Prozesses zur Gestaltung einer Gemeinschaft richtet.
Die Regierung von Japan hält es für logisch, engere Verbindungen nicht nur
unter den Ländern der ASEAN+3 zu knüpfen, sondern auch mit anderen Ländern
in der Region, die bei der Förderung der funktionalen Kooperation eine
positive Rolle spielen können. Darüber hinaus bedeutet Japans Glaube an
allgemeingültige Werte wie Menschenrechte und repräsentative Demokratie,
dass es ein großes Interesse daran hat, engere Beziehungen zu anderen
Ländern in der Region zu gestalten, die die gleichen Werte teilen.
Das Wesen des Aufbaus einer Gemeinschaft
Die ASEAN hat - Japans Vorschlägen Rechnung tragend - drei Kriterien für
eine Teilnahme am Ostasiengipfel entwickelt. Erstens müssen die
Teilnehmerstaaten den ASEAN-Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit (TAC)
unterzeichnen. Zweitens müssen sie formeller Dialogpartner der ASEAN sein.
Und drittens müssen sie substantielle kooperative Beziehungen zur ASEAN
unterhalten. Australien, Indien und Neuseeland erfüllen diese Kriterien und
nehmen als vollberechtigte Teilnehmer am Gipfel teil.
Es besteht immer die Gefahr, dass der Aufbau einer exklusiven Gemeinschaft,
die wichtige Partner ausschließt, zur Bildung einer „Festung Asien“ führt.
Japan und andere Länder wie Indonesien und Singapur glauben, dass ein
offenerer Regionalismus, der die funktionale Kooperation fördert, den
Interessen Ostasiens am besten gerecht wird. Der japanische
Ministerpräsident Junichiro Koizumi hat 2002 in einer Rede in Singapur die
Notwendigkeit für einen offenen und transparenten Ansatz in Richtung einer
regionalen Kooperation zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig befürworten die
japanischen Vertreter eingedenk der kolonialen Geschichte der ASEAN-Mitglieder
sowie ihrer berechtigten Sorgen vor einer regionalen Hegemonie, dass die
ASEAN quasi als Eigentümer des Ostasiengipfels sowie als Gastgeber fungiert.
Diese Schlüsselelemente finden sich auch in den Erklärungen wieder, die nach
den beiden Gipfeltreffen herausgegeben wurden. Die Erklärung des
ASEAN+3-Gipfes führt aus, dass „der ASEAN+3-Prozess weiterhin das
Hauptinstrument [für die Realisierung einer ostasiatischen Gemeinschaft] mit
der ASEAN als treibender Kraft und unter aktiver Teilnahme der
ASEAN+3-Staaten zur Förderung des Gefühls eines gemeinsamen Besitzes bildet.“
Die Erklärung von Kuala Lumpur des Ostasiengipfels bekräftigt, dass dieses
neue Forum „... eine wichtige Rolle beim Aufbau einer [regionalen]
Gemeinschaft spielen könnte ...“ Sie fährt fort: „... der Ostasiengipfel
wird ein offenes, miteinschließendes, transparentes und den Blick nach außen
richtendes Forum sein, innerhalb dessen wir danach streben, globale Normen
und allgemein anerkannte Werte mit der ASEAN als treibender Kraft zu stärken
und in Partnerschaft mit den anderen Teilnehmern des Ostasiengipfels
zusammenzuarbeiten.“
Der Weg nach vorne
Auch wenn die Erklärung von Kuala Lumpur nicht von einer deutlichen Sprache
gekennzeichnet war, wird der Ostasiengipfel nun jährlich stattfinden . Die
zweite Zusammenkunft ist 2006 auf den Philippinen geplant. Während Ostasien
den Blick nach vorn richtet, muss es gemeinsam über die Art und Weise der
funktionalen Kooperation nachdenken, die dabei helfen kann, eine stärkere
und noch miteinschließendere regionale Gemeinschaft zu errichten. In diesem
Zusammenhang erklärten die Staaten der ASEAN+3 im Dezember, dass sie eine
weitere gemeinsame Erklärung über die Kooperation in Ostasien für 2007
vorbereiten sollten, dem zehnten Jahrestag der Gründung des
ASEAN+3-Prozesses. Es ist zu hoffen, dass diese Erklärung als Roadmap für
den Aufbau einer regionalen Gemeinschaft dienen wird.
Zum jetzigen Zeitpunkt existiert eine funktionale Kooperation in der Region
nur eingeschränkt. Die Gemeinsame Erklärung von 2007 sollte daher einen
Entwurf für die genaue Art und Weise des Ausbaus der Zusammenarbeit vorlegen.
Beispielsweise könnte die Erklärung bestehende und vorgesehene bilaterale
Freihandelsabkommen in einem multilateralen Kontext ausweiten. Sie böte eine
Gelegenheit, Methoden zu erstellen für eine engere wirtschaftliche
Zusammenarbeit in Bereichen wie intraregionale Investitionen, finanzielle
und wirtschaftliche Kooperation, Energie und Umwelt sowie
grenzüberschreitender Transfer von Arbeit. Die Erklärung könnte die enorme
wirtschaftliche Disparität sowie die Vielfalt der Regierungsstandards
innerhalb der verschiedenen Länder Ostasiens ansprechen. Sie könnte eine
regionale Kooperation im Bereich Sicherheit durch gemeinsame Projekte
anstoßen, die sich mit Piratentum, Terrorismus und nuklearer
Weiterverbreitung befassen. Zudem könnte sie sich auch mit Bedrohungen im
Bereich Human Security befassen, wie z.B. übertragbare Infektionskrankheiten
und Naturkatastrophen.
Der zweistufige Ansatz für den Aufbau einer Gemeinschaft - mit dem
ASEAN+3-Gipfel als Kern und dem Ostasiengipfel in der Rolle des
Unterstützers - scheint im Prinzip von den Teilnehmern der beiden
Gipfeltreffen akzeptiert worden zu sein. Allerdings könnten noch
auftauchende Fragen in Bezug auf die Mitgliedschaft beim Ostasiengipfel die
künftigen Anstrengungen für den Aufbau einer Gemeinschaft verkomplizieren.
So hat beispielsweise die Russische Föderation, die an der Eröffnung des
Dezember-Gipfels teilnahm, darum gebeten, als Vollmitglied zum Forum
zugelassen zu werden. Gegenwärtig erfüllt Russland zwei der drei Kriterien
für eine Teilnahme: es hat den TAC unterzeichnet und ist formeller
Dialogpartner der ASEAN. Die Zulassung Russlands als Vollmitglied könnte
allerdings den Schwerpunkt des Gipfels von einem regionalen Forum in
Richtung eines internationalen Forums verschieben. Würde Russland eine
Teilnahme erlaubt, wäre es naheliegend, andere Partner, die noch
substantiellere Beziehungen zu Ostasien unterhalten - wie etwa die
Vereinigten Staaten - ebenfalls als Vollmitglieder einzuladen. Diese Frage
sollte von allen betroffenen Ländern sorgfältig geprüft werden, da sie das
Potential hat, nicht nur das Wesen des Gipfels zu verändern, sondern auch
die künftige Orientierung des Aufbauprozesses für eine ostasiatische
Gemeinschaft insgesamt.
(Dieser Beitrag erschien erstmals in East Asia Insights, Nr. 1, Januar 2006.
Er wurde für Neues aus Japan aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.)
Zum Autor: Hitoshi Tanaka war bis August 2005
stellvertretender Außenminister von Japan. Gegenwärtig ist er als Senior
Fellow am Japan Center for International Exchange tätig.
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